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Hause. Ich öffnete die Gartenpforte. Herr Alois, Kirstys wuscheliger brauner Hund, kam mir entgegengelaufen, sprang an mir hoch und versuchte mich zu küssen. Aus der Werkstatt erklang das Geräusch der Töpferscheibe.

      Mit Herrn Alois ging ich ums Haus herum und durch den Obstgarten zur Tür des alten Schuppens, den mein Vater und Kirsty zur Töpferwerkstatt umgebaut hatten. Kirsty saß mit dem Rücken zur Tür, in ihrem tonbeschmierten Arbeitskittel, das goldbraune Haar unter einem Tuch verborgen. Sie hörte mich nicht kommen.

      Plötzlich fiel mir ein, daß ich sie lieber nicht stören wollte, während sie an der Töpferscheibe saß, denn diese Arbeit verlangte ihre volle Aufmerksamkeit. Also machte ich wieder kehrt und setzte mich auf die Bank unter der Eiche. Herr Alois ließ sich seufzend zu meinen Füßen im Gras nieder.

      Ich lehnte den Kopf gegen den rissigen Stamm und sah in das Gewirr der Zweige auf. Es war wie verhext ‒ sofort sah ich wieder den schwarzen Mercedes mit dem Pferdeanhänger und Horkheimers dicke Gestalt vor mir. Wie viele Pferde würde er kaufen? Vielleicht bloß eins ‒ wenn es nur nicht Nell war! Nein, Unsinn, Nell war noch zu jung. Was konnte der Pferdehändler schon mit einem Fohlen anfangen, das erst im Sommer geboren worden war?

      Ich versuchte mich damit zu trösten, daß Jörn, Matty und ich immerhin das Schlimmste verhindert hatten. Zu Beginn der großen Ferien hatte es ganz so ausgesehen, als müßten die meisten Pferde von Dreililien verkauft werden, weil das Gestüt nicht mehr genug Geld einbrachte. Herr Moberg selbst war durch einen schweren Verkehrsunfall gehbehindert und konnte nicht mehr mitarbeiten. So war die Pferdezucht im Laufe der Zeit zu einem Verlustgeschäft für ihn geworden.

      Um die Pferde zu retten, waren Jörn, Matty und ich auf die Idee gekommen, auf Dreililien eine Reitschule zu eröffnen und dort Reiterferien zu veranstalten. Herr Moberg hatte sich bereiterklärt, den Versuch zu wagen, doch nur unter der Bedingung, daß wir uns selbst um alles kümmerten.

      Inzwischen hatten wir dreizehn Reitschüler ‒ sechs Anfänger und sieben Fortgeschrittene. Doch ohne Mikesch hätten wir es wohl trotzdem nie geschafft. Mikesch... Den hatte uns der Himmel geschickt.

      Wir hatten Mikesch über eine Anzeige in einer alternativen Münchner Zeitung gefunden und schon beim ersten Kennenlernen festgestellt, daß er genau der war, den wir brauchten. Er kannte sich mit Pferden aus wie kaum ein anderer, war bereit, auf dem Land zu leben und für kaum mehr als ein Taschengeld zu arbeiten, konnte Reitunterricht erteilen und verstand es großartig, mit besorgten Müttern und verliebten Reitschülerinnen umzugehen.

      Mikesch war einfach „die Antwort auf unsere Gebete“, wie Jörn einmal halb spöttisch, halb ernsthaft gesagt hatte. Darüber hinaus war er auch noch schön wie ein junger griechischer Gott.

      Ich mußte unwillkürlich kichern, als ich daran dachte, wie verdutzt Matty und ich bei Mikeschs erstem Besuch gewesen waren. Keiner von uns hatte erwartet, daß auf unsere bescheidene Anzeige hin ein etwa achtundzwanzigjähriger Mann mit schwarzen Locken und strahlend bläuen Augen auftauchen würde, der aussah wie ein Dressman oder ein Fotomodell für Zigarettenreklame.

      Seltsamerweise hatte uns sein gutes Aussehen anfangs durchaus nicht für ihn eingenommen, im Gegenteil. Als wir jedoch feststellten, daß Mikesch überhaupt nicht eingebildet und alles andere als ein Schönling war, hatten wir unsere Vorurteile schnell vergessen.

      Jetzt gehörte Mikesch mit dazu. Ohne ihn konnte ich mir Dreililien nicht mehr vorstellen; und wenn der Reitschulbetrieb wirklich ein Erfolg wurde und genug Geld einbrachte, um das Gestüt zu retten, war das wohl in erster Linie ihm zu verdanken.

      Der Wind trug mir das schrille Gewieher eines Pferdes von Dreililien her zu. Ich zuckte zusammen und dachte: Der Teufel soll diesen Horkheimer und seinesgleichen holen! Dann quietschte die Gartenpforte. Herr Alois sprang auf und rannte bellend über die Wiese.

      Jemand kam um die Hausecke. Ich sah auf; es war

      Matty. Zum erstenmal streichelte er Herrn Alois nicht, der ihn freudig umsprang. Mit verschlossenem Gesicht kam er zu mir, setzte sich neben mich auf die Bank und sagte: „Ich hab’s nicht mit ansehen können. Er hat Isabell und Odin abgeholt.“

      2

      Isabell — die schöne, eigenwillige Stute mit dem isabellfarbenen Fell, und ihr Hengstfohlen Odin, das erst zu Beginn dieses Sommers zur Welt gekommen war! Sie waren verkauft und wurden vielleicht gerade jetzt über die holprige Straße abtransportiert.

      Stumm starrte ich Matty an. Er wandte den Blick von mir ab. Ich dachte, wieviel schlimmer es doch für ihn sein mußte als für mich, denn er war ja mit den Pferden von Dreililien aufgewachsen und liebte jedes einzelne.

      Isabell und Odin ‒ ich würde sie nie Wiedersehen.

      Ich schluckte, um den Kloß in meiner Kehle loszuwerden. Meine Augen brannten.

      „Aber Odin“, sagte ich. Meine Stimme zitterte. „Er ist doch noch so jung!“

      „Horkheimer hat die beiden im Auftrag eines westfälischen Züchters gekauft. Sie sind von besonders guter Rasse. Odins Vater ist ein erfolgreiches Rennpferd, ein Araber.“

      Einen Augenblick lang wünschte ich, Isabell und Odin wären nur ganz gewöhnliche, stinknormale Pferde gewesen, die niemanden interessierten. Aber das war natürlich

      Unsinn. Ein Gestüt wie Dreililien lebte davon, edle Pferde mit möglichst großem Gewinn zu verkaufen; und dieses Geschäft ging schlecht genug. Trotzdem wünschte ich, daß sich der Pferdeverkauf wenigstens etwas menschlicher abgespielt hätte, daß nette, tierliebende Privatleute gekommen wären, um sich ein Reitpferd bei uns auszusuchen ‒ Leute, denen man ansah, daß die Pferde es gut bei ihnen haben Würden. So aber nahm Horkheimer sie mit, und wir wußten nicht einmal, wie ihre neuen Besitzer sie behandeln würden.

      Ich merkte, daß Matty mit den Tränen kämpfte, und legte den Arm um seine Schulter. Das war der einzige Trost, den ich ihm im Augenblick geben konnte.

      Einige Zeit saßen wir so beisammen und sagten gar nichts, weil es nichts zu sagen gab. Erst nach einer Weile fragte ich: „Und Jörn? Was sagt Jörn dazu?“

      „Gar nichts. Du kennst ihn ja. Wenn ihm etwas zu schaffen macht, zieht er sich in sein Schneckenhaus zurück. Er hat sein Laßt-mich-doch-alle-in-Ruhe-Gesicht aufgesetzt und ist in sein Zimmer verschwunden. Jetzt hört er Musik.“

      Ich nickte. Ja, das war typisch Jörn. Er hatte mir einmal erklärt, daß er gelernt hätte, Probleme mit sich selbst abzumachen. Deshalb fiel es ihm jetzt schwer, damit zu anderen zu gehen, selbst wenn er das wollte.

      „Und Mikesch?“ fragte ich.

      „Der ist vor einer Stunde nach Frasdorf gefahren, um Futter zu holen.“

      Matty fuhr sich mit dem Pulloverärmel über die Nase. Dann stand er auf. „Ich muß jetzt wieder hinüber“, sagte er. „Der Hufschmied kommt, und ich hab versprochen, ihm zu helfen. Joschi und Vroni machen beim Beschlagen immer Schwierigkeiten.“

      Ich sah zu ihm auf und dachte plötzlich, wie hart er doch mit sich selbst war ‒ vielleicht konnte man es auch tapfer nennen. Er war fünfzehn, ein halbes Jahr jünger als ich; und doch kam er mir manchmal sehr erwachsen vor ‒ erwachsener sogar als Jörn mit seihen fast achtzehn Jahren.

      Ich wußte sehr genau, daß Matty jetzt alles andere lieber getan hätte, als in den Stall von Dreililien zurückzugehen, daß auch er sich am liebsten irgendwo verkrochen hätte, nur um Isabells leere Box nicht sehen zu müssen. Doch wenn Matty etwas versprochen hatte, hielt er es, auch, wenn es ihm noch so schwerfiel. Das war eine Eigenschaft, die ich an ihm bewunderte.

      Unwillkürlich sagte ich: „Ich komme mit dir, Matty.“

      „Das ist lieb von dir“, erwiderte er dankbar. „Vielleicht könntest du Mikesch später beim Abladen helfen. Wer weiß, wann Jörn wieder auftaucht. Wir können Mikesch ja nicht alle Arbeit allein machen lassen.“

      „Er schuftet sowieso für drei“, stimmte ich zu, während wir aus dem Garten gingen. „Für die Arbeit, die er leistet, müßte er eigentlich

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