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zur Torheit getrieben, hatte ein wohlhabender englischer Ehrenmann seine Mätresse geschwängert und damit sein Leben wesentlich komplizierter gemacht. Die exakten Umstände der Entbindung sind nicht überliefert, doch wäre es interessant zu wissen, was die Mutter des Kindes, eine unter dem Namen Elizabeth Ward bekannte Londonerin, hochschwanger nach Genua verschlagen hatte. War sie mit ihrem rasch anschwellenden Bauch sitzengelassen worden und hatte daraufhin die Reise über die Alpen unternommen, um den Vater zu finden? Oder war dieser ein junger, in Leidenschaft entbrannter Mann, der, ins Ausland versetzt, seine Geliebte dreist einfach mitgenommen hatte? Oder er war auf Kavalierstour und hatte sie in seinem Gefolge untergebracht? Wir werden die Wahrheit nie erfahren. Sicher ist jedoch, das sich die junge Mutter und ihr Kind, das sie Charlotte Ward nannte, bald nach der Geburt auf einem Schiff zurück nach England wiederfanden; abgeschoben von einem Mann, der sich seiner Mätresse und der Unannehmlichkeit eines unehelichen Kindes schnellstens entledigen wollte. Vor ihrer Abreise wurde der selbst ernannten »Mrs. Ward« noch eine stattliche Abfindung ausgezahlt, um sicherzustellen, dass alle Verbindungen von nun an gelöst waren, dass eine gewisse Diskretion gewahrt wurde und dass das Kind, sollte es einmal erwachsen werden, nicht um väterliche Zuwendungen vorstellig würde. Charlotte Ward hatte stets nur ein Elternteil gehabt, um sie mit den Wegen der Welt vertraut zu machen.

      Wo auch immer Mrs. Ward vor ihrem italienischen Intermezzo hergekommen war, ob ihr Galan sie aus einem Freudenhaus geholt oder hinter dem Karren eines Apfelverkäufers hervorgezogen hatte, nach ihrer Rückkehr in die Hauptstadt hatte sie jedenfalls nicht vor, einen Verlust ihrer privilegierten Stellung hinzunehmen. Durch ihre Affäre hatte sie Welterfahrung gesammelt und in den wohlhabenderen Gesellschaftskreisen Kontakte geknüpft, und nun verwendete sie ihre Energie und was ihr von der Entschädigungssumme ihres Liebhabers verblieben war, an die Eröffnung eines Bordells. Aus der Riege der Huren in die der Kupplerinnen überzuwechseln, sobald die körperlichen Reize dahinzuschwinden begannen, war ein klarer gesellschaftlicher Aufstieg: Es bedeutete den Rückzug in den geschützten Hintergrund, weg von den unmittelbaren Gefahren, denen die an vorderster sexueller Front Dienenden ausgesetzt waren. Frauen, die von jungen Jahren an den Männern der Nation ihre Dienste verkauft hatten, konnten von nun an darauf hoffen, sich ihren Lebensunterhalt zu sichern, indem sie die Reize anderer für sich einspannten. Ob sie nun irgendwann einmal selbst in einem Bordell gearbeitet hatte oder nicht, Elizabeth Ward hatte das Geschäft jedenfalls genau genug beobachtet, um zu wissen, wie sie ihr eigenes Haus zu führen wünschte. Londons Straßen waren gesäumt von abschreckenden Beispielen heruntergekommener, schmutziger und schlecht geführter Hurenwinkel, wo in zugigen Dachkammern kranke, kaum ihrer Sinne mächtige Frauen von ihren Buhlern ein paar Pennys zugesteckt bekamen. »Mutter« Ward hatte keinerlei Interesse daran, ein solches übel beleumdetes Unternehmen zu leiten. Sie hatte eine Klientel im Auge, die einen weit erleseneren Geschmack besaß und hinsichtlich ihres geschlechtlichen Wohlergehens um vieles anspruchsvoller war. Genauso wenig war sie darauf aus, mit den in Covent Garden angesiedelten warenhausartigen Großbordellen zu konkurrieren, sondern hatte es vielmehr auf einen exklusiven Nischenplatz in einer florierenden Gegend des West Ends abgesehen.

      Spring Garden, ein Fleckchen Erde, das später einmal vom Trafalgar Square und den umliegenden Bauten verschluckt werden sollte, war ein ruhiger und vornehmer Ort, nicht weit weg vom Rand des St. James’s Parks. Er war der Pall Mall nahe genug, um exklusiv zu wirken, lag aber auch noch in guter Reichweite des am Haymarket neu entstandenen Little Theatre, um so auch eine genussfreudigeres, wollüstiges Völkchen anziehen zu können. Vor allem das bescheidene Ambiente der Gegend hatte es Elizabeth Ward angetan. Ihr Etablissement war eher kleineren Zuschnitts, konnte aber auf einen bevorzugten Kreis von Stammkunden zurückgreifen, der durchaus auch aus jenen Kontakten erwachsen sein könnte, die sie während ihrer Zeit in Genua geknüpft hatte. Nur wer von der Existenz des Bordells wusste, konnte es hinter der Fassade von Ladenfronten ausfindig machen. Für den unangekündigten Besucher erweckte Mrs. Wards Unternehmen den Eindruck eines ganz normalen Galanteriewarenladens, dem von Mrs. Cole, der Bordellwirtin in John Clelands Roman Fanny Hill, geführten Geschäft gar nicht unähnlich. Im Hause Elizabeth Wards saßen im Vorzimmer junge Damen, die sich ganz unschuldig mit der »Verfertigung von Damenumhängen, Häubchen etc.« abmühten: ein nutzreicher Deckmantel für »den Handel mit einer viel kostbareren Ware«.

      Doch trotz dieses sauberen und einladenden Erscheinungsbilds gestaltete sich die alltägliche Lebenswirklichkeit unter dem Dach ihres Etablissement nicht sonderlich angenehm. Wie jede Bordellmutter wusste, durfte man Huren nicht vertrauen und musste immer ein Auge auf sie haben. Geld und Geschenke händigte man ihnen am besten nie direkt aus, man durfte auch keinen Besuch von Freunden gestatten oder dulden, dass sie heimlich Botengänge und Besorgungen machten. Gewährte man ihnen Freiheiten, führte das immer schnell zu Schwierigkeiten – vornehmlich dazu, dass plötzlich nicht mehr die Arbeitgeber ihre Angestellten über den Tisch zogen, sondern die Angestellten die Arbeitgeber. Wollte Mrs. Ward sich und ihrer Tochter eine gesicherte Zukunft bieten, musste sie ihren Laden fest im Griff haben. Eine tüchtige Zuhälterin nutzte alle verfügbaren Mittel, um dafür zu sorgen, dass ihr keine ihrer Frauen abspringen konnte; dazu gehörten auch verschiedene Formen von Strafe und Nötigung. Um rechtmäßig behalten zu können, was sie als ihr Eigentum betrachteten, bemühten die im Kuppeleigewerbe Tätigen des 18. Jahrhunderts sogar das Gesetz. Jede junge Frau, die so töricht war, aus dem Haus ihrer Kuppelmutter fortzulaufen, konnte damit rechnen, vor einen Friedensrichter gezerrt und wegen des Diebstahls ihrer Kleidung belangt zu werden. In den meisten Fällen waren die Artikel, mit denen sie durchgebrannt war, ebenjene, die ihr die Hurenwirtin als passende Arbeitsmontur gestellt hatte. So verhielt es sich auch im Fall der Ann Smith, die 1752 von Mrs. Ward beschuldigt wurde, sich mit »einem Kleid aus ungebleichtem Leinen, ... einem Paar Manschetten mit Spitzen, ... einem Paar Seidenstrümpfe, ... einem Seidenhut und einem Paar Strass-Ohrringen« aus dem Staub gemacht zu haben – im Wesentlichen also wohl mit dem, was sie gerade am Leibe trug. Schon nach kurzer Zeit im Geschäft sollte Elizabeth Ward in Lohndirnenkreisen für ihre strengen Methoden berüchtigt sein. Welches Schreckensarsenal wohl Ann Smith zu ihrer überstürzten Flucht getrieben hatte, vermag man sich kaum auszumalen.

      Bereits als kleines Mädchen muss Charlotte derlei Dramen am Rande miterlebt haben. Über viele Jahre hinweg wird sie viel zu unbedarft gewesen sein, um zu begreifen, dass Mrs. Ward all das tat, um Charlottes Wohlergehen und Zukunft zu sichern; dass diesem Ziel jeder Penny diente, den sie ihren Dirnen aus den Fingern wand. Für ein heranwachsendes Kind muss ein Hurenhaus eine seltsame Kinderstube gewesen sein. Ihre frühesten Erinnerungen waren wohl die an ihre unkonventionelle kleine Familie von Frauen, die dasaßen und stickten, schwatzten und gelegentlich kicherten. Männer kamen und gingen wie Schemen, während animalische Grunz- und Stöhnlaute unter den Türen hervor und durch die Wände drangen. Manchmal werden große Stürme der Emotionen das Haus erschüttert haben, und den vertrauten Gesichtern, die eben noch über ihren Näharbeiten lächelten, entrang sich nun gramvolles Jammern oder sie umdüsterten sich in Wallungen der Gewalt. Charlotte mag sich auch an die Zornesblitze ihrer wütenden Mutter erinnert haben und daran, wie ihre vaterlose Familie schutzsuchend in Deckung ging, wenn das Gewitter aufzog. Über die Beobachtung ihrer Mutter und der wohlgeordneten Tagesabläufe in ihrem sonderbaren Zuhause wird sie schon als Kind sehr vieles gelernt haben. Doch das Leben, das Mrs. Ward für ihre Tochter vorgesehen hatte, verlangte eine geziemendere Erziehung.

      Aus ihrem späteren Leben wird deutlich, dass Charlotte eine etwas bessere Bildung genossen haben dürfte. Während der Lehrplan der örtlichen Armenschulen allein auf die Vermittlung der Grundkenntnisse ausgerichtet war – Lesen, Schreiben, Rechnen, religiöse Unterweisung und Vorbereitung auf eine Lehre –, gehörte zum Programm der etwas anspruchsvolleren, wenn auch nicht unbedingt hohe Anforderungen stellenden Bildungsanstalten für junge Damen auch das Eindrillen der »weiblichen Fertigkeiten«: Zusätzlich zu den Rechtschreib- und Rechenstunden erhielten die Schülerinnen auch Unterricht in Französisch, in Tanz und Musik und im rechten Betragen. Wenn sie besonderes Glück hatten, kamen sie auch mit dem Italienischen in Berührung, lernten Handarbeiten und Buchführung, und es wurden ihnen vielleicht rudimentäre Kenntnisse in Geschichte, Geografie und in den Werken der klassischen Antike vermittelt. Wie der Sozialreformer Francis Place zu berichten weiß, gab es im georgianischen London eine Reihe von »achtungswerten Tagesschulen« für Mädchen, die gegen eine geringe Gebühr einen solchen allgemeinbildenden Lehrplan anboten. Eingedenk der vielen

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