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wir vielleicht, was damals passiert ist. Chef, ich will dort hinfahren und mir den Bauernhof anschauen.«

      Der Chef nahm einen tiefen Zug aus seiner kalten Pfeife. »Wir sind unterbesetzt, seit Christian bei der internationalen Polizeimission in Georgien ist. Die Akten stapeln sich auf den Schreibtischen und du willst einen acht Jahre alten Selbstmord wieder aufrollen, der nicht einmal in unsere Zuständigkeit fällt.«

      »Christian kommt in zwei Wochen zurück und ich zähle die Tage, weil ich meinen Ex-Freund so vermisse. Wir können die Stapel auf seinen Schreibtisch stellen. Ich würde sagen, dass es neue Hinweise auf Straftaten von Franz Röhrling gibt. Die inoffiziellen Einkommen sind ungeklärt. Wir prüfen, ob er damals mit Komplizen gearbeitet hat, die heute noch aktiv sind.«

      »Nyoko, sei mir nicht böse, aber du verrennst dich. Es gibt keinen Anhaltspunkt für ein konkretes Verbrechen, daher auch nicht für Mittäter. Das war ein niederösterreichischer Fall, dort gibt es auch ein Landeskriminalamt. Wir wollen die Kollegen nicht vor den Kopf stoßen.«

      »Dann will ich mir zumindest Bilder anschauen. Der Fotokünstler hat sicher viele Aufnahmen gemacht. Ich werde ihn anrufen.«

      Während der Chef Luft holte und gedanklich einen Einwand formulierte, hatte Nyoko bereits den Telefonhörer in der Hand. Sie erreichte den Fotografen sofort unter der Nummer, die hinten auf dem Kalender vermerkt war.

      Nach kurzer Diskussion gewährte der Künstler Nyoko Zugriff auf die Bilder seines digitalen Archivs.

      Sie schaute sich die Fotos an, wechselte immer wieder zwischen den Aufnahmen, zoomte hinein und wieder hinaus, machte Notizen und Skizzen. Sie legte den Kopf nachdenklich zurück. »Er hätte mit den Fotos dieses Hofes alleine einen ganzen Kalender gestalten können. Du hast recht, Chef. Diese Verwitterung von alten Gebäuden ist wirklich schön. Das Gras rund um das Gebäude ist beinahe meterhoch und der Künstler hat das Licht beeindruckend eingefangen. Er ist auf die Bäume geklettert, um trotz des hohen Grases auch Außenaufnahmen machen zu können. Hier sieht man sogar einen Ast in das Bild ragen, wie bei einer japanischen Tuschmalerei. Hm. Trotz der Verwahrlosung ist die Zufahrt anscheinend regelmäßig benutzt worden.«

      »Das Befahren einer Straße im nördlichen Waldviertel ist keine Straftat in Wien.«

      »Irgendetwas fehlt. Ich spüre diese Unruhe, wenn etwas nicht vollständig ist. Was ist es nur?« Sie klickte durch die Fotos, blätterte in den Unterlagen. »Moment! Das ist doch ein …« Noch schnelleres Klicken. »Natürlich! Klaus, warst du damals bei der Spurensicherung im alten Wohnhaus dabei?«

      »Nein. Auch in Niederösterreich gibt es Forensiker. Die haben keine Veranlassung gesehen, wegen eines Selbstmordes ein verlassenes Haus zu durchsuchen.«

      »Es ist benutzt worden. In allen Räumen bedeckt eine dicke Staubschicht die Böden. Nur der Gang hinter der Haustür ist gewischt worden.«

      Klaus ging zu Nyokos Schreibtisch und schaute auf den Monitor. »Das haben sie wahrscheinlich für den Fotografen gemacht.«

      »Dann hätte der vorher Fotos des unberührten Zustandes geschossen.« Sie wechselte zu einer Außenaufnahme. »Noch spannender ist das hier.«

      »Das ist ein Kellerfenster. Was ist daran so aufregend?«

      »Die Scheibe ist im Gegensatz zu allen anderen nicht zerbrochen. Außerdem ist die Reflexion des Sonnenlichtes anders als bei den übrigen Fenstern. Wahrscheinlich wurde es als Einziges instand gehalten und besteht daher aus modernerem Glas, auch wenn sie sich bemüht haben, den Rahmen ursprünglich aussehen zu lassen. Wenn ich es vergrößere, ist die Scheibe seltsam schwarz. Könnte es innen von einer dunklen Folie verklebt worden sein?«

      »Mit deiner Sturheit findest du immer wieder interessante Dinge. Wie schaut der Raum auf den Innenaufnahmen aus?«

      »Jetzt sind wir an dem Punkt angelangt, wo ich etwas vermisst habe. Es gibt keine Fotos vom Keller. Dort hätte es sicher spektakuläre Motive gegeben. Altes Gerümpel kann sehr stimmungsvoll sein, vor allem wenn es von einem talentierten Menschen in Szene gesetzt wird. Ich rufe noch einmal den Künstler an.«

      Sie drückte auf die Wahlwiederholungstaste und schaltete den Lautsprecher des Telefons ein.

      »Dominik Frandl.«

      »Hallo! Hier ist noch einmal Nyoko Binder vom LKA Wien. Ich habe noch eine Frage: Gibt es auch Aufnahmen vom Keller des Bauernhofes?«

      »Ich wurde wegen Einsturzgefahr der Räume im Untergrund leider nicht hinuntergelassen.«

      »Die Decke des Kellers ist der Fußboden darüber. Dort hatte er keine Angst um Ihre Sicherheit?«

      »Das ist allerdings eigenartig. Sherlock Holmes ist anscheinend als Polizistin mit japanischem Vornamen in Wien wiedergeboren worden.«

      »Wissen Sie noch, wer der Besitzer des Hofes nach dem Selbstmord von Franz Röhrling war?«

      »Das war sein Bruder Jakob. Er hat mich bei den Aufnahmen begleitet.«

      »Vielen Dank! Sie haben mir sehr geholfen.«

      Nyoko wandte sich nach dem Telefonat an ihren Chef. »Jetzt kannst du mich nicht mehr zurückhalten. Ich muss nach Pfaffingen und mir diesen Keller anschauen. Dort finden wir den Kitt, der die Scherben zusammenhält.«

      »Du hast es wieder einmal geschafft, mich neugierig zu machen. Aber erspare mir bitte wenigstens heute einen Konflikt mit dem Nachbar-LKA. Ich rufe die Kollegen an, damit sie die Situation vor Ort besichtigen.«

      Nyoko tippte auf ihrer Tastatur. »Ich habe gerade Jakob Röhrling im System geprüft. Er ist voriges Jahr bei einem Verkehrsunfall gestorben. Das Auto war ein Porsche 911 Turbo. Schon wieder ein Mensch, der mehr Geld besessen hat, als er sollte. Aha! Im Wrack ist eine nicht registrierte Pistole gefunden worden. Die Durchsuchung seines Wohnhauses hat aber keinen Hinweis auf kriminelle Aktivitäten ergeben. Den Bauernhof haben sie nicht angeschaut. Sie haben Röhrling als harmlosen Waffennarren eingestuft. Die Kollegen sind mir etwas zu schnell beim Abschließen ihrer Fälle. Ich schaue noch, wem der Hof jetzt gehört … ein Immobilieninvestor … es gibt bereits Genehmigungen für den Abriss des Hauses und den Bau einer Reihenhausanlage. Jetzt haben wir keine Zeit für Kompetenzstreitigkeiten. Klaus, komm! Wir fahren sofort hin! Chef, bitte informiere das LKA Niederösterreich über den Einsatz wegen Gefahr im Verzug. Aber bitte genieß deinen Geburtstag und mache es so langsam, dass wir vor ihnen dort sind. Die haben auch einen weiten Weg von St. Pölten nach Pfaffingen.«

      Kurz darauf stiegen Klaus und Nyoko in ihr Auto, einen Mazda 323 GTR, der früher bei Rallyerennen im Einsatz gewesen war. Die farbenfrohe Gestaltung zeugte noch von den Aufklebern der einstigen Sponsoren.

      Klaus versuchte, es sich im Rennsitz bequem zu machen. »Diese Sportwagengurte sind sehr unpraktisch. Bitte fahr so, dass dein Auto kein Symbol für Vergänglichkeit wird.«

      Mit quietschenden Reifen verließen sie das Polizeigebäude und stießen beinahe mit der Musikkapelle zusammen. Der Kapellmeister schüttelte den Kopf.

      Der Immobilieninvestor Markus Kammerlander stand vor dem Bauernhof, der einst den Röhrlings gehört hatte, beim großen Schild, das die hier geplante Reihenhausanlage anpries. Sogar die Bäume auf dem Bild der Werbetafel waren nach einem regelmäßigen Muster angeordnet. Wohnen im Grünen.

      Kammerlander sah eine Staubwolke in rasendem Tempo näherkommen. Gekonnt glich die Fahrerin den Drift bei der Vollbremsung aus. Ein Rallyeauto. War das wirklich die Polizei?

      Er hatte mit einer Frau namens Nyoko Binder telefoniert. Erst als die asiatisch aussehende Frau ausstieg, war er sicher, dass es sich um den angekündigten Besuch handelte.

      Nyoko ging zu ihm und stellte sich vor. »Vielen Dank, dass Sie sich so rasch Zeit nehmen konnten.«

      »Ihre Androhung eines vorübergehenden Baustopps bis zur langwierigen Genehmigung der Durchsuchung war sehr motivierend.«

      »Entschuldigung! Wir haben Hinweise auf diesen Keller bekommen, denen wir dringend

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