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      Kein Wunder, dass ihn das NS-Regime für seine Propagandapamphlete einspannen wollte. Doch mein Onkel verweigerte sich. Am 18. Februar 1933, während der Uraufführung seines Dramas Der Silbersee, stürmte die Sturmabteilung (SA) das Leipziger Schauspielhaus. Das Stück wurde vom Spielplan gestrichen und ein Publikationsverbot gegen ihn erlassen. Im Mai 1933 brannten seine Bücher. Georg Kaiser fand über Umwege Zuflucht in der Schweiz, wo seine Stücke aufgeführt wurden und er neue verfasste, wie Der Soldat Tanaka und Das Floß der Medusa. Bis zuletzt arbeitete er an dem Roman Ard, in dem er unter anderem Bezug auf das Konzentrationslager Theresienstadt nahm. Verarmt starb mein Großonkel kurz nach Kriegsende im Schweizer Exil.

      »Kannibalismus – Militarismus – Nationalismus.«

      »Revolution? Der Besitz wechselt die Taschen.«

      »Sein Denken formen – das allein ist Glück.«

      »Lasse keiner sich vom Wahn verführen, dass er mehr als jeder andre gelt‹:

      Cäsar wollte mit dem Schwert regieren, und ein Messer hat ihn selbst gefällt.« (geschrieben 1932)

      »Das Drama schreiben ist: einen Gedanken zu Ende denken.« (Georg Kaiser, 1966)

      Nicht nur meine Vorfahren inspirieren mich, sondern auch andere Menschen. Michelangelo, zum Beispiel, gab die Initialzündung für die Hypnose Meine wahre Gestalt zum Thema Übergewicht, mit seinem berühmten Ausspruch:

      »La figura era già nella pietra grezza. Ho solo dovuto buttare via tutto ciò che era superfluo.«

      (Die Figur war schon in dem rohen Stein. Ich musste nur noch alles, was überflüssig war, wegmeißeln.)

      Mein Gastroenterologe lehrte mich, wie ironische Absurdität den Geist erst durcheinanderwirbeln und anschließend in umso bessere Verfassung katapultieren kann. Mit verschmitztem Lächeln verkündete er mir direkt nach dem Aufwachen aus der Narkose das Ergebnis der Koloskopie: »Ich konnte beim besten Willen nichts finden« – so als ob er in den Höhlengängen meines Darms nach Goldvreneli (einer Schweizer Goldmünze) gesucht hätte. Total verwirrt brauchte ich einige Zeit, bis ich verstand, dann aber umso größere Entlastung empfand.

      Meine erste bewusste Lektion in Reframing und Ressourcensprache erhielt ich vor 40 Jahren auf Trinidad in der Karibik durch einen fürsorglichen Vater der besonderen Art: Auf einer Gartenparty im Freundeskreis wurde mir ein prachtvoller Mann vorgestellt. Gewinnend lachte er mich mit blitzend weißen Zähnen an. Sein nackter Oberkörper schien ein Paket spielender Muskeln zu sein, seine Arme waren durchtrainiert und seine Hände angenehm fleischig, sodass einem spontan der verrückte Wunsch überkommen konnte, sich wie Däumelinchen in eine dieser Handflächen zu kuscheln. Sein Untergestell war verpackt in kanarienvogelgelbe Bermudashorts, eine Farbe, die mit dem Ton seiner Haut einzigartig harmonierte. Aus den Shorts lugten herrlich pralle Oberschenkel heraus, die in wohlgeformte Knie übergingen. Seine Waden ließen demgegenüber etwas zu wünschen übrig, und die Füße waren platt, doch das verzieh man gerne. Unübersehbar, der Kerl war ein unschlagbarer Womanizer! Deshalb staunte ich auch nicht, als eine Freundin mir zuraunte, wie er seiner Manneskraft überall auf der Insel freien Lauf gelassen hatte: Mit knapp 30 Jahren hatte er schon sieben Frauen ein Kind angehängt. Er selbst schien das anders zu sehen und verkündete voller Stolz: »I have seven children, and each of them has its own mother.«

      Meine Mutter, die ich – eher zu meinem Leidwesen – nicht mit einem Geschwister teilen musste und die wie alle guten Mütter nicht fehlerfrei war, hat sich ohne Zweifel ebenfalls um meinen schier unbegrenzt sprudelnden Ideenreichtum verdient gemacht: Ich ging gerne zur Schule, und meine mittelmäßigen Noten bereiteten mir nicht den mindesten Stress. Waren Prüfungen angesagt, schickte meine Mutter mich immer mit dem liebevollen, schweizerisch gefärbten Satz los: »Ach, Agnesli, du hast doch so viel Fantasie!« Ermutigt machte ich mich auf den 3 Kilometer langen Fußmarsch zur Schule – genug Zeit, in der diese Suggestion ihre volle Wirkung entfalten konnte. Später machte ich daraus: »Sie dürfen alles denken, Sie dürfen aber auch alles Denken Ihrem Unbewussten überlassen.«

      So wurde Sprache mein Interessengebiet und Hypnosesprache meine Bestimmung. In Trance die richtigen Worte zu sprechen, vor allem aber zu hören, bekommt eine andere Dimension in Bezug auf Nähe, Dichte, Resonanz. Hierfür bedarf die Sprache der Klarheit und Ausdruckskraft, aber auch der Fantasie und Poesie, will heißen: expressionistisch-klarer, suggestiver Momente sowie romantischer, ja mystischer Akzente.

      Erst eine stimmige Komposition der Worte mit sinnlicher Nuancierung und vielfältigen offenen Angeboten verleiht Hypnosetexten ihre außergewöhnliche therapeutische Tiefenwirkung. Unbewusste kreative Prozesse kommen dabei wie von selbst ins Fließen. Denn ebenso wie wir die schöne Sprache in Literatur, Kunst, Theater oder Film schätzen, tun wir dies in der hypnotischen Trance. Ja, wir genießen die kunstvoll formulierte Hypnosesprache sogar noch intensiver, sind wir doch in einem veränderten Bewusstseinszustand und somit offen und zugänglich für eine ganz neue Art des inneren Erlebens und Empfindens.

       Zum Aufbau dieses Buches

      Die 95 poetischen Hypnoseanleitungen in Teil 3 sind Therapieanleitungen für den unmittelbaren Gebrauch in der Praxis. Zugleich dienen sie als Lehrtexte. Denn hier finden sich mit jeweils unterschiedlicher Zielsetzung alle vorher beschriebenen Merkmale wieder: pittoreske Titel, einprägsame Reime, gezielte Wiederholungen, überraschende Wortschöpfungen, Bildmalereien, Doppeldeutigkeiten, Anspielungen und Suggestionen, die wie Geschenke verpackt sind. Märchenhafte Szenen, »verträumte Fragen« und magische Momente werden ebenso beispielhaft gezeichnet wie die Choreografie auf der hypnotischen Bühne und die hochwirksame Abschlusssuggestion mit Depoteffekt durch eine nochmalige Prise Hypnopower.

      Der Schluss schließlich ermutigt mit praktischen Tipps zur Entwicklung und Gestaltung eigener Hypnosetexte.

      Es liegt in der Natur des Lernens mit Hypnoseliteratur, dass diese ohne unser Zutun einen leichten Trancezustand evoziert, in dem sich Inhalte unbewusst abspeichern. Und erstaunlicherweise tauchen diese automatisch genau dann wieder auf, wenn sie nützlich sein können. Lassen Sie sich überraschen!

       Agnes Kaiser Rekkas München, im April 2020

Teil 1: Poetik im hypnotischen Raum

       Die Kraft der poetischen Hypnose

      Sobald wir in positive, therapeutische Trance gehen, betreten wir einen fantastischen Ort, den »hypnotischen Raum«. Dieser ist energetisch hoch aufgeladen und voll ungeahnter Freiheiten. Typisch ist das sich schnell einstellende Gefühl von Wohlbehagen, Geborgenheit und Angenommensein. Kaum entkrampft und innerlich zurückgelehnt, verändern sich, durch stimmige Suggestionen angeregt, Perspektiven und innere Muster. Wahrnehmungen entzerren sich, und rigide Strukturen werden elastisch.

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