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verbeugte sich, wie er es in der Berufsschule für Kellner gelernt hatte. Der Kellner reichte ihm noch die Weinkarte, aber er winkte mit einer knappen Handbewegung ab und bat stattdessen um einen Krug kaltes Wasser mit Eiswürfeln.

      Während er auf den Lachs wartete, schweiften seine Gedanken zu jenem festlichen Empfang zurück. Alle waren sie so fröhlich und sorglos gewesen. Nichts hatte ihnen passieren können.

      Unvermittelt setzte sich ein langer, schlanker Mann auf den Stuhl ihm gegenüber, ein Sandwich auf dem Teller und ein kaltes Bier in der Hand. Aus seinen Erinnerungen gerissen, nahm er erst jetzt wahr, dass auch am Stuhl gegenüber eine Jacke hing und er sich also an einen Tisch gesetzt hatte, der schon besetzt war. Er entschuldigte sich und wollte aufstehen, aber der schlanke Mann bat ihn zu bleiben.

      »Ich kann ein wenig Gesellschaft brauchen. Troels Mortensen«, stellte er sich vor, bevor er sich seinem Sandwich zuwendete.

      »Danny Cramer. Sind Sie sicher, dass ich nicht störe?«

      Der andere kaute und nickte nachdrücklich. »Sie sind nicht von hier, oder? Kopenhagener?«

      Er erklärte, dass er Seeländer sei und sich in Jütland in den Ferien befinde.

      Kurz danach wurde der Lachs serviert.

      »Das sieht verdammt gut aus«, sagte Troels und nickte zu seinem Teller hin. »Jemand, der sich’s leisten kann. Darf ich fragen, was Sie beruflich machen?«

      »Ich arbeite in der Führungsetage einer Werbeagentur«, antwortete er, wohl wissend, dass der andere keine Ahnung haben würde, was das bedeutete. Nicht viele haben eine Vorstellung davon, was in der Werbebranche vor sich geht, hatte er erfahren müssen. Sie rümpfen nur die Nase über die viele Werbung im Briefkasten und werfen sie in den Mülleimer. Manchmal sogar, ohne sie auch nur mit einem einzigen Blick anzusehen. Ohne zu wissen, dass hinter den bunten Seiten harte Arbeit steckt.

      »Und Sie?«

      Troels Mortensen zuckte gleichgültig die Schultern. »Ich bin immer beim Militär gewesen und vor einem Jahr aus dem Irak zurückgekommen. War verdammt gut, einmal das wirkliche Leben als Soldat kennenzulernen und nicht einfach nur irgendwo auf einem Übungsplatz zu liegen und bäng, bäng zu sagen.« Er lachte mit vollem Mund.

      Danny nahm einen Schluck aus seinem Wasserglas. Er war froh darüber, dass er selbst nicht die militärische Laufbahn eingeschlagen hatte, die das Risiko mit sich bringt, international versetzt zu werden – nach Bosnien, ins Kosovo, nach Afghanistan, in den Irak und weiß Gott, was der Welt sonst noch bevorstand. Er hatte seinen Wehrdienst abgeleistet, das war für ihn genug. Er bevorzugte ein ruhigeres und sicheres Leben, auch wenn sein jetziges an ein Leben in Einsamkeit grenzte.

      »Und was machen Sie jetzt, zu Hause – Urlaub?«, fragte er, um das Gespräch in Gang zu halten.

      »Nein, ich habe meine Militärlaufbahn an den Nagel gehängt. Jetzt lebe ich ganz für die Fischerei. Ich habe hier in Egå einen Laden eröffnet. Angelzubehör und so weiter.« Er sagte es mit einem gewissen Stolz in der Stimme.

      Nachdem er den perfekt bereiteten Lachs genossen hatte, saß er nun da und genoss die Aussicht. Er fühlte sich jetzt besser und fing an zu glauben, dass ihm das Wiedersehen mit dieser Gegend in der Tat würde helfen können. Auf einmal beugte sich eine große schlanke Frau über den Mann am Tisch. Ihre Haare hatten einen rötlichen Schimmer, als die Sonne darauf schien. Ihr Parfüm roch zart und diskret.

      »Hallo, Troels!«, sagte sie und sah Danny dabei fragend und mit sehr blauen Augen an.

      »Was zum Teufel – Sie sind auch hier!« Troels erhob sich verlegen, und während er seinen Arm ungeschickt um den Rücken der Frau legte, stellte er ihr Danny vor, der sich nun verpflichtet fühlte, ebenfalls aufzustehen.

      »Das ist Majken Thorup«, stellte Troels vor. »Sie ist Ärztin – und eine Gehirnverdreherin.«

      Sie reichte Danny ihre schmale Hand, während sie Troels mit einem finsteren Blick bedachte, in dem eine Warnung lag. Sie hatte einen warmen und selbstsicheren Händedruck.

      »Wollen Sie sich nicht setzen?«, fragte Troels und deutete mit einer respektvollen Handbewegung auf einen der freien Stühle am Tisch.

      Danny kam sich plötzlich aufdringlich vor. Vielleicht hatte Troels auf sie gewartet, und jetzt hatte er ihr den Platz weggenommen?

      »Danke nein, ich warte auf eine Freundin«, erwiderte sie und warf einen Blick auf ihre Armbanduhr, um dann wieder Danny anzusehen. Ihre Augen hatten einen prüfenden Ausdruck, als würde sie ihn analysieren. »Kopenhagener?«, sagte sie.

      Es klang mehr wie eine Feststellung denn wie eine Frage. Warum denken die Jütländer immer, dass alle Seeländer aus Kopenhagen kommen?, dachte er.

      »Nein, Klampenborg – nahe beim Freizeitpark Dyrehavsbakken; der Ort, wo die Galopprennbahn ist«, erklärte er, um zu betonen, dass sein Kopenhagener Vorort nichts mit der Kleinen Meerjungfrau, den Sexshops in der Istedgade oder der Pusherstreet in Christiania zu tun hatte. »Aha, dort wo man ›Galf‹ spielt und ›Galapp‹ reitet«, ahmte Troels Mortensen lachend den hochgestochenen Akzent seiner Heimatgegend nach, wobei er übertrieben die Nase rümpfte und den kleinen Finger ausstreckte, was nun auch Danny zum Lachen brachte.

      6

      Kamilla warf die welken Blumen in den Abfalleimer auf dem Friedhof. Wann immer sie sich zwang, die eigenen vier Wände zu verlassen, begab sie sich zu dieser Bank auf dem Friedhof des Aarhuser Vororts Egå, zu dem sie es nicht weit hatte. Hier saß sie dann, gegenüber von Rasmus’ Grab, und starrte auf den runden Marmorstein, der in goldenen Lettern seinen Namen trug. Darunter der Text: »Brutal aus dem Leben gerissen – für immer vermisst.«

      Der Friedhof war ein schöner, friedvoller Ort, besonders zu dieser Jahreszeit und ganz speziell jetzt, da die Sonne schien und die Blumen auf den vielen Gräbern in voller Blüte standen.

      Als Kind hatte sie vor Friedhöfen Angst gehabt und sich gefürchtet, wenn sie in der Dunkelheit an einem vorbeigehen musste. Sie hatte sich immer vor der Dunkelheit gegraust. Sie war in Horsens aufgewachsen, fünfzig Kilometer weiter südlich, wo es ganze drei Friedhöfe gab. Einer davon, Nordre Kirkegård, hatte nahe ihrer Schule gelegen, und wenn sie an den dunklen Wintermorgen, an denen ihr die Kälte in die Wangen biss, vorbeigelaufen war, hatte sie hineingeschielt und ihre Angst vor den Toten gespürt. Ihr Vater lag dort begraben. Sie war sieben Jahre alt gewesen, als er starb, und sie erinnerte sich nur schwach daran, wie sie seinen Sarg ins Grab hinabgelassen hatten. Der Gedanke, dass er dort tief in der Erde in einer Holzkiste lag, hatte bei ihr Klaustrophobie ausgelöst. Der Schularzt hatte geglaubt, dass sie an Asthma litt. Sie war nicht oft an seinem Grab gewesen, auch nicht als Erwachsene. Im Übrigen hatte sie auch kein enges Verhältnis zu ihm gehabt, als er noch lebte. In ihrer Erinnerung hatte sich einzig sein Geruch nach Fisch festgesetzt, wenn er abends müde von seiner harten Arbeit bei einem Fischexporteur im Örtchen Snaptun nach Hause gekommen war und ihr abwesend über die Wange streichelte. Sie erinnerte sich an keine gemeinsamen Erlebnisse oder herzliche Umarmungen. Letzteres galt übrigens auch für ihre Mutter. Die Mutter war in einer von der Inneren Mission geprägten frommen Fischerfamilie an der rauen jütländischen Nordseeküste aufgewachsen, aber in ihrer Jugend hatte sie gegen ihre pietistische Familie rebelliert und war an die Ostküste gezogen, um zu studieren. Noch bevor sie mit dem Studium anfangen konnte, lernte sie den Fischereiarbeiter kennen und heiratete ihn. Aber die Prägungen ihrer Kindheit und ihrer strengen Erziehung ließen sie nicht los. Nachdem der plötzliche Tod ihres Mannes aus ihr eine junge Witwe mit einer siebenjährigen Tochter gemacht hatte, betrachtete sie diesen Verlust als eine Strafe Gottes, den sie verleugnet hatte. Sie wurde verbittert und verschlossen und lebte fortan ein Leben ohne Freude. Den tragischen Tod ihres Enkels empfand sie dann ebenfalls als eine Strafe. Der Fluch Gottes werde die ganze Familie für den Rest ihres Lebens verfolgen und Gott werde alle, die wir lieben, von uns nehmen, weil wir gesündigt hätten, wurde sie nicht müde zu predigen.

      Nur Kamilla und ein älterer Herr befanden sich auf dem Friedhof. Er legte gerade Blumen auf ein Grab oben an der blendend weißen Kirche. Sie fand die Kirche schön. Der älteste Teil stammte

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