ТОП просматриваемых книг сайта:
MATTHEW CORBETT in den Fängen des Kraken. Robert Mccammon
Читать онлайн.Название MATTHEW CORBETT in den Fängen des Kraken
Год выпуска 0
isbn 9783958355026
Автор произведения Robert Mccammon
Жанр Языкознание
Серия Matthew Corbett
Издательство Bookwire
Noch ein paar Sekunden, dann würde er an die Oberfläche geholt worden sein. Auf gut oder böse würde er in den Fängen einer anderen Welt landen und sein Fischverstand ein Geheimnis lernen. Und doch widersetzte er sich diesem neuen Wissen, schlug und drehte sich, aber die Leine zog ihn weiter, höher. Im nächsten Moment würde der Barsch durch die Oberfläche brechen und seine Augen kurz vor dem Sterben eine unbekannte Welt sehen, die fremdartig und ganz und gar unwirklich war.
Doch bevor dies geschehen konnte, schoss der Blauhai heran, der die Situation schon seit einer Weile beobachtet und umkreist hatte. Er biss den größten Teil des Barsches ab, sodass am Ende der Leine nur noch der Kopf aus dem Wasser brach. Der Angler im kleinen Ruderboot, der seit guten sechs Minuten damit beschäftigt gewesen war, seinen Fang einzuholen, sah den triefenden Kopf des Barsches und das weiße Kielwasser der Haifischflosse. Mit wütender Miene warf er seine Angelrute hin und stieß mit krächzender, verwitterter Stimme einen derartigen Schrei aus, dass er über das Wasser rollen und sogar die Schläfer auf dem Friedhof der Trinity Church aufwecken mochte.
»Heilig allmächtiger Jäsus aber auch!«, brüllte der alte, wildhaarige Hooper Gillespie. »So was Ungerechtes! Hartherziger Räuber, du! Du sackmieser Gottesfurz! Ungerecht ist das!«
Aber ob ungerecht oder nicht, so war das Leben über und unter der Oberfläche nun einmal.
Nachdem Hooper Gillespie dem längst verschwundenen Hai noch einige ausgesuchte, verschwurbelte Sätze hinterhergeworfen hatte, seufzte er schwer und zog seine fadenscheinige Jacke enger um sich. Seine dichten weißen Haare standen von seinem Kopf in kreisrunden Wirbelausbrüchen und Sträußchen ab, ein unbezwingbares Feld, an dem einstmals die beste Bürste seiner Mutter zu Bruch gegangen war. Aber seine Mutter war inzwischen tot, lange schon, und niemand würde je wissen, dass er in seinem Häuschen ein kleines Tintenporträt von ihr hütete, das aus dem Gedächtnis gemalt war. Das war vielleicht das Einzige, was ihm in diesem Leben etwas wert war. Abgesehen von seiner Angelrute.
Er holte den zerbissenen Kopf ein und löste den Haken. Kurz bevor er die Fischreste ins Wasser warf, sah er den Mond in den sichtlosen Augen des Fisches glänzen und fragte sich, was Fische von der Menschenwelt wussten. Aber es war nur ein vorübergehender Gedanke, eine Art körperloser Schatten. Er drehte sich in seinem Boot um, da er einen Blick auf den Eimer mit dem Fang dieser Nacht werfen wollte: drei kleine Makrelen und ein anständig großer Barsch. Der Wind wurde kälter. Seine Arme waren müde von den Anstrengungen soeben. Es war Zeit, zurück ans Ufer zu rudern.
Von der anderen Seite der Bucht trieb der Klang von Fiedelmusik zu ihm herüber. Es war eine fröhliche und lebhafte Musik, die im alten Hooper eine heiße Welle frischen Missmuts aufsteigen ließ. »Schön für Euch«, grölte er in Richtung der Menschen und Tänze, des Kerzenlichts und Lebens im Allgemeinen. »Ja, Ihr Leute, macht nur Euer buntes Treiben! Mir doch egal, das alles!« Er verstaute seine Angel und begann auf die dunkle Silhouette von Oyster Island zuzurudern. »Ist mir egal!«, sagte er der Welt. »Ich bin ich selbst, das bin ich! Glauben, die kommen damit durch, und ich nass in ‘ner Pfütze. Nein, Sir, das ist noch nicht alles!«
Während des Ruderns wurde er sich bewusst, dass er in letzter Zeit ziemlich viel mit sich selbst zu reden begonnen hatte. »Auch egal!«, sagte er. »Getan ist getan, und was ist, ist! Ist!« Er hielt inne, um bitteren Schleim über Bord zu spucken. »Da, bitte!«, sagte er.
Bis zum letzten Sommer hatte Hooper die Fähre zwischen Manhattan und Breuckelen betrieben. Aber die Gauner vom Fluss – die Hundsfötte seiner Meinung nach –, die der Fähre immer wieder auflauerten und die Passagiere ausraubten, hatten diesen Anstrengungen ein Ende gesetzt. Zumindest Hoopers. Er hatte keine Lust, mit aufgeschlitzter Kehle herumzulaufen. Tatsächlich hatte er sich auf Gouverneur Lord Cornburys erster Bürgerversammlung im Rathaus Gehör verschafft und darauf bestanden, dass Hauptwachtmeister Gardner Lillehorne etwas unternahm, um mit diesem Dreck am Fluss aufzuräumen.
»Und sieh nur, was mir das gebracht hat!«, brüllte er den Sternen zu. »Rudere hier draußen in der Kälte rum und hol mir den Tod, und was hat sich geändert?«
Tatsache war, dass Lillehorne im November die versteckte Bucht der Räuber gefunden und die muntere Bande kleiner Bösewichter hochgenommen hatte. Aber die Arbeit als Fährmann war trotzdem einem jüngeren Mann übertragen worden. Die vielen Türen, die Hooper im Gesicht zugeschlagen wurden, hatten ihn zu dem Gedanken verleitet, dass ein Mann bei gesundem Verstand sich vor dem in Weiberkleider angetanen Cornbury – dem Vetter der Queen und, so konnte man durchaus sagen, selbst ein halbes Weib –, nicht über den Hauptwachtmeister beschweren sollte.
»Aber verrückt bin ich nicht!«, brummte Hooper und ruderte. »Bin im Kopf so gerade und stark wie ‘n neuer Nagel!«
Diese Umstände waren der Grund dafür, dass er sich jetzt dem steinigen Strand von Oyster Island näherte. Die Umstände und natürlich die ungeschönte Tatsache, dass niemand sonst diese Arbeit verrichten wollte. Abgesehen von der kleinen Blockhütte für den Wachmann bestand die Insel hauptsächlich aus einem Dickicht aus Bäumen und Felsbrocken. Dies war Hoopers Arbeit, bereits seit drei Wochen: Als Wachmann den Aussichtsturm an der Südspitze der Insel zu erklimmen und meist die Gezeiten heran- und fortrollen zu sehen, aber auch nach Masten am Horizont Ausschau zu halten. Falls sein Fernrohr eine Kriegsflotte unter holländischer Flagge ins Visier bekommen sollte, wusste er, dass es sich um Hollands aus Eichenplanken gebaute Kriegsschiffe handeln musste, die New York zurückerobern wollten. Sollte das der Fall sein, war er angewiesen, schnell zu der auf den Hafen gerichteten Kanone hinunterzuklettern und einen Warnschuss abzugeben, bevor die Invasoren an Land kamen.
»Als ob ich wüsste, wie man ’ne verdammte Kanone feuert«, sagte Hooper leise bei dem Gedanken. Seine Ruder drückten sich durchs Wasser. Dann hörte er wieder die Fiedelmusik herantreiben und drehte sein Gesicht dem fernen Lampenschein der Stadt zu und grölte: »Bombardieren sollt ich Euch alle, bombardieren und Euch aus den Tanzschuhen knallen! Verpisst Euch!«
Aber wie immer machte sich niemand die Mühe zu antworten.
Seinem zusammengekniffenen Auge fiel etwas auf.
Er sah ein rotes Licht aufblitzen.
Es befand sich hoch oben in der Dunkelheit, vielleicht eine halbe Meile oberhalb der Stadt. Oben am Rand der Wälder, die noch vom Netzwerk der Indianerpfade durchzogen waren. Es war ein rotes Licht, das an und aus blinkte.
An und aus. An und aus.
»Das da ist ‘ne Signallampe, denk ich mal«, sagte Hooper zu sich. Es handelte sich wohl um eine Flamme hinter rotem Glas, vor dem jemand die Hand oder einen Hut hoch- und hinunterbewegte, um das Licht zu verdecken. »Hier kommt die Frage«, sagte Hooper. Dann merkte er, dass er die Frage noch nicht gestellt hatte – und so tat er es: »Wem signalisiert sie?«
Er spähte aufs Meer hinaus, an den rauen Felsen und dem wilden Wald von Oyster Island vorbei.
Weit draußen. Hinten im Dunkeln.
Eine rote Lampe blinkte an und aus. An und aus. An und aus und … weg war sie.
Er drehte den Kopf wieder in Richtung Manhattan, zum dunklen Rand der ungezähmten Wälder. Dort war die rote Signallampe ebenfalls gelöscht worden.
Hooper Gillespie erkannte, dass die Botschaft – worum es sich auch gehandelt haben mochte – übermittelt worden war.
Der Kiel seines Ruderboots schabte über Austernschalen und Steine. Sein Herz hatte gezuckt und gestottert und trommelte jetzt wild, denn ein Gedanke war in seine ungekämmte Birne eingedrungen.
Gedanken musste Hooper so laut wie möglich aussprechen. »Nein, tun sie nicht«, rief er. »Nicht über die Wellen, und der Himmel weiß was, um uns das Blut rauszustechen, das tun sie nicht!« Er sprang aus dem Boot, stieß sich den rechten Stiefel an einem Felsen an und landete mit dem Gesicht voran im Wasser. Spuckend und in einer Sprache fluchend, die kein richtiges Englisch war und von keinem Menschen außer ihm selbst richtig verstanden wurde, kämpfte Hooper sich auf