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verstand es tatsächlich nicht. Sie hatte an allen erdenklichen Demonstrationen gegen den Krieg teilgenommen, ob es regnete, stürmte oder die Sonne schien. Sie verstand nicht, dass es für ausgebildete Soldaten plötzlich überraschend war, dass im Krieg Menschen getötet und verletzt wurden. Sie kehrten als psychisch angeschlagene Nervenbündel zurück und brauchten psychologische Krisenhilfe, weil der Feind sie angeschossen hatte und sie Menschen hatten sterben sehen. Ja, was hatten sie denn erwartet? Warum denn hatten sie überhaupt Soldaten werden wollen? Würde endlich kein Mensch mehr Soldat werden wollen, könnten auch keine Kriege mehr geführt werden.

      Sie stand auf, schaltete Britts Radio aus und schenkte sich eine zweite Tasse Kaffee ein. Einzig das Geräusch des leise summenden Computers war zu hören. Sie war endlich allein, hatte ihre Ruhe.

      Britts Telefon klingelte noch ein paarmal, aber sie nahm den Hörer nicht ab. Sie hatte schließlich einen Artikel zu schreiben.

      Es waren ein paar Mails gekommen, während sie außer Haus war. Auch von Kamilla war eine dabei. Die Fotos. Anna überflog rasch die Aufnahmen. Es fehlte noch etwas Fleisch drauf, wie man im Jargon zynischerweise sagte, aber insgesamt war sie doch recht zufrieden. Sie wählte ein paar Fotos aus, die sie für ihren Artikel verwenden wollte. Er war recht schnell geschrieben, schließlich gab es auch noch nicht viele konkrete Informationen, die sie hätte verarbeiten können. Danach überflog sie die Mails und beantwortete kurz die wichtigsten, auf die sie zeitnah reagieren musste. Als sie bei der letzten Mail angelangt war, erstarrte sie. Wie konnte es möglich sein, dass er sie doch schon wieder gefunden hatte? So schnell? Ohne es bewusst wahrzunehmen, strich sie sich über die Narbe am Auge. Dann riss sie sich zusammen, löschte die Mail, ohne sie gelesen zu haben, und zog Thygesens Auftrag aus der obersten Schublade der Briefablage.

      10

      Seit dem Bruch mit Sanne hatte sich Danny nicht mehr allzu sehr für das andere Geschlecht interessiert. Nun saß er da und beobachtete ihr Gesicht, während sie sprach. Da war etwas in dem Ausdruck ihrer blaugrünen Augen, was ihn berührte. Sie musste Mitte bis Ende dreißig sein. Ihr Gesicht war deutlich vom Leben geprägt – sowohl von Freude als auch Trauer –, was ihm einen reifen Ausdruck verlieh. Wenn sie lächelte, traten die feinen Falten um ihre Augen deutlicher hervor. Das helle Haar war mit einer Spange zu einer improvisierten, lockeren Frisur hochgesteckt. Eine ihrer hellen Locken hatte sich in die Stirn verirrt. Er ertappte sich dabei, dass er ein heftiges Verlangen verspürte, diese Locke zärtlich wegzustreichen. Sie hatte bezaubernde kleine Sommersprossen auf der Nase. Und dann war sie Fotografin. Für ihn waren Fotografen immer Männer gewesen, die mit gierigen Blicken und sabbernden Lippen schöne Models in eng sitzender Unterwäsche fotografierten und dazu teerschwarzen Kaffee tranken, der am Boden einer Glaskanne in der Kaffeemaschine hinten im Raum langsam trocken kochte. Aber hier in Jütland verhielt es sich offenbar anders.

      »Was steht denn als dein nächstes Werbeprojekt an, Danny?«, fragte Majken – sie waren inzwischen alle vier zum vertraulichen Du übergewechselt – und lehnte sich einladend zu ihm herüber, so dass er tief in ihr Dekolleté blicken konnte. Was er auch ausgiebig tat – er konnte nicht anders. Die Begegnung mit diesem Troels Mortensen hatte ihn zunächst irritiert, schließlich hatte er das Bedürfnis gehabt, allein zu sein und nachzudenken. Aber nun musste er zugeben, dass die Gesellschaft, die das Treffen mit sich gebracht hatte, bestimmt nicht schlecht für ihn war.

      »Zur Zeit mache ich eine kleine Pause – setze für ein Jahr aus«, sagte er und zwinkerte Kamilla zu.

      »Woher kennt ihr euch eigentlich – du und Troels?«, fragte Majken neugierig.

      Er leerte den letzten Schluck Wasser in seinem Glas. Die Eiswürfel waren geschmolzen, und das Wasser war in der Sonne, die auf den Tisch knallte, lauwarm geworden. Er erklärte, dass sie einander eigentlich gar nicht kannten, sondern er sich vielmehr aus Versehen an Troels’ Tisch gesetzt hatte, ohne zu bemerken, dass er bereits besetzt war.

      »Schicksal«, sagte Troels mit geheimnisschwerer Stimme, wozu er große Augen und gespenstisch wirkende Bewegungen machte. Danny konnte sich eines Schauderns nicht erwehren, hatte ihm das Schicksal in seinem Leben doch bereits reichlich genug zugesetzt. Und wer war dieser Mann überhaupt, mit dem er den Tisch geteilt hatte? Er hatte bereits nach Alkohol gerochen, als er sich zu ihm setzte.

      »Bist du mit dem Auto da?«, wandte sich Majken an Troels, als hätte sie genau denselben Gedanken.

      »Natürlich.« Troels leerte sein Glas und setzte es hart auf den Tisch auf, als könne er den Abstand nicht mehr richtig einschätzen.

      »Wäre es nicht klüger, ein Taxi zu nehmen, Troels?«, fragte Majken vorwurfsvoll.

      Danny hörte genau die Wörter seiner Kollegen wieder, genau im gleichen Lokal mit vom Alkohol schwerer Zunge ausgesprochen. Warum hatte er damals nicht auf sie gehört? Dann würde heute alles anders aussehen.

      Troels hob sein Glas und prostete ins Leere. »Meine Ärztin spricht!«, sagte er mit feierlicher Stimme. »Aber ich fahr verdammt noch mal besser, wenn ich ein bisschen beschwiehipst bin«, fuhr er mit übertrieben betrunkener Stimme fort und nickte dazu triumphierend.

      Kamilla griff sich ihre kleine Handtasche, stand auf und begab sich zu den Toiletten. Wie Troels sich aufführte, erfüllte sie mit Abscheu. Sie musterte ihr Gesicht im Spiegel und hatte gerade angefangen, sich die Hände zu waschen, als eine Frau mit einem kleinen Kind hereinkam. Während sie sich Lippenstift auftrug, beobachtete sie heimlich, wie die Frau dem kleinen Mädchen half, an das für sie zu hoch hängende Waschbecken zu gelangen, um sich die Hände zu waschen. Dabei sprach sie ruhig und belehrend mit dem Kind. So hatte auch sie einst Rasmus geholfen. Als die beiden wieder gegangen waren und sich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte, atmete sie tief durch, um das beklemmende Gefühl aus ihrer Brust loszuwerden.

      Die beiden Polizisten, die an jenem Abend an ihrer Tür geklingelt hatten, würden ihr immerzu im Gedächtnis bleiben. Genauso wie die vernichtende Leere, die damals plötzlich auf sie eingestürzt war, und der hässliche, jammernde Schrei, der von irgendwo hergekommen war – sie konnte gar nicht glauben, dass er seinen Ursprung in ihrer eigenen Brust hatte. Der Hass auf den Mann, der in betrunkenem Zustand am Steuer jenes Autos gesessen hatte, war wieder da. Sie würde ihm niemals vergeben können.

      Er hatte ihr das Beste genommen, was sie im Leben noch gehabt hatte. Als sie nun ihr Gesicht im Spiegel betrachtete, konnte sie sehen, dass sie sich verändert hatte. Die Augen lagen tiefer in den Höhlen, und die feinen Falten auf der Stirn schienen direkt von ihrem tiefen Kummer gegraben. Aber das Äußerliche war nicht das Schlimmste. Dem wäre abzuhelfen. Doch es stimmte etwas in ihrem Inneren nicht mehr. Als sei durch die Worte der Polizisten und das, was danach gekommen war, etwas in ihr zerstört worden.

      Majken hatte ihr von den vier Trauerphasen erzählt: Zuerst die Schockphase, in der sie sich der Wirklichkeit verweigert hatte und alles Chaos gewesen war. Sie erinnerte sich an fast nichts aus dieser Zeit. Dann folgte die Reaktionsphase, in der ihr langsam bewusst geworden war, was geschehen war. Dass sie Rasmus für immer verloren hatte. Diese Zeit blieb für sie deutlich als der größte Schmerz in Erinnerung, den sie jemals erlebt hatte. Majken zufolge sollte sie jetzt in der Verarbeitungsphase sein. Die letzte Phase nannte sie dann die Neuorientierungsphase, in der schließlich neue Interessen den Verlust von Rasmus ersetzen würden. Sie hatte das Gefühl, dass sie die Phase nie erreichen würde. Wie sollte das auch geschehen?

      Auf dem Weg zurück an den Tisch traf sie auf Danny. Er stand an der Tür und war dabei, sich eine Zigarette anzuzünden. Sie sahen einander an, ohne etwas zu sagen. Sie roch den Rauch seiner Zigarette. Mit dem schwachen Duft seines Aftershaves gemischt wirkte er recht angenehm. Normalerweise mochte sie Zigarettenqualm nicht.

      Danny brach als Erster das Schweigen. »Ich fahre Troels Mortensen nach Hause. Dann kann er morgen das Auto holen kommen, wenn er wieder nüchtern ist.«

      »Ich glaube, das ist eine gute Idee«, murmelte sie.

      Das Gespräch versiegte. Sie blickte zum Tisch hinüber, wo sich Majken gerade von Troels verabschiedete. Es machte sie verlegen, mit dem geheimnisvollen Mann allein zu sein. Er war nicht auf die gleiche Weise schön wie die männlichen Models, die

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