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Perry Rhodan Neo 239: Merkosh. Rüdiger Schäfer
Читать онлайн.Название Perry Rhodan Neo 239: Merkosh
Год выпуска 0
isbn 9783845354392
Автор произведения Rüdiger Schäfer
Жанр Языкознание
Серия Perry Rhodan Neo
Издательство Bookwire
Gegenüber dem Hochlehrer erwähnte Merkosh solcherlei Überlegungen selbstverständlich nicht. Das wäre nicht nur respektlos gewesen, sondern widersprach auch dem hierarchischen Denken, in dem jeder Oproner von frühester Kindheit an geschult wurde. Depultash wusste, was er tat. Seine Stellung, seine Reputation und sein immenses Fachwissen ließen daran keinen Zweifel. Wenn er eine Katalogisierung aller auf Polkott infizierten Lebensformen für nötig hielt, gab es triftige Gründe dafür. Merkosh war lediglich zu unerfahren, um sie nachvollziehen zu können.
»Ich bin immer vorsichtig«, sagte Aysiria. Es dauerte nur wenige Augenblicke, dann hatte sie den Extraktor tief in das Wurzelnetz gestoßen und die entnommene Probe in der Kapsel versiegelt.
Merkosh trat hinter sie und betrachtete die feucht glänzenden Fäden, die sich wie dünne Würmer über den Schaft eines gewaltigen Baums gelegt hatten. Stellenweise waren schwarze Einsprengsel zu erkennen, die sich wie Farbspritzer über das Geflecht verteilten. Ein Test der Basenverteilung in den Zellkernen hatte ergeben, dass die schwarzen Punkte Dunkelleben waren. Das Quasivirus hatte bereits damit begonnen, den DNS-Code der Wurzel umzuschreiben.
»Was meinst du?«, fragte Aysiria. »Ist dieses Wurzelding ein Parasit, der nur bestimmte Bäume befällt? Dann wäre es interessant zu erfahren, ob er seine virale Mutation auf sein Opfer überträgt. Und vor allem wie schnell ...«
»Ich bin kein Botaniker«, gab Merkosh mürrisch zurück. »Ich dachte eigentlich, das wäre eine medizinische Expedition.«
»Ist es auch.« Aysiria drehte sich zu ihm und lächelte ihn an. »Muss ich ausgerechnet dir erklären, dass die Grenzen zwischen den Wissenschaften umso mehr verwischen, je exakter wir die Dinge betrachten? Ohne Physik keine Chemie. Ohne Chemie keine Biologie. Und ohne Biologie, zu der die Botanik gehört, keine Medizin. Die Natur ordnet ihre Geheimnisse keinen Fachgebieten zu. Das tun nur wir, damit wir nicht den Überblick verlieren.«
»Ja, ja, schon gut. Lass uns weitermachen. Vielleicht finden wir zur Abwechslung ein paar infizierte Käfer oder Spinnen. Wäre das nicht toll?«
Aysiria lachte hell und stupste ihn mit der flachen Hand vor die Brust. Dabei übertrug sie einige Symbole, die sich warm und prickelnd über die sensorischen Zellen von Merkoshs Haut fortpflanzten. »Forschung besteht zu neunundneunzig Prozent aus Langeweile und zu einem Prozent aus Erkenntnis«, sagte sie.
»Soll mich das aufmuntern?«
Die Opronerin antwortete nicht. Stattdessen ging sie tiefer in den Wald hinein. Merkosh sah ihr einen Moment lang nach; dann seufzte er, rückte seinen Tragebeutel zurecht und folgte ihr. Depultash hatte sie einem gemeinsamen Team zugeteilt, und wie Merkosh inzwischen wusste, war das kein Zufall gewesen. Aysiria und der alte Hochlehrer pflegten ein überaus herzliches Verhältnis. Merkosh vermutete sogar, dass seine Teilnahme an dieser Expedition ursprünglich gar nicht vorgesehen gewesen war. Für ein derartiges Unternehmen war er eigentlich noch viel zu jung. Zudem stand er erst am Beginn seiner Ausbildung zum Mediker. Aysiria hatte sich womöglich für ihn verwendet. Gefragt hatte er sie diesbezüglich nicht, denn es war nicht wichtig. Hauptsache, sie waren zusammen.
Zehn Minuten später erreichten sie eine Art Lichtung. Dort standen die Bäume etwas weniger dicht und ließen mehr Sonnenlicht durch. Polkott umkreiste als vierter von acht Planeten einen gelben Zwerg der Spektralklasse G. Seine Oberfläche war meistenteils von Wäldern bedeckt. Es gab zwei größere Ozeane und unzählige Flüsse, die sich als enges Flechtwerk durch die üppige Flora zogen. Die Temperaturen lagen fast auf der gesamten Dschungelwelt im Bereich um die vierzig Grad Celsius. Bei einer Luftfeuchtigkeit von hundert Prozent hielt man es da ohne Schutzanzug nicht lange aus.
Die Lichtung wurde von einem kleinen Bach beherrscht, der sich in einen Tümpel von mehreren Metern Durchmesser ergoss. Rund um sein Ufer wuchsen Moosteppiche, die teilweise bis ins Wasser hineinreichten. Die Rinde der Bäume war rau und rissig; dazwischen wucherten die weißen Fadenwurzeln, die sie bereits kannten, nur dass sie diesmal von winzigen, roten Blüten übersät waren.
Hat der Befall mit Dunkelleben die Keimphase beeinflusst?, überlegte Merkosh. Am besten nehmen wir auch von den gesunden Pflanzen ein paar Exemplare mit, damit wir etwas zum Vergleichen haben ...
»Was ist das?«
Aysirias Frage beendete seine kurzen Grübeleien. Sie war vor einem flachen Hügel in die Knie gegangen und betrachtete ihn interessiert. Als Merkosh näher kam, sah er, dass sich die Oberfläche der kegelförmigen Erhebung bewegte.
Insekten, begriff er sofort. Offenbar waren sie auf ein Nest einer Spezies von Gliederfüßern gestoßen. Die nur wenige Zentimeter langen Tiere ähnelten Goldwebern, die zu Beginn der opronischen Kulturentwicklung für große Ernteschäden gesorgt und mehrere planetare Hungersnöte ausgelöst hatten. Die sechsbeinigen Schädlinge verfügten über einen flachen Ellipsenkörper und waren nicht nur ungewöhnlich hungrig, sondern auch sehr fortpflanzungsfreudig gewesen. Mittlerweile stellten sie natürlich keine Gefahr mehr dar.
Die Goldweber hatten ihren Namen erhalten, weil sie die Reste der Pflanzen, die sie fraßen, mit einer hauchdünnen Schicht aus Eiweißmolekülen überzogen: Ausscheidungsprodukte ihres Stoffwechsels, der Proteine nicht verwerten konnte. Diese glänzten golden, was zwar wunderschön aussah, aber für die Landwirtschaft der frühen opronischen Epochen ein Sinnbild von Tod und Zerstörung geworden war.
»Sechs Beine, kein gegliederter Rumpf, keine Flügel, kein erkennbarer Kopf«, stellte Aysiria fest. »Nicht besonders ausentwickelt, die kleinen Kerlchen.«
»Auch die Evolution macht mal Pause«, kommentierte Merkosh.
»Manchmal redest du einen ganz schönen Unsinn.« Sie kramte eine weitere Probenkapsel aus ihrer Tasche.
»Was willst du mit den Viechern?«, wunderte sich Merkosh. »Sie sind offensichtlich nicht infiziert.«
»Und genau das ist der Punkt«, gab Aysiria zurück. »Sie existieren in unmittelbarer Nähe mehrerer vom Dunkelleben befallener Arten, weisen aber keine Eigeninfektion aus. Findest du nicht, dass wir das genauer untersuchen sollten?«
Seine Partnerin hatte recht, und Merkosh ärgerte sich darüber, dass er das nicht sofort selbst erkannt hatte. Der Umstand, dass ihn seine Arbeit langweilte, durfte sich nicht auf deren Qualität auswirken. Gerade wenn es um das Dunkelleben ging, waren Gründlichkeit und Sorgfalt oberstes Gebot.
Er verfolgte, wie die Opronerin einige der Insekten einsammelte und danach die Probenkapsel verschloss. Später wusste er nicht mehr, was ihn dazu veranlasste, den Kopf zu heben und nach oben zu schauen. Vielleicht eine Bewegung, die er aus dem Augenwinkel wahrgenommen hatte. Oder ein Geräusch, das für einen Moment aus dem Plätschern des Wassers und dem Rauschen des Blattwerks herausstach. Er stellte sich nur immer wieder die Frage, ob er noch etwas hätte tun können, wenn er die Gefahr eine oder zwei Sekunden früher bemerkt hätte.
Der Kokon hing direkt über Aysiria. Er war mit dem schmalen, schlauchartigen Ende an einer Astgabel befestigt und etwa einen Meter lang. Sein rhythmisches Pulsieren registrierte Merkosh nur einen Lidschlag lang. Dann platzte das sackähnliche Gebilde mit einem dumpfen Schlag auf und entleerte seinen Inhalt auf die noch immer vor dem Hügel kauernde Frau.
Aysiria schrie. Von einem Augenblick auf den anderen war sie von Zehntausenden, eventuell sogar Hunderttausenden Insekten bedeckt. Die Tiere sahen genauso aus wie ihre Pendants auf dem Hügel, waren jedoch pechschwarz – fraglos infolge einer Infektion mit Dunkelleben. Sie wimmelten und wuselten über den Körper der Opronerin und bedeckten praktisch jede Stelle ihres Schutzanzugs.
In ihrer ersten Panik sprang sie auf und schlug unkontrolliert um sich, versuchte, die winzigen Krabbler abzustreifen. Doch dort, wo sie einen Teil von ihnen entfernt hatte, rückten sofort andere nach und füllten die Lücke. Dabei erzeugten sie ein unangenehmes Schaben, als glitte