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er nach Hause gekommen.

      Sie waren immer noch glücklicher als viele andere gewesen – sie hatten nicht ihre Heimat verloren! Aber sie waren einfach reifer gewesen, als die gleichaltrigen jungen Leute heute es waren. Und natürlich auch nicht so verwöhnt.

      Auguste seufzte und schaute auf ihre kleine goldene Taschenuhr, die von einer Urgroßtante ihres lieben, verstorbenen Mannes stammte.

      Oje! Gerade Mitternacht! Noch lange bis zum Morgen!

      Vielleicht waren die jungen Leute heute auf eine andere Art reif. Die Welt hatte sich ja so verändert in den vergangenen 55 Jahren! Sie versuchte, die Überlegungen von sich zu schieben und daran zu denken, was sie zu der offiziellen Verlobung anziehen würde. Und zur Hochzeit. Obwohl es da noch einige Zeit hin war! Alexander wollte erst seinen Referendar machen. Hoffentlich schaffte er ihn…

      O Gott, tat ihr der Kopf weh!

      Die Uhrzeiger zeigte erst eine halbe Stunde später.

      Auguste beschloß, noch eine Tablette zu nehmen. Als sie aufstand, um ins Bad zugehen – sie wollte keinesfalls Emma herbeiläuten – wurde ihr schwindelig.

      Als sie wieder aufwachte, lag sie auf dem Boden und war am ganzen Körper eiskalt. Ganz langsam setzte sie sich hin. Sie fürchtete, nochmals ohnmächtig zu werden, wenn sie sich zu rasch bewegte. Und prompt wurde ihr wieder schwindelig, als sie einen erneuten Versuch unternahm, aufzustehen.

      Jetzt mußte sie doch läuten! Sehnsüchtig schaute sie zu ihrem Nachttisch, auf dem die elektrische Klingel stand. Sie wagte nicht aufzustehen und rutschte, höchst unelegant im Sitzen, zu ihrem Bett hin. Sie hangelte sich hoch – und dann wurde ihr auch noch schlecht!

      Arme Emma, dachte Auguste. Jetzt muß sie das alles noch wegputzen! Sie läutete, und dann ließ sie sich zurücksinken.

      Anscheinend war sie doch richtig krank, war es doch nicht nur ein kleiner Schnupfen.

      »Um Gottes willen! Frau Gräfin!« Wie durch Wolken drang Emmas Stimme zu ihr. Und dann war sie wieder weg…

      Als Auguste wieder zu sich kam, saß ein ihr unbekannter älterer Herr an ihrem Bett und hielt ihr Handgelenk. Sie blinzelte zu ihm hin.

      »Gott sei Dank, da sind Sie wieder!« Er lächelte sie freundlich an.

      Auguste fühlte sich zu schwach, um zu antworten, und schloß die Augen. Kannte sie ihn?

      »Kenne ich Sie?« fragte sie nach einer Weile.

      »Noch nicht!« Er lachte leise. »Ich bin Dr. Andreas Wenden, der Vater von Peter Wenden, Ihrem Hausarzt. Mein Sohn ist mit seiner Frau für vier Wochen in Urlaub gefahren, und ich vertrete ihn und kümmere mich zudem um meine Enkel.«

      »Ah…«, sagte Auguste. Und nach einer kleinen Pause: »Wohnen Sie nicht hier?«

      »Doch«, erwiderte er, und sie dachte, was er für eine angenehme, tiefe Stimme hatte! »Seit dem Tod meiner Frau. Ich bin inzwischen auch in Pension und dachte, es wäre nicht so einsam, wenn ich in das Haus zurückkehrte, in dem ich aufgewachsen bin. Auch mein Vater war ja schon Arzt.«

      »Ich weiß.« Die Andeutung eines Lächelns glitt über Augustes bleiches Gesicht.

      »Und Hausarzt hier bei uns – bis Ihr Sohn kam!«

      »Richtig! Wir kennen uns also eigentlich doch schon!«

      »Und wieso haben Sie nicht die Praxis Ihres Vaters übernommen?« fragte Auguste nach einer Weile, in der Dr. Wenden sie abgehorcht und ihr den Blutdruck gemessen hatte.

      »Mein Vater war sehr rüstig und praktizierte, bis mein Sohn an der Reihe war. Und ich arbeitete gerne in einem großen Krankenhaus.«

      »Und – langweilen Sie sich jetzt hier auf dem Land?« erkundigte sich Auguste.

      »Jein!« Er lachte. »Zur Zeit nicht. Und wenn ich meinen Enkeln bei ihren Schulaufgaben helfe – auch nicht! Allerdings kann ich nur in den Sprachen und Geschichte und Geographie noch mitreden«, schloß er mit einem leichten Seufzer.

      »Ich stehe auch sehr gut mit meinen Ekeln!« sagte Auguste.

      »Da haben wir schon wieder etwas gemeinsam!« erwiderte Dr. Wenden lächelnd.

      »Und – Ihre Schwiegertochter?«

      Jetzt lachte er laut auf.

      »Haben Sie denn mit Ihrer Schwierigkeiten?«

      »Nein. Aber ich hätte sie, wenn wir im gleichen Haus wohnten.«

      »Tja. Damit ist Ihre Frage schon beantwortet«, sagte er nun, und es klang traurig. »Ich wäre wohl besser in der Stadt geblieben, wo ich meine Freunde und Kollegen hatte. Aber die große Wohnung – es war sehr teuer und auch zu mühsam. Und wie gesagt: ich fühlte mich ziemlich allein. Ich war sehr glücklich verheiratet«, schloß er leise.

      »Ich auch.« Auguste wandte ihm das Gesicht zu, und jetzt erst sah sie ihn richtig an. »Ich glaube, es geht mir besser!«

      »Das hoffe ich!« Er lachte. »Ich habe Ihnen etwas für Ihren Kreislauf gegeben und auch etwas Fiebersenkendes.«

      »Danke!« Er sah nett aus. Sympathisch. Und auch gut. Mittelgroß, kräftig, er hatte ein volles Gesicht mit einem weißen Bart und sich über der Stirn ziemlich lichtendes weißes Haar. Um die Augen, die unter buschigen Brauen lagen, war ein Kranz von Fältchen. Bestimmt war er früher ein fröhlicher Mensch gewesen, bevor er die Dummheit begangen hatte, zu seinem Sohn und dessen Familie zu ziehen. Aber freilich, ein Mann alleine…

      Dr. Wenden jr. war ihr nie besonders sympathisch gewesen. Aber auch nicht unsympathisch. Er war – blaß. Hatte nicht die Ausstrahlung seines Vaters oder seines Großvaters. Wahrscheinlich stand er unter dem Pantoffel. Sie mußte unwillkürlich lachen.

      »Na, wenn Sie bereits über mich lachen können, ist es ein gutes Zeichen!« fand Dr. Wenden sen.

      »Ich hatte nicht über Sie gelacht!« versicherte Auguste. »Aber ich denke, ich kann Sie nun entlassen. Damit Sie noch ein wenig Schlaf bekommen, bevor Sie morgen in die Praxis müssen.«

      »Morgen ist keine Sprechstunde! Morgen ist Sonntag!« erinnerte er sie. »Aber ein bißchen Schlaf kann trotzdem nicht schaden.« Er sah auf seine Armbanduhr. »Vier Uhr! Auch Sie sollten noch schlafen!«

      »Ich glaube, jetzt gelingt es mir auch«, meinte Auguste.

      »Ich schaue morgen nach der Sonntagsmesse bei Ihnen vorbei«, versprach Dr. Wenden.

      »Das ist nicht notwendig! Wirklich! Ich will Ihnen doch nicht den Sonntag verderben!«

      »Ich schaue trotzdem vorbei. Morgen wird bei uns nicht gekocht, die Haushaltshilfe hat frei, und ich gehe mit meinen Enkeln zum Essen!«

      »Dann kommen Sie doch nicht nach der Kirche, sondern anschließend ans Essen auf ein Täßchen Kaffee!« schlug Auguste zu ihrer eigenen Überraschung vor.

      »Ich glaube nicht, daß ich Ihnen morgen schon Kaffee erlaube!« sagte Dr. Wenden ernst.

      »Na gut: dann trinke ich Tee und Sie…«

      »Ich trinke auch Tee!«

      »Wunderbar! Dann bis morgen – um –?«

      »Drei Uhr? Haben Sie da schon ausgeschlafen?«

      »Wenn ich bis dahin im Bett bleibe – bestimmt!« versicherte Auguste.

      Als er gegangen war, kam Emma noch einmal ins Zimmer.

      »Ein sehr netter Herr, der alte Herr Dr. Wenden!« stellte sie zufrieden fest.

      »Das finde ich auch«, stimmte Auguste ihr zu.

      »Mir gefällt er besser als sein Sohn!« fuhr Emma fort.

      »Mir auch!«

      »Sie sehen jetzt auch schon besser aus – nicht mehr so – kalkweiß! Ich bin entsetzlich erschrocken!«

      »Arme Emma! Aber

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