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waren. Also schwappte das jetzt auch hierher über? Er erinnerte sich an die erste Grippewelle 1887 – oder 88 –, die, wie es hieß, in China ihren Ursprung hatte. Er fragte sich, wo dieser – dieser Expressionismus seinen Ursprung hatte. Das Ganze war eine regelrechte Krankheit!

      Er hatte eine Frau und einen jungen Mann bemerkt, die zwischen ihm und Future Town standen. Sie wandten ihm den Rücken zu, doch dann hob Soames ganz plötzlich seinen Katalog vor das Gesicht, zog seinen Hut nach vorne in die Stirn und starrte durch den Schlitz dazwischen. Diesen Rücken, elegant wie eh und je, obwohl das Haar darüber grau geworden war, konnte man nicht verwechseln. Irene! Seine geschiedene Frau – Irene! Und das war zweifelsohne ihr Sohn – von diesem Jolyon Forsyte – ihr Junge, sechs Monate älter als seine Tochter! Und während er in Gedanken noch einmal jene bitteren Tage seiner Scheidung durchlebte, stand er auf, um außer Sichtweite zu gehen, setzte sich dann jedoch gleich wieder hin.

      Sie hatte den Kopf zur Seite gedreht, um etwas zu ihrem Jungen zu sagen. Ihr Profil war noch immer so jugendlich, dass es ihr graues Haar wie gepudert wirken ließ, wie auf einem Kostümball, und ihre Lippen lächelten, wie Soames, ihr erster Besitzer, sie nie hatte lächeln sehen. Widerwillig musste er zugeben, dass sie noch immer wunderschön war, und was ihre Figur betraf, fast so jung wie eh und je aussah. Und wie der Junge ihr Lächeln erwiderte! Eine Woge der Emotion schnürte Soames’ Herz zusammen. Der Anblick verletzte seinen Gerechtigkeitssinn. Er missgönnte ihr das Lächeln dieses Jungen – es ging über das hinaus, was er von Fleur bekam, und es war unverdient. Der Sohn der beiden hätte sein Sohn sein können, Fleur hätte ihre Tochter sein können, wenn sie nicht vom rechten Weg abgekommen wäre! Er senkte seinen Katalog. Wenn sie ihn sehen sollte, umso besser! Eine Erinnerung an ihr Verhalten in Gegenwart ihres Sohnes, der wahrscheinlich nichts davon wusste, wäre ein heilsamer Wink jener strafenden Gerechtigkeit, die sie mit Sicherheit früher oder später einholen würde! Dann wurde sich Soames vage bewusst, dass ein solcher Gedanke für einen Forsyte seines Alters zu extrem war, und er holte seine Uhr hervor. Schon nach vier! Fleur verspätete sich. Sie war zu seiner Nichte Imogen Cardigan gegangen, bestimmt hielten sie sie dort mit Rauchen und Getratsche und dergleichen auf. Er hörte den Jungen lachen und lebhaft fragen: »Sag mal, Mama, ist das eines von Tante Junes lahmen Entlein?«

      »Paul Post – ich glaube, ja, Liebling.«

      Dieses Wort ließ Soames kurz erschrecken, er hatte sie es nie sagen hören. Und dann sah sie ihn. In seinen Augen musste etwas von George Forsytes sardonischem Blick gelegen haben, denn ihre behandschuhte Hand hatte die Falten ihres Kleides umklammert, ihre Augenbrauen hoben sich und ihr Gesicht wurde steinern. Sie ging weiter.

      »Sehr originell«, sagte der Junge und hakte sich wieder bei ihr ein.

      Soames starrte ihnen hinterher.

      Der Junge sah gut aus, hatte ein Forsyte-Kinn und tiefliegende dunkelgraue Augen, aber er hatte etwas Sonniges, als sei ein Glas alter Sherry über ihn gegossen worden, vielleicht lag es an seinem Lächeln, oder an seinem Haar. Besser als sie es verdient hatten – diese beiden! Sie verschwanden aus seinem Blickfeld in den nächsten Raum und Soames betrachtete weiter The Future Town, ohne es zu sehen. Ein leichtes Lächeln kräuselte seine Lippen. Er verachtete die Heftigkeit seiner Gefühle nach all den Jahren. Geister! Und doch, wenn man alt wurde – blieb denn da noch irgendetwas, das nicht geisterhaft war? Ja, da war Fleur! Er richtete den Blick auf den Eingang. Sie sollte schon hier sein, aber natürlich musste sie ihn warten lassen! Und plötzlich wurde er sich einer Art menschlichen Lufthauchs bewusst – eine kleine, schlanke Gestalt in einer meergrünen Dschibba mit Metallgürtel und mit einem Stirnband, das das widerspenstige, rotgoldene, mit grauen Strähnen durchzogene Haar zusammenhielt. Sie sprach mit dem Galeriepersonal, und etwas, das ihm bekannt vorkam, fesselte seinen Blick – etwas in ihren Augen, ihrem Kinn, ihrem Haar, ihrem Wesen – etwas, das an einen dünnen Skye Terrier kurz vor dem Füttern erinnerte. Das musste June Forsyte sein! Seine Cousine June – und sie kam geradewegs auf seine Nische zu! Sie setzte sich neben ihn, tief in Gedanken versunken, holte einen Notizblock hervor und schrieb etwas auf. Soames saß regungslos da. Eine verteufelte Angelegenheit, diese Verwandtschaft! »Widerlich!«, hörte er sie murmeln. Dann, als fühle sie sich durch die Gegenwart eines mithörenden Fremden gestört, sah sie ihn an. Das Schlimmste war passiert.

      »Soames!«

      Soames drehte seinen Kopf nur ganz leicht.

      »Wie geht es dir?«, sagte er. »Habe dich seit zwanzig Jahren nicht mehr gesehen.«

      »Nein. Was verschlägt dich denn hierher?«

      »Meine Sünden«, sagte Soames. »Was für ein Zeug!«

      »Zeug? Oh, ja – natürlich, es hat es noch nicht zu Anerkennung und Erfolg gebracht.«

      »Wird es auch nie«, sagte Soames. »Das muss doch ein reines Verlustgeschäft sein.«

      »Natürlich ist es das.«

      »Woher weißt du das denn?«

      »Es ist meine Galerie.«

      Soames rümpfte völlig überrascht die Nase.

      »Deine? Was um alles in der Welt hat dich dazu veranlasst, so eine Ausstellung zu machen?«

      »Ich behandle Kunst nicht wie eine Ware.«

      Soames zeigte auf The Future Town. »Schau dir das an! Wer will schon in so einer Stadt leben, oder sie an seiner Wand hängen haben?«

      June betrachtete das Bild einen Augenblick.

      »Es ist eine Vision«, sagte sie.

      »Unsinn!«

      Es folgte Schweigen, dann stand June auf. Verrückt aussehendes Ding!, dachte er.

      »Du wirst deinen jungen Stiefbruder hier finden, mit einer Frau, die ich einst gekannt habe«, sagte er. »Wenn du meinen Rat wissen willst, du solltest diese Ausstellung schließen.«

      June sah zu ihm zurück. »Ach! Du Forsyte!«, sagte sie und ging weg. Ihre leichte, flüchtige Gestalt, die sich so plötzlich entfernte, hatte einen Ausdruck gefährlicher Entschlossenheit. Forsyte! Natürlich war er ein Forsyte! Und sie genauso! Doch seit sie noch als junges Mädchen Bosinney in sein Leben gebracht und es damit ruiniert hatte, war er nie gut mit June zurechtgekommen, und er würde es auch nie! Und hier war sie nun, bis heute unverheiratet und Besitzerin einer Galerie! ... Und plötzlich kam Soames, wie wenig er jetzt über seine eigene Familie wusste.

      Die alten Tanten bei Timothy waren schon seit so vielen Jahren tot, es gab keinen Umschlagplatz für Neuigkeiten mehr. Wie war es ihnen allen während des Krieges ergangen? Der Sohn des jungen Roger war verwundet worden, der zweite Sohn von St. John Hayman war gefallen, der Älteste des jungen Nicholas hatte den Verdienstorden des Britischen Empire bekommen, oder was auch immer man da jetzt verliehen bekam. Sie hatten sich wohl alle irgendwie beteiligt, glaubte er. Dieser Junge von Jolyon und Irene war wahrscheinlich noch zu jung gewesen, seine eigene Generation natürlich zu alt, allerdings war Giles Hayman Fahrer für das Rote Kreuz gewesen, und Jesse Hayman hatte als Hilfspolizist gearbeitet – diese Dromios waren immer schon unternehmungslustige Typen gewesen! Was ihn selbst anbetraf, er hatte einen Krankenwagen gespendet, die Zeitungen gelesen, bis er sie nicht mehr sehen konnte, viel Angst ausgestanden, keine Kleidung gekauft und sieben Pfund abgenommen, er wusste nicht, was er in seinem Alter noch mehr hätte tun können. Wenn er so darüber nachdachte, fiel ihm auf, dass er und seine Familie mit diesem Krieg ganz anders umgegangen waren als mit jener Sache mit den Buren, von der man gedacht hatte, dass sie alle Ressourcen des Empire aufbrauchen würde.

      Zwar war in diesem alten Krieg sein Neffe Val Dartie verwundet worden, der Sohn von diesem Jolyon war an Typhus gestorben, die Dromios waren zu Pferd hinausgezogen und June hatte als Krankenschwester gearbeitet, doch all das war nur wie eine Art Ungutes verheißende Vorübung gewesen, wohingegen in diesem Krieg jeder seinen Teil, soweit er das beurteilen konnte, ganz selbstverständlich beigetragen hatte. Es schien zu zeigen, dass etwas im Wachsen war – oder vielleicht auch etwas anderes am Niedergehen.

      Hatte der Individualismus der Forsytes abgenommen, oder ihre Unterstützung des Britischen Weltreiches zugenommen, oder dachten

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