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heißt das? Die Erde ist geworden, aber die Erde selbst, die geworden ist, ist nicht Leben; es ist aber in der Weisheit selbst in geistiger Weise eine Idee (ratio), wodurch die Erde geworden ist; diese ist Leben.

       17.

      Wie ich’s vermag, will ich es eurer Liebe erklären. Der Tischler macht einen Kasten. Zuerst hat er den Kasten in der künstlerischen Idee (in arte); denn wenn er den Kasten nicht in der Idee hätte, wie könnte er ihn bei der Anfertigung hervorbringen? Aber der Kasten ist so in der Idee, daß es nicht der Kasten selbst ist, den man mit den Augen sieht. In der Idee ist er auf unsichtbare Weise, im Werke wird er auf sichtbare Weise sein. Siehe, er ist im Werke geworden; hat er nun etwa aufgehört, in der Idee zu sein? Wie der eine im Werke* geworden* ist, so* dauert* der andere fort, der in der Idee ist; denn jener Kasten kann verfaulen und ein anderer aus dem, der in der Idee ist, wieder hergestellt werden. Betrachtet also den Kasten in der Idee und den Kasten im Werke. Der Kasten im Werke ist nicht Leben, der Kasten in der Idee ist Leben, weil die Seele des Künstlers lebt, wo all dieses ist, bevor es in die Erscheinung tritt. So also, teuerste Brüder, ist deshalb, weil die Weisheit Gottes, durch welche alles geworden ist, der Idee nach alles enthält, bevor sie alles verwirklicht, dasjenige, was gemäß der Idee wird, nicht sofort selbst schon Leben, aber was immer geworden ist, ist in ihm Leben. Du siehst die Erde, die Erde ist in der Idee; du siehst den Himmel, der Himmel ist in der Idee; du siehst die Sonne und den Mond, auch diese sind in der Idee; aber außerhalb der Idee sind sie Körper, in der Idee sind sie Leben. Erfasset es, wenn ihr es irgendwie vermöget; denn etwas Großes ist gesagt worden, und wenn auch nicht von mir als einem Großen oder durch mich als einen Großen, so doch von einem Großen. Denn nicht von mir Kleinem ist dieses gesagt worden, sondern der ist nicht klein, auf den ich hinschaue, um es zu sagen. Fasse es jeder, wie er kann, soweit er kann, und wer es nicht kann, nähre sein Herz, damit er es kann. Womit soll er es nähren? Mit Milch soll er es nähren, damit er zur Speise komme. Er trenne sich nicht von dem im Fleische geborenen Christus, bis er zu dem von dem einen Vater geborenen Christus gelange, zu Gott dem Worte bei Gott, durch welches alles geworden ist, weil dies das Leben ist, das in ihm ist, das Licht der Menschen [nach einer anderen Lesart: weil jenes Leben, das in ihm ist, das Licht der Menschen ist].

       18.

      Denn es folgt: „Und das Leben war das Licht der Menschen“, und durch eben dieses Leben werden die Menschen erleuchtet. Die Tiere werden nicht erleuchtet, weil die Tiere keine vernünftigen Seelen haben, um die Weisheit sehen zu können. Der Mensch aber ist nach dem Bilde Gottes erschaffen worden; er hat eine vernünftige Seele, um die Weisheit erfassen zu können. Also ist jenes Leben, durch welches alles geworden ist, eben dieses Leben ist Licht, und zwar nicht das Licht aller Lebewesen, sondern das Licht der Menschen. Darum sagt der Evangelist kurz nachher: „Es war das wahre Licht, welches jeden Menschen erleuchtet, der in diese Welt kommt“31. Von diesem Lichte ist Johannes der Täufer erleuchtet worden, von ihm auch Johannes der Evangelist selbst. Von dem nämlichen Lichte war voll der, welcher gesagt hat: „Ich bin nicht Christus, sondern der nach mir kommt, dessen Schuhriemen ich nicht würdig bin aufzulösen“32. Von diesem Lichte war erleuchtet der, welcher gesagt hat: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort“. Also jenes Leben ist das Licht der Menschen.

       19.

      [ ] Aber vielleicht können törichte Herzen noch nicht jenes Licht fassen, weil sie durch ihre Sünden niedergedrückt werden, so daß sie es nicht zu sehen vermögen. Deshalb sollen sie aber nicht meinen, das Licht sei sozusagen abwesend, weil sie es nicht sehen können; denn sie selbst sind wegen ihrer Sünden Finsternis. „Und das Licht leuchtet in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht begriffen“. Also, Brüder, wie einem blinden Menschen, der an der Sonne steht, die Sonne gegenwärtig ist, er aber nicht der Sonne, so ist jeder Tor, jeder Ungerechte, jeder Gottlose blind am Herzen. Die Weisheit ist gegenwärtig, aber da sie einem Blinden gegenwärtig ist, ist sie seinen Augen abwesend, nicht weil sie selbst ihm abwesend ist, sondern weil er von ihr abwesend ist. Was also soll er tun? Er reinige sich, damit er Gott sehen kann. Wenn er beispielsweise deshalb nicht sehen könnte, weil er schmutzige und wunde Augen hat wegen des eingedrungenen Staubes, Schleimes oder Rauches, so würde der Arzt zu ihm sagen: Entferne aus deinem Auge alles Schädliche, damit du das Licht deiner Augen sehen kannst. Staub, Schleim, Rauch sind die Sünden und Missetaten; tu dies alles hinweg und du wirst die Weisheit sehen, die gegenwärtig ist; denn Gott ist die Weisheit selbst, und es heißt: „Selig, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott anschauen“33.

      2. Vortrag.

       Einleitung.

      Zweiter Vortrag.

      Über die Stelle: „Es war ein Mensch von Gott gesandt, der hieß Johannes“ usw. bis dahin: „Voll der Gnade und Wahrheit“. Joh. 1, 6―14.

       1.

      Es ist gut, Brüder, daß wir den Text der göttlichen Schriften und besonders des heiligen Evangeliums, ohne eine Stelle zu übergehen, behandeln, so gut wir können, und nach unserem Vermögen genährt werden und euch darreichen, wovon auch wir genährt werden. Das erste Kapitel ist, wie erinnerlich, am vergangenen Sonntag behandelt worden, nämlich: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort; dieses war im Anfang bei Gott. Alles ist durch dasselbe geworden, und ohne dasselbe ist nichts geworden. Was geworden ist, ist in ihm Leben, und das Leben war das Licht der Menschen; und das Licht leuchtet in der Finsternis und die Finsternis hat es nicht erfaßt“. Bis hierher, glaube ich, ist die Abhandlung gekommen. Ihr erinnert euch alle, die ihr da gewesen seid; und die ihr nicht da gewesen seid, glaubet es uns und denen, die da sein wollten. Nun also, weil wir nicht immer alles wiederholen können wegen derjenigen, die das hören wollen, was folgt, und es ihnen lästig ist, wenn das Frühere zum Schaden des Nachfolgenden wiederholt würde, so mögen diejenigen, welche nicht da waren, nicht nach dem Vergangenen verlangen, sondern mit denen, die da waren, jetzt auch das Gegenwärtige hören.

       2.

      Es folgt: „Es war ein Mensch von Gott gesandt, der hieß Johannes“. Dasjenige nämlich, was im Vorausgehenden gesagt wurde, ist über die unaussprechliche Gottheit Christi gesagt worden, und beinahe auf unaussprechliche Weise. Denn wer wird begreifen: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott“? Und damit dir nicht der Name „Wort“ gering erscheine durch den Gebrauch der täglichen Worte, so heißt es weiter: „und Gott war das Wort“. Eben dieses Wort ist es, worüber wir am gestrigen Tage34 viel geredet haben, und der Herr gebe, daß durch so vieles Reden wenigstens etwas in eure Herzen gedrungen sei. „Im Anfang war das Wort.“ Es ist (stets) dasselbe, es ist in derselben Weise; wie es ist, so ist es immer; es kann sich nicht ändern, d. h. es ist. Diesen seinen Namen hat das Wort seinem Diener Moses genannt: „Ich bin, der ich bin“, und: „Der da ist, hat mich gesandt“35. Wer also wird dies begreifen, da ihr seht, daß alles Sterbliche veränderlich ist; da ihr seht, daß nicht bloß die Körper sich ändern nach ihren Eigenschaften, durch Entstehen, Wachsen, Abnehmen, Sterben, sondern auch die Seelen selbst durch den Affekt verschiedener Willensstrebungen sich ausdehnen und teilen; da ihr seht, daß die Menschen sowohl die Weisheit erlangen können, wenn sie sich ihrem Lichte und ihrer Wärme nähern, als auch die Weisheit verlieren können, wenn sie sich davon in böser Stimmung entfernen? Da ihr also seht, daß dies alles vergänglich ist, was ist das, was* ist, wenn nicht eben das, was hinausgeht über alles, was so* ist, daß es* nicht* ist? Wer also möchte dies begreifen? Oder wer, wie immer er auch die Kräfte seines Geistes anstrenge, um nach Möglichkeit das, was ist, zu erreichen, möchte zu dem, was er wie auch immer im Geiste erfaßt hat, gelangen? Denn es ist so, wie wenn einer von ferne das Vaterland sieht und ein Meer dazwischen liegt; er sieht, wohin er gehen soll, aber er hat keinen Weg, wo er gehen könnte. So wollen wir zu jener unserer Unwandelbarkeit (stabilitas) gelangen, wo das ist, was wahrhaft ist, weil dies allein immer so ist, wie es ist; dazwischen liegt das Meer dieser Welt, wo wir gehen, obschon

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