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Der Schimmel im Moor. Ursula Isbel-Dotzler
Читать онлайн.Название Der Schimmel im Moor
Год выпуска 0
isbn 9788711804483
Автор произведения Ursula Isbel-Dotzler
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Ich erwartete, dass er mich nur bis auf ein paar Schritte an sich heranlassen und dann zurückweichen würde, doch jetzt schien er mir zu vertrauen.
»Ragni!«, rief mein Vater. »Pass auf! Vielleicht hat er die Tollwut!«
Ich schüttelte nur den Kopf. Als ich ihn erreicht hatte, wedelte er noch immer leicht und wandte den Blick nicht von meinem Gesicht. Ich kniete nieder und streckte die rechte Hand aus. Keine Sekunde lang fürchtete ich, er könnte mich beißen. Ich war sicher, dass er mir nichts tun würde.
»Du hast mich also gefunden«, murmelte ich. »Kluger Hund! Ist es okay, wenn ich dich anfasse?«
Scheu schob er die Schnauze vor und beschnupperte meine Hand. Seine Augen, so dicht vor mir, waren faszinierend, von einem bläulichen Grau, durchscheinend wie Mondstein. Ich hob sacht die Hand und begann, seine Stirn zu streicheln. Dabei redete ich unaufhörlich beruhigende, liebevolle Worte, alles, was mir gerade in den Sinn kam.
Mit gespitzten Ohren lauschte er und ließ dabei zu, dass ich ihn weiter berührte. Seine Ohren waren verklebt und mit schlecht verheilten Wunden bedeckt, auf seiner Nase war dicker Schorf. Er trug kein Halsband, nur ein schmutziges, abgewetztes Stück Seil, das lose um seinen mageren Hals hing.
An dem Ruck, der durch den Körper des Hundes ging, merkte ich, dass mein Vater aus dem Haus getreten war, noch ehe ich seine Schritte auf dem Pflaster hörte. Der Hund wich zur Seite, duckte sich im Schutz eines Eibenstrauchs.
»Er tut nichts«, sagte ich über die Schulter. »Er ist nur total verängstigt.«
Mein Vater nickte. Er liebt Tiere, genau wie ich. »Armer Kerl«, murmelte er. »Wie kommt er ausgerechnet hierher?«
»Das erzähl ich dir später.« Ich richtete mich auf und sagte dabei leise zu dem Hund: »Keine Angst, vor ihm brauchst du nicht wegzulaufen.« Um zu zeigen, dass wir zusammengehörten, legte ich die Hand auf den Arm meines Vaters.
Jetzt mischte sich Mrs Abercrombie wieder ein. Sie stand noch immer auf dem Vorplatz, bereit, sich ins Haus zu retten und die Tür zuzuschlagen.
»Scheuchen Sie doch endlich dieses Tier weg!«, rief sie mit schriller Stimme. »Ich will ihn nicht auf meinem Grundstück haben! Er soll hier verschwinden!«
Beim Klang ihrer Stimme zuckte der Hund zusammen. Ich drehte mich um und sagte: »Nein, er braucht Hilfe. Ich werde ihn nicht wegjagen.«
Mein Vater seufzte. Er kannte mich und sah mir wohl an der Nasenspitze an, dass ich es ernst meinte und dass eine Konfrontation mit Mrs Abercrombie dicht bevorstand.
Er ging zum Haus zurück und sagte beschwichtigend: »Tut mir Leid, Mrs Abercrombie. Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Dieser Hund ist vollkommen harmlos, er hat vermutlich seinen Herrn verloren. Meine Tochter wird sich um ihn kümmern und herausfinden, wohin er gehört. Sie hat schon als Kind immer verletzte Tiere und aus dem Nest gefallene Vögel mit nach Hause gebracht.«
»Aber nicht in mein Haus, das verbitte ich mir!« Mrs Abercrombies mädchenhaftes Gezwitscher verwandelte sich immer mehr in eine Art Keifen. »Ich will diesen Hund nicht hier haben; er hat sicher Ungeziefer und Bakterien und verschmutzt meine Teppiche. Und wer garantiert mir, dass er nicht plötzlich um sich beißt?«
Der Hund sah zwischen mir und dem Vorplatz hin und her. Ich hätte schwören können, dass er verstand, worum es ging. Ich trat einen Schritt auf ihn zu und legte die Hand auf seinen Kopf. Er zuckte nicht mehr zurück, ließ es sich ruhig gefallen, als hätte er beschlossen, sich mir nun ganz anzuvertrauen.
»Regen Sie sich doch bitte nicht auf!«, erwiderte mein Vater genervt. Er hasste Szenen. Ich wusste, er wünschte nichts mehr, als in Ruhe gelassen zu werden und wieder zu seiner Arbeit zurückzukehren.
Ich griff nach dem Strick, der um den Hals des Hundes hing. Ohne zu zögern, folgte er mir über den Gartenpfad. Mrs Abercrombie stand nun halb hinter meinem Vater, die Hand am Türknauf. Sie würde mich und den Hund nicht zusammen ins Haus lassen, so viel war klar.
Ich sagte: »In Ordnung, dann suche ich mir eben irgendwo anders eine Unterkunft. Bed & Breakfast-Häuser gibt’s hier genug. Und bestimmt auch Leute, die Tiere nicht für stinkende, gemeingefährliche Monster halten.«
Damit machte ich kehrt und ging zur Gartenpforte, den Hund an meiner Seite. Dass ich barfuß war, merkte ich erst später.
6
Mein Vater folgte uns. Auf der Straße holte er uns ein.
»Ragni!«, sagte er. »Verdammt noch mal, was ist das jetzt wieder für ein Durcheinander?«
Ich ging einfach weiter, und der Hund folgte mir, als wäre das für ihn die selbstverständlichste Sache der Welt. »Ich kann nichts dafür«, erklärte ich. »Ich bin ihm heute begegnet, er ist mir zugelaufen. Er braucht Hilfe. Hätte ich ihn wegjagen sollen? Wenn er beim Tierarzt war und gebadet ist, ist er völlig in Ordnung. Schuld ist bloß diese Tussi mit ihrem süßlichen Gelaber und ihren Kisschen und Deckchen und all dem sentimentalen Kitsch. Wenn der Hund nicht dort bleiben kann, hab ich in ihrem Haus auch nichts mehr verloren.«
»Du meinst, irgendjemand wird dich aufnehmen, so verwahrlost, wie das arme Geschöpf aussieht?«
Ich verdrängte die Zweifel, die mich beschlichen. »Sicher. Nicht jeder ist so herzlos und borniert. Und ich kann für meine Unterkunft selbst bezahlen. Schließlich hab ich noch das Geld, das ich für Griechenland gespart hatte.«
Mein Vater fasste mich an der Schulter. »Unsinn, Ragni. Natürlich zahle ich für deine Unterbringung, darum geht es doch nicht. Also hör zu, wir kehren jetzt um und steigen ins Auto und suchen gemeinsam nach einem Quartier, in Ordnung? Oder nein, wir fahren gleich mal zur Polizei, vielleicht hat sich der Besitzer des Hundes ja längst gemeldet.«
Ich schüttelte heftig den Kopf. »Nein, der arme Kerl hat’s nicht gut gehabt da, wo er war. Er ist entweder ausgesetzt worden oder weggelaufen. Merkst du nicht, wie verängstigt er ist? Und halb verhungert dazu.«
Der Hund sah zu mir auf. Es war, als wollte er mir etwas sagen.
Mein Vater seufzte. »Heißt das, dass du ihn behalten willst? Dass das nicht geht, weißt du genau. Wir haben keinen Garten; und so ein großer Hund gehört nicht in eine Stadtwohnung.«
»Alles geht, wenn man nur will«, sagte ich. »Jedenfalls bringe ich ihn nicht zu seinem alten Besitzer zurück. Und ins Tierheim kommt er auch nicht – nur über meine Leiche!«
»Herr im Himmel!« Das Gesicht meines Vaters war so verzweifelt, dass es fast schon komisch wirkte. »Warum muss dieser arme Tropf ausgerechnet dir über den Weg laufen?«
»Weil er mich gebraucht hat. Das ist ganz einfach Schicksal.«
»Dann lass uns jetzt wenigstens mit ihm zum Tierarzt fahren.«
»Morgen«, sagte ich. »Heute soll er erst mal Ruhe haben und sich an mich gewöhnen. Wenn ich ihn jetzt zum Tierarzt bringe, denkt er womöglich, ich will ihn irgendwelchen weiß gekleideten Zombies ausliefern.«
»Na gut, vielleicht hast du Recht.« Mein Vater sah genervt, aber auch voller Mitleid auf den Hund nieder. »Wir suchen jetzt erst mal ein Zimmer für euch, damit du nicht auf der Straße übernachten musst.«
Er überlegte kurz. »Liegt nicht bei Mrs Abercrombie in der Diele ein Fremdenverkehrsprospekt? Darin müssten auch die örtlichen Bed & Breakfast-Adressen verzeichnet sein. Warte hier, ich bin gleich zurück.«
Ich nickte, zugleich erfreut und verblüfft über diesen bei ihm so ungewöhnlichen Anfall von praktischem Menschenverstand.
»Bring auch ein paar von meinen Sachen mit, ja?«, sagte ich. »Meinen Pyjama und das Zahnputzzeug und frische Unterwäsche und all so was. Und die Tennisschuhe. Sie stehen unterm Bett. Alles andere können