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in die Zeit nach seiner Taufe, also nach Ostern 387, wahrscheinlich aber ins Jahr 389, zu verlegen sei.

       1.

      Lebhaft beschäftigte mich die neulich von dir mit einigen freundschaftlichen Vorwürfen angeregte Frage, auf welche Weise wir beisammen leben könnten, und ich hatte vor, nur hierüber an dich zu schreiben und mir deine Antwort hierauf auszubitten, inzwischen aber nichts zu berühren, was sich auf unsere Studien bezieht, damit endlich einmal diese Angelegenheit zwischen uns geklärt werde. Da beruhigte mich schnell der so kurze und wahre Ausspruch in deinem letzten Briefe, man brauche deshalb hierüber nicht nachzudenken, weil entweder wir zu dir, wenn es möglich ist, kommen würden oder sonst sicher du zu uns. In dieser Hinsicht also beruhigt, durchging ich alle deine Briefe, um zu sehen, auf welche ich dir noch eine Antwort schuldig sei. Da fand ich nun so viele Fragen aufgeworfen, daß schon wegen ihrer großen Anzahl, selbst wenn sie leicht zu lösen wären, niemand Verstand und Muße genug haben könnte, sie zu beantworten. Allein sie sind so schwierig, daß ich ohne Zweifel eine sehr große Last empfinden würde, wäre mir auch nur die Beantwortung einer einzigen von ihnen auferlegt. Dieser Eingang aber hat den Zweck, dich zu veranlassen, vorläufig neue Fragen nicht mehr aufzuwerfen, bis wir alle alten Schulden abgezahlt haben, und mir zu schreiben, was deine eigene Ansicht hinsichtlich dieser Frage sei. Doch weiß ich sehr wohl, was ich verliere, wenn ich auch nur so kurze Zeit die Teilnahme an deinen erhabenen Gedanken entbehren muß.

       2.

      Höre also meine Ansicht über die geheimnisvolle Menschwerdung, die, wie uns unsere Religion zu glauben und zu erkennen gibt, um unseres Heiles willen geschehen ist. Diese Frage, die keineswegs die leichteste ist, habe ich vor den übrigen ausgewählt, um sie zuerst zu beantworten; erschien sie mir doch würdiger als alle anderen, auf sie all meine Denkkraft zu verwenden. Denn die auf diese Welt bezüglichen Fragen scheinen mir von zu geringem Einfluß auf die Erlangung der Glückseligkeit zu sein, und wenn auch ihre Erörterung einiges Vergnügen bereitet, so muß man doch fürchten, dadurch eine Zeit zu verlieren, die auf wichtigere Dinge verwandt werden sollte. Was nun die augenblicklich zur Erörterung stehende Frage anlangt, so wundere ich mich vor allem, daß es dir aufgefallen ist, warum man die Menschwerdung nicht nur vom Vater und Sohne, sondern auch vom Heiligen Geist aussage. Denn die heilige Dreifaltigkeit wird nach dem katholischen Glauben in solcher Unzertrennlichkeit gelehrt und geglaubt und in diesem Sinne auch von einigen wenigen und heiligen Männern verstanden, daß alles, was sie tut, als gemeinschaftliches Werk des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes zu betrachten ist, daß also weder der Vater etwas tut, was nicht auch der Sohn und der Heilige Geist, noch der Heilige Geist etwas, was nicht auch der Vater und der Sohn, noch der Sohn etwas, was nicht auch der Vater und der Heilige Geist vollbringt. Daraus scheint zu folgen, daß die ganze heilige Dreifaltigkeit Mensch geworden sei; denn wenn der Sohn es geworden, der Vater aber und der Heilige Geist es nicht geworden sind, so wirken die drei göttlichen Personen in Trennung voneinander. Warum wird dann aber in unseren heiligen Geheimnissen die Menschwerdung dem Sohne zugeschrieben und in diesem Sinne gepriesen? Das ist nun eine überaus weittragende, höchst schwierige und außerordentlich bedeutungsvolle Frage, daß ich sie weder im Augenblick schnell beantworten noch die Antwort schnell hinreichend begründen kann. Doch will ich es wagen, da ich an dich schreibe, meine Ansicht mehr anzudeuten als breit darzulegen, damit du gemäß deiner Verstandesschärfe und deiner Freundschaft für mich, die da bewirkt, daß du mich am besten kennst, das, was fehlt, selbst ergänzest.

       3.

      Es gibt kein Ding, mein Nebridius, und überhaupt kein Wesen, an dem nicht folgende drei Stücke zu erkennen und zu unterscheiden wären: erstens, daß es überhaupt existiert; zweitens daß es als dieses oder jenes Bestimmte existiert; drittens, daß es, so lange es vermag, in dem Zustande verharrt, in dem es sich befindet. Das Erste weist auf den Urgrund hin, aus dem alles besteht; das Zweite auf die Idee, durch die es geschaffen und gleichsam gebildet wird; das Dritte auf eine gewisse Fortdauer, die bei allem stattfindet. Wenn es möglich ist, daß etwas überhaupt existiere, aber nicht als etwas Bestimmtes und nicht in seiner Art Beharrendes; oder daß etwas zwar als etwas Bestimmtes existiere, aber nicht als rein Seiendes und nach Möglichkeit in seiner Art Beharrendes; oder daß etwas zwar nach den seiner Art eigentümlichen Kräften fortdauere, jedoch weder reines Sein noch bestimmtes Sein habe — dann ist es auch möglich, daß in der heiligen Dreifaltigkeit eine Person wirke mit Ausschluß der übrigen. Wenn aber, wie du einsiehst, das reine Sein mit Notwendigkeit auch ein bestimmtes Sein und eine dem bestimmten Sein und den vorhandenen Kräften entsprechende Fortdauer in sich schließt, so wirken auch jene göttlichen Personen nicht anders als gemeinsam. — Ich sehe, daß ich gerade jene Seite der Frage näher beleuchtet habe, die die Lösung besonders erschwert. Ich wollte dir aber nur kurz zeigen, wofern ich nämlich meine Absicht erreicht habe, wie scharf und wahr in der katholischen Lehre die Untrennbarkeit der heiligen Dreifaltigkeit aufgefaßt werde.

       4.

      Vernimm nun, wie dein Bedenken alles Bedenkliche verliert. Zum besonderen Sein, das als eigentümlich dem Sohne zugeschrieben wird, gehört auch die Wissenschaft, ein gewisses Bildungsvermögen — wenn dieses Wort überhaupt bei solchen Gegenständen anwendbar ist — und das Erkenntnisvermögen, wobei die Seele selbst durch das Denken an verschiedene Dinge gebildet wird. Da also durch die Menschwerdung uns eine Art von Wissenschaft des Lebens und ein verpflichtendes Vorbild mit dem Ansehen und der Bestimmtheit gewisser Regeln mitgeteilt wurde, so wird nicht ohne Grund dies alles dem Sohne zugeschrieben. Denn in vielen Dingen, deren Aufzählung ich deinem Denken und deinem Scharfsinne überlasse, ragt aus der großen Anzahl von Kennzeichen doch immer eines hervor, das dem Ganzen nicht mit Unrecht den ihm eigentümlichen Charakter verleiht. So verhält es sich auch, wenn nach jenen drei vorerwähnten Punkten gefragt wird. Denn in der Frage nach dem Dasein eines gewissen Dinges liegt zugleich auch die Frage nach seiner Art, da es tatsächlich nicht existieren kann, ohne zugleich etwas Bestimmtes sein zu können. Darin liegt ferner die Frage, ob es Lob oder Tadel verdiene; denn jedes Ding, das existiert, erfährt eine gewisse Schätzung, so daß bei der Frage nach dem besonderen Sein das allgemeine Sein und ein gewisses Urteil über die Sache vorausgesetzt wird. So verhält es sich auch mit der Frage nach der Beschaffenheit einer Sache, denn jede Sache hat auch eine gewisse Beschaffenheit. Obwohl aber alle Dinge miteinander in unlöslichem Zusammenhange stehen, so wird doch die Antwort auf diese Frage nicht auf Grund der allgemeinen Eigenschaften aller Dinge gegeben, sondern auf Grund der besonderen Eigenschaften, auf die der Fragende seine Aufmerksamkeit gerichtet hat. So ist auch die Wissenschaft den Menschen notwendig, um sich zu bilden und einigermaßen zu entwickeln. Können wir etwa diese Folge der Wissenschaft leugnen oder das Streben nach ihr zurückweisen? Unser Augenmerk ist aber zunächst auf das Wissen und auf die Schlusse gerichtet, durch die wir zu einem bleibenden Resultate gelangen. Es mußte uns also vor allem eine feststehende Erkenntnisnorm geoffenbart werden, und dies geschah durch den Ratschluß der Menschwerdung, der dem Sohne eigentümlich zuzuschreiben ist, damit wir infolge davon auch durch den Sohn die Erkenntnis des Vaters selbst, des einen Urgrundes, aus dem alles ist, erlangen und schließlich auch eine gewisse unaussprechliche innere Seligkeit und Freude an dem Verharren in dieser Erkenntnis und an der Verachtung aller irdischen Dinge, und diese Gabe und Gnade wird dem Heiligen Geiste als eigentümlich zugeschrieben. So geschieht zwar alles in vollster Vereinigung und Unzertrennlichkeit, doch mußte um unserer Schwäche willen, da wir von der Einheit zur Vielheit abgefallen waren, die Offenbarung in unterscheidender Weise erfolgen. Denn niemand vermag einen anderen zu sich emporzuheben, ohne daß er in irgendeiner Beziehung sich auf den Standpunkt des anderen herabläßt. Da hast du nun einen Brief; freilich wird er dein Nachdenken über diese Sache nicht zum Abschlusse bringen, aber doch deinen Gedanken vielleicht eine gewisse Grundlage bieten, damit du mit deinem mir bekannten Scharfsinne das Weitere ausbauest und mit Hilfe der Frömmigkeit, auf die es hier vorzüglich ankommt, zum Ziele gelangest.

      VII. (Nr. 12.) An Nebridius

      Geschrieben im Jahre 389.

       An Nebridius.

      Inhalt.

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