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      »Zu Hause auf dem Hof, zwanzig Kilometer nördlich der Stadt, in Lonkkaniemi.«

      Er übersetzt, und das bringt ihm ein kurzes Nicken und zwei geschnaubte Wörter ein.

      »Was willst du uns zeigen?«

      Ich zeige auf das Haus von Luukas und Roosa und mache eine Handbewegung, die bedeuten soll, dass ich ein gehorsamer Untertan bin, der seine Herren willkommen heißt. Der Offizier überlegt kurz und bedeutet mir dann, dass er mir folgen wird, auf Distanz. Und so gehen wir hintereinander zu dem Haus, wo ich die Tür öffne und offen halte, was wenig bringt, denn der Offizier will erst eintreten, nachdem seine Soldaten das Gebäude durchsucht haben, vom Keller bis zum Dachboden, auf Granaten und Minen, wie ich verstehe. Und während das vor sich geht, zeige ich ihm den Holzstapel, den ich aufgeschichtet habe, die Reste von Luukas’ Scheunenwand. Aber er nickt nur kurz und scharrt stattdessen mit den Füßen in dem Haufen aus Eisenschrott herum, fragt mit Hilfe des Dolmetschers, was das denn hier sei. Ich sage es ihm, Werkzeug und Ausrüstungsgegenstände, die ich irgendwann reparieren will, ein Plan, der das Bild von mir zu bestätigen scheint, dass sich jetzt offenbar in ihm festsetzt.

      Der Offizier erhält von einem seiner Soldaten ein Klarsignal, zuckt mit den Schultern, und zusammen mit dem Dolmetscher und zwei einfachen Soldaten gehen wir in die Küche, er setzt sich an den Tisch von Luukas und Roosa, während ich anfange, Kaffee zu kochen und Brot zu schneiden, und die Soldaten beziehen jeweils an den Türen Posten.

      Der Offizier sagt etwas, aber der Dolmetscher antwortet nicht und übersetzt auch nicht. Wieder sagt der Offizier etwas, und es hört sich an, wie dasselbe noch einmal.

      »Was sagt er?«, frage ich.

      »Er hat gesagt, dass ich das nicht übersetzen soll.«

      »Aber es hat mit mir zu tun?«

      Der Dolmetscher sagt etwas zu dem Offizier, der offenbar aus seinen Gedanken gerissen worden ist, denn er antwortet kurz, aber nicht unwillig.

      »Er sagt, dass diese Stadt abgebrannt worden ist«, sagt der Dolmetscher, und bei ihm hört es sich an wie eine Frage.

      »Damit ihr hier nichts vorfindet«, sage ich. »Weder Lebensmittel noch Häuser.«

      »Das hat er schon verstanden, aber er glaubt, dass es eine Falle sein kann.«

      Ich sehe wieder die Schatten vor mir, die während des Brandes wie eine grauer Fluss über das Eis des Kiantajärvi gehuscht sind.

      »Warum seid ihr dann hineingetappt?«

      Der Dolmetscher macht wieder ein Gesicht, als ob er seinen Ohren nicht traut, dann fängt er plötzlich an zu schimpfen, einfach vor sich hin, er hat wohl Angst davor, seine Wut auf ein klares Ziel zu richten. Aber im selben Moment fällt der Soldat, der an der Haustür Wache gestanden hat, in Ohnmacht und kommt wieder zu sich, als er auf den Boden aufschlägt, er bezieht blitzschnell Position und murmelt etwas, das sicher eine Entschuldigung sein soll. Ich sehe ihren aufgedunsenen Gesichtern an, dass die plötzliche Hitze sie so fertigmacht, und ich reiche dem Soldaten eine Scheibe Brot. Er schaut kurz zu dem Offizier hinüber, der in eine andere Richtung blickt, schnappt sich das Brot und schlingt es hinunter wie ein ausgehungerter Hund. Ich gebe auch seinem Kameraden eine Scheibe, er isst auf dieselbe Weise, während der Offizier eine verärgerte Handbewegung macht und der Dolmetscher nun wieder mir ins Gesicht blickt, offenbar wählt er seine Worte jetzt sorgfältig aus.

      »Was glaubst du denn?«, fragt er, wieder meint er diese Falle, die die Finnen möglicherweise für sie gestellt haben. Und ich begreife, dass diese Frage gefährlich ist, aber dass sie vielleicht auch meine Rettung werden kann, wenn ich auf eine Weise antworte, die den Offizier davon überzeugen kann, dass ich nicht nur dumm bin, sondern auch so ungefährlich, wie er sich das offenbar erhofft.

      »Ich weiß nicht«, sage ich und schenke Kaffee in Roosas Tassen ein und schiebe die schönste dem Offizier hin, der sofort danach greift und sie mit seinen verdreckten Pulswärmern umklammert.

      »Aber was glaubst du wirklich?«, kläfft der Dolmetscher noch einmal. Ohne mich aus der Fassung bringen zu lassen, gebe ich auch den beiden einfachen Soldaten Kaffee, den sie lauthals schlürfen, zum sichtlichen Ärger des Offiziers. Ich sage ruhig zu dem Dolmetscher:

      »Würdest du auch etwas übersetzen, wovon du glaubst, dass er es nicht gern hört?«

      »Was?«

      Ich wiederhole meine Frage.

      »Natürlich!«

      »Dann sag ihm doch, ich finde, dass du schlecht Finnisch sprichst, vor allem, wenn du wütend wirst.«

      Ich schaue zu Boden, spüre aber, dass der Dolmetscher rot wird und mir den Kaffee bestimmt gern ins Gesicht kippen würde. Stattdessen leiert er einige Sätze auf Russisch herunter, und der Offizier starrt ihn verwundert an, dann stößt er wieder sein grobes Gelächter aus.

      »Ich verstehe nicht alles, was du sagst«, füge ich eilig hinzu. »Du musst schon entschuldigen.«

      Der Dolmetscher übersetzt auch das, nach der Reaktion des Offiziers zu urteilen, denn der sagt einige lange Sätze, während sein Gesicht sich immer mehr entspannt, als habe eine Serie von bangen Ahnungen sich nun endlich als unbegründet erwiesen. Als der Dolmetscher mich schließlich am Gespräch teilnehmen lässt, ist auch er ruhiger geworden, aber etwas Drohenderes und Misstrauischeres liegt in seinem Blick, und das gefällt mir nicht.

      »Wir haben keinen Gefangenentransport«, sagt er tonlos. »Aber du kannst beim Tross dabei sein, die brauchen Holzfäller.«

      Ich nicke. Er sagt:

      »Und ich brauche ja wohl nicht zu sagen, dass du erschossen wirst, wenn uns auch nur der kleinste Verdacht kommt ...«

      Ich schaue ihn fragend an.

      »Kannst du das wiederholen?«

      Er wiederholt, jetzt eher gereizt als misstrauisch.

      »Das finde ich gut«, sage ich, als ich endlich begriffen habe, worauf er hinauswill. »Ich fälle gern Holz.«

      Wir schauen einander lange an, bis etwas eintritt, von dem ich hoffe, dass es sich um eine Art Waffenstillstand handelt, er scheint sich jedenfalls damit abgefunden zu haben, dass ich harmlos bin.

      Ich frage, ob sie wissen möchten, wem das Haus gehört hat, in dem sie hier sitzen, ehe es Finnland und dem Krieg zugefallen ist.

      »Nein«, sagt der Dolmetscher.

      Ich wiederhole die Frage.

      »Nein«, sagt er noch einmal. »Aber wir möchten wissen, warum es nicht abgebrannt worden ist, wenn du nichts dagegen hast?«

      »Weil ich darauf aufgepasst habe«, antworte ich und gehe zur der Wand hinter dem einen Wachtposten und nehme das Bild von Luukas und Roosa herunter und legte es vor dem Offizier auf den Tisch, zeige auf die beiden alten Leute und nenne ihre Namen. Er mustert sie zerstreut.

      »Sie sind vor dreißig Jahren aus Raatevaara gekommen«, sage ich. »Luukas hat sich als Schuhmacher und Handwerker hier niedergelassen, er hat dieses Haus selbst gebaut, sie haben drei Söhne, die alle im Krieg sind ...«

      Aber der Dolmetscher übersetzt nicht, er wirkt erschöpft, und auch der Offizier zeigt keinerlei Interesse, er sitzt nur da und starrt das Foto an, als ob es ihn an etwas erinnert – alles hat etwas Vertrautes, und plötzlich hebt er den Blick und starrt mir ins Gesicht. Ich schaue zurück. Er hebt die Tasse, als wolle er mehr Kaffee. Ich schenke ein und frage, ob er nicht die Brotscheiben essen will, die ich ihm hingelegt habe. Er reagiert nicht. Er trinkt Kaffee und denkt weiter an etwas, das einfach nicht aufhören will, ihn zu beunruhigen. Und bei diesem Geräusch von heißem Kaffee, der vorsichtig über blaue Lippen geschlürft wird, ist es, als ob ich nicht mehr existierte, oder als ob ich zu einem belanglosen Diener geworden wäre, einem Hund, der sich ein wenig nützlich machen oder der sie unterhalten kann, wenn es ihnen so passt, mir passt es jedenfalls. So verlief meine erste Begegnung mit den Russen, und ich weiß wirklich nicht, wie sie anders hätte ausfallen können.

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