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Zu Vermieten. John Galsworthy
Читать онлайн.Название Zu Vermieten
Год выпуска 0
isbn 9783958131255
Автор произведения John Galsworthy
Жанр Языкознание
Серия Forsyte
Издательство Bookwire
Fleur erhob sich von ihrem Stuhl – schnell und rastlos – und ließ sich an einem Schreibtisch nieder. Sie griff nach Füllfederhalter und Papier und fing an zu schreiben, als habe sie keine Zeit zu atmen, ehe der Brief nicht geschrieben war. Und plötzlich sah sie ihn. Der Ausdruck völliger Versunkenheit verschwand, sie lächelte, warf ihm eine Kusshand zu, machte ein hübsches Gesicht, als sei sie ein wenig verwirrt und ein wenig gelangweilt.
Ach! Sie war fine – fine!
In Robin Hill
Jolyon Forsyte hatte den neunzehnten Geburtstag seines Sohnes in Robin Hill verbracht und sich in Ruhe mit seinen Angelegenheiten beschäftigt. Er tat nun alles in Ruhe, weil sein Herz Probleme machte, und wie alle in seiner Familie verabscheute er den Gedanken, sterben zu müssen. Ihm war nie bewusst gewesen, wie sehr, bis er eines Tages vor zwei Jahren wegen gewissen Symptomen zu seinem Arzt gegangen war und dieser ihm gesagt hatte: »Jeden Augenblick, bei jeglicher Überanstrengung.«
Er hatte es mit einem Lächeln aufgenommen – die natürliche Reaktion eines Forsyte, wenn er mit der unangenehmen Wahrheit konfrontiert wird. Doch als sich die Symptome auf der Heimfahrt im Zug verschlimmert hatten, war ihm voll bewusstgeworden, welches Urteil da über ihm schwebte. Irene zurückzulassen, seinen Jungen, sein Zuhause, seine Arbeit – obwohl er jetzt schon recht wenig arbeitete! Sie zurückzulassen, um in unbekannte Dunkelheit davonzugehen, in den unvorstellbaren Zustand, in ein solches Nichts, dass er nicht einmal den Wind wahrnehmen würde, der die Blätter auf seinem Grab bewegte, oder den Geruch von Erde und Gras. In ein solches Nichts, dass er es niemals erfassen könnte, wie sehr er es auch versuchte, und dennoch müsste er an der Hoffnung festhalten, dass er jene, die er liebte, wiedersehen würde! Diese Erkenntnis bereitete ihm bitterste Seelenqual.
Noch bevor er an jenem Tag zu Hause angekommen war, hatte er den Entschluss gefasst, Irene nichts davon zu sagen. Er würde vorsichtiger sein müssen, als es je ein Mensch gewesen war, denn die kleinste Kleinigkeit würde es verraten und sie beinahe so unglücklich machen wie ihn selbst. Sein Arzt hatte ihn ansonsten für gesund befunden, und siebzig war kein Alter – er würde es noch lange machen, wenn er konnte!
Ein solcher Entschluss, der seit fast zwei Jahren befolgt wurde, bringt die feinsinnige Seite eines Wesens in vollem Maße hervor. Jolyon, der von Natur aus nicht unbedacht war, außer bei nervöser Erregung, war die Selbstbeherrschung in Person geworden. Die traurige Geduld alter Menschen, die Anstrengung vermeiden müssen, wurde hinter einem Lächeln verborgen, das sogar dann auf seinen Lippen blieb, wenn er allein war. Er ließ sich ständig allerlei Tarnung einfallen, um den Mangel an Anstrengung, zu dem er gezwungen war, zu verbergen.
Obwohl er sich deswegen über sich selbst lustig machte, gab er vor, zum einfachen Leben bekehrt worden zu sein, er gab Wein und Zigarren auf und trank eine besondere Art Kaffee, in der gar kein Kaffee war. Kurzum, er sorgte dafür, dass er so sicher war, wie es ein Forsyte in seiner Situation sein konnte, unter dem Schleier seiner milden Ironie. Vor Entdeckung sicher, da seine Frau und sein Sohn in die Stadt gefahren waren, hatte er den schönen Maitag damit verbracht, in Ruhe seine Papiere zu ordnen, damit er morgen sterben könnte, ohne irgendjemandem Umstände zu machen, indem er seinen irdischen Angelegenheiten den letzten Schliff gab.
Nachdem er sie beschriftet und in dem alten chinesischen Schrank seines Vaters eingeschlossen hatte, packte er den Schlüssel in einen Umschlag, schrieb darauf die Worte: »Schlüssel zum chinesischen Schrank, in dem sich eine detaillierte Darlegung meines Vermögens befindet, J. F.«, und steckte ihn in seine Brusttasche, wo er immer bei ihm sein würde, falls ihm etwas zustoßen sollte. Dann läutete er nach dem Tee und ging nach draußen, um ihn unter der alten Eiche zu trinken.
Jeder ist zum Sterben verurteilt, Jolyon, dessen Urteil nur ein wenig präziser und näher bevorstehend war, hatte sich so sehr daran gewöhnt, dass er wie andere auch meist an andere Dinge dachte. In diesem Moment dachte er an seinen Sohn.
Jon war an diesem Tag neunzehn geworden, und Jon war kürzlich zu einer Entscheidung gekommen. Er war weder in Eton zur Schule gegangen wie sein Vater, noch in Harrow wie sein toter Halbbruder, sondern hatte eine jener Institutionen besucht, die dazu gedacht waren, das Schlechte des Privatschulsystems zu vermeiden und das Gute daran zu erhalten, die dabei aber möglicherweise auch das Schlechte erhielten und das Gute vermieden, und so hatte Jon diese im April verlassen, ohne auch nur ansatzweise zu wissen, was er werden wollte.
Der Krieg, von dem man gemeint hatte, er würde ewig weitergehen, hatte ausgerechnet sechs Monate, bevor er der Armee hatte beitreten können, geendet. Seitdem hatte er versucht, sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass er nun selbst entscheiden konnte. Er hatte mehrere Unterhaltungen mit seinem Vater darüber geführt, aus denen Jolyon ziemlich deutlich erkannt hatte, dass Jon hinter seiner munter präsentierten Bereitschaft zu allem – abgesehen natürlich von Kirche, Armee, Rechtswesen, Schauspielerei, Börse, Medizin, Wirtschaft und Technik – eigentlich nichts machen wollte. Ihm war es in dem Alter ganz genauso gegangen. In seinem Fall war diese angenehme Leere bald durch eine frühe Heirat und deren unglückliche Konsequenzen beendet worden. Er war gezwungen gewesen, Versicherungsgeber bei Lloyd’s zu werden und war so wieder zu Wohlstand gelangt, bevor sein künstlerisches Talent zutage getreten war. Doch da er seinem Sohn – wie einfache Leute es nennen – beigebracht hatte, Schweine und andere Tiere zu zeichnen, wusste er, dass aus Jon niemals ein Maler werden würde, und er war zu dem Schluss geneigt, dass seine Abneigung gegen alles andere bedeutete, dass er Schriftsteller werden würde. Da er jedoch der Ansicht war, dass man selbst für diesen Beruf Erfahrung brauchte, schien es Jolyon, dass Jon in der Zwischenzeit nichts anderes übrigbleibe als Studieren, Reisen und vielleicht eine Einführung in juristische Kreise. Danach würde man sehen, oder wahrscheinlich eher nicht. Angesichts dieser sich ihm bietenden Verlockungen war Jon jedoch unentschlossen geblieben.
Solche Unterhaltungen mit seinem Sohn hatten Jolyons Zweifel bekräftigt, ob die Welt sich überhaupt verändert hatte. Die Leute sagten, es sei ein neues Zeitalter. Mit der Tiefgründigkeit eines Menschen, dem nicht allzu viel Zeit für irgendein Zeitalter blieb, erkannte Jolyon, dass die Ära unter leicht veränderten Oberflächen noch immer genau dieselbe war. Die Menschheit war noch immer in zwei Arten unterteilt: die wenigen, denen Nachdenklichkeit und Fantasie gegeben war, und die vielen, denen das nicht gegeben war, und dazwischen eine Schicht von Mischlingen wie ihm selbst. Jon schien Nachdenklichkeit und Fantasie gegeben zu sein, sein Vater hatte den Eindruck, dass das nichts Gutes verhieß.
Deshalb hatte er mit etwas Tieferem als seinem üblichen Lächeln den Jungen vor zwei Wochen sagen hören: »Ich möchte es mit Landwirtschaft versuchen, Papa, wenn es dich nicht zu viel kostet. Das scheint wohl die einzige Art zu leben zu sein, die niemandem schadet, abgesehen von Kunst, und die kommt für mich natürlich nicht in Frage.«
Jolyon unterdrückte sein Lächeln und antwortete: »In Ordnung, dann sollst du also dorthin zurückkehren, wo der erste Jolyon 1760 angefangen hat. Das wird die Theorie beweisen, dass alles ein Kreislauf ist, und außerdem könntest du zweifelsohne bessere Rüben hervorbringen als