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Christentum und Europa. Группа авторов
Читать онлайн.Название Christentum und Europa
Год выпуска 0
isbn 9783374058549
Автор произведения Группа авторов
Жанр Документальная литература
Серия Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie (VWGTh)
Издательство Bookwire
3.3 Koedukativer Unterricht versus Geschlechtersegregation
Eine andere Konfliktsituation wird erwähnt, die aus dem schulischen Bereich stammt. Sie betrifft die bekannte Abmeldung der Töchter muslimischer Eltern aus religiösen Gründen vom gemischtgeschlechtlichen Sport- bzw. Schwimmunterricht. Die Eltern berufen sich dabei auf die Bekleidungsvorschriften des Korans, die Religionsfreiheit und das Erziehungsrecht der Eltern. Ein konkreter Fall ging bis zum Bundesverwaltungsgericht, das 2013 entschied, dass es einer 11-jährigen muslimischen Schülerin zuzumuten sei, wenigstens im Burkini am koedukativen Schwimmunterricht teilzunehmen. Es begründete diese Entscheidung damit, dass das Grundrecht der Glaubensfreiheit grundsätzlich keinen Anspruch darauf vermittelt, im Rahmen der Schule nicht mit Verhaltensgewohnheiten Dritter konfrontiert zu werden, die außerhalb der Schule und außerhalb der religiösen Gemeinschaft verbreitet sind. Das Gericht entschied sich dagegen, die Schule als eine Art »Biotop« zu definieren, in dem Kinder von den »Zumutungen des Alltags« (hier konkret: vom Anblick gleichaltriger Schüler in Badebekleidung) verschont bleiben sollten.
Toleranz und Respekt sollen – so der Tenor des Urteils – keine Einbahnstraßen sein und Pluralität heißt eben auch, Vielfalt in vielfältiger Richtung, auch in Richtung Mehrheitsgesellschaft, zu akzeptieren. Wer bei diesen und ähnlichen Konfliktsituationen auf der Strecke bleibt, sind die heranwachsenden Kinder, die zwischen den vermeintlich religiös motivierten Erziehungsansprüchen der Eltern und der sozialen Welt der Gleichaltrigen hin- und hergerissen werden. Ankommen in Deutschland oder Österreich heißt eben Grundsätzliches anzunehmen, und dazu zählt auch der koedukative Unterricht in den öffentlichen Schulen. Eltern sollten – so die Meinung des Autors –, unabhängig von ihrer religiösen Überzeugung, dem Kind eine Chance auf eine von der Mehrheitsgesellschaft als normal erachtete Entwicklung geben.5
3.4 Neutralitätsgebot der öffentlichen Hand versus subjektives Religionsverständnis
Im letzten hier vorgestellten Beispiel für Normkonflikte geht es um die Kopftuch tragende Lehrerin. Hinter dem damit verbundenen Konflikt steht abermals die Abwägung unterschiedlicher Rechtsgüter, und zwar um das Ausleben des subjektiv empfundenen Religionsverständnisses und das Neutralitätsgebot der öffentlichen Hand im Mittelpunkt. Theologisch ist das Tragen eines Kopftuches nicht zwingend und daher auch kein Bestandteil einer objektiven Religionsfreiheit, sondern eines subjektiv empfundenen Religionsverständnisses.
Der Fall: Einer muslimischen Lehrerin und einer muslimischen Sozialpädagogin aus Nordrhein-Westfalen war es laut nordrhein-westfälischen Schulgesetzen untersagt, im Dienst ein Kopftuch (bzw. eine Mütze als Kopftuchersatz) zu tragen. Die Lehrerin bestand jedoch darauf und klagte. Der Konflikt wurde bis zum Bundesverfassungsgericht getragen, das in seinem Urteil keine generelle Gestattung religiös motivierter Bekleidungsformen im öffentlichen Dienst vorsieht. Damit besagt das Urteil nicht, dass das Tragen eines Kopftuches generell erlaubt wäre, es verbietet das Tragen aber auch nicht. Im Urteil wird ausgeführt, dass jene Bekleidung zu wählen ist, die auf substantielle oder auch nur potentielle Konfliktlagen in der Schule Rücksicht nimmt. Wenn Unfrieden droht oder eine Kopftuch tragende Lehrerin das Neutralitätsgebot verletzt, dann ist das Tragen eines Kopftuches nicht erlaubt, sonst schon. Zu entscheiden hat das die lokale Schulverwaltung.
Das ist ein unbefriedigendes Urteil, denn die Definition eines drohenden Unfriedens ist ausgesprochen unscharf. Unfrieden kann Unterschiedliches bedeuten und auch unterschiedliche Ursachen haben. Unfrieden kann aktiv durch schulinterne Umstände herbeigeführt werden, Unfrieden kann aber auch von außen in die Schule hineingetragen werden. Unfrieden kann vom Verhalten Dritter abhängig sein, die ihre Vorstellung vom »korrekten Erscheinungsbild« einer Lehrerin durchsetzen wollen, und jedes Mal verlangt das Gesetz eine Entscheidung von den für einen Schulstandort Verantwortlichen, was eine unglaublich schwierige Situation darstellt.
Es sollte wohl selbstverständlich sein, dass Lehrerinnen im nicht bekenntnisorientierten Unterricht auch aus Respekt dem säkularen Staat gegenüber in öffentlichen Schulen auf das demonstrative Tragen religiöser Symboliken verzichten, und dazu zählt auch das Kopftuch. Das religiös-weltanschaulich neutrale Auftreten und Verhalten der Repräsentanten des öffentlichen Dienstes ist ein hohes Gut des säkularen Staates und er kann zu Recht auf dessen Einhaltung pochen.
4. Die politischen Kernbotschaften
Was kann man aus der dargestellten demographischen Entwicklung und den Beispielen von Normkonflikten folgern? Vier Punkte erscheinen als Kernbotschaft zentral.
4.1 Österreich – multireligiös
Österreich wurde und wird säkularer und gleichzeitig auch multireligiöser. Die Bindungskraft der christlichen Kirchen, insbesondere der römisch-katholischen, ist zurückgegangen, der Anteil an Gläubigen und sich dazu auch Bekennenden geht zurück. Zugleich steigt der Anteil derjenigen, die religiös im Sinne eines »believing without belonging« sind. Menschen legen sich ihre Religiosität individuell zurecht, verzichten aber gleichzeitig auf eine institutionelle Bindung an eine Religionsgemeinschaft. Schließlich verbreitert sich durch Zuwanderung das Spektrum der christlichen Religionen (Orthodoxie) und der früher in Österreich kaum vertretenen Religionen (wie etwa der Islam) und verstärken damit die religiöse Pluralität.
4.2 Österreich – religionsfreundlich und religionsneutral
Österreich ist ein religionsfreundliches und religionsneutrales Land, und beides hat sich bewährt. Es ist religionsfreundlich, weil es grundsätzlich allen Religionsgemeinschaften die gleichen Möglichkeiten einräumt, sich im öffentlichen und auch im staatlichen Raum zu entfalten. Die öffentliche Hand finanziert den bekenntnisorientierten Religionsunterricht, die Theologieausbildung an staatlichen Universitäten und gewährt Mitspracherechte in zahlreichen öffentlichen Entscheidungsprozessen.
Weil Österreich auch ein religionsneutrales Land ist, kann diese Entfaltungsmöglichkeit in Zukunft nicht auf die christlichen Religionen oder sogar nur auf die römisch-katholische Kirche beschränkt bleiben. »Alle Rechte für alle Religionen« oder »keine Rechte für irgendeine« ist alternativlos, und weil Österreich den Religionen Rechte einräumt, müssen diese auf alle erweitert werden (»parity claims«). Ein islamischer Religionsunterricht in den Schulen und eine islamische Theologieausbildung an der Universität sind daher konsequente und folgerichtige Entwicklungen.
4.3 Grenzen der Anerkennung von religiös verankerter Verschiedenheit
Die Anerkennung von religiös verankerter Verschiedenheit hat aber auch ihre Grenzen. Und diese Grenzen sind durch die Normen der Verfassung und unseres Rechtssystems