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Der Schimmel im Moor. Ursula Isbel-Dotzler
Читать онлайн.Название Der Schimmel im Moor
Год выпуска 0
isbn 9788711804483
Автор произведения Ursula Isbel-Dotzler
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Etwas Düsteres, Geheimnisvolles haftete Ricruin an; es hätte die Kulisse zu einem Shakespeare-Drama sein können, Macbeth vielleicht. So sehr ich mich auch bemühte, die Burg zu ignorieren, sie drängte sich immer wieder hartnäckig in mein Blickfeld und erinnerte mich an den Grund unseres Hierseins.
Wir frühstückten gemeinsam im King’s Heart Hotel, mein Vater und ich – ein üppiges englisches Frühstück mit Tee und Toastbrot, Cornflakes, Eiern, Schinken und den süßlichen Würstchen, die ich ekelhaft fand. Mein Vater wirkte geistesabwesend. Schweigend trank er eine Tasse Tee nach der anderen, während ich mich fragte, wie ich diesen ersten Tag und alle folgenden verbringen sollte. Was konnte man in diesem gottverlassenen Nest am Ende der Welt unternehmen? Schlotternd und mit Todesverachtung im Loch Swan paddeln, der bestimmt kaum wärmer als ein Gletschersee war? Auf den umliegenden Bens herumklettern? Unterricht im Dudelsackspielen nehmen?
»Rede doch mal mit Mrs Abercrombie«, riet mein Vater nach dem Frühstück. »Sie kann dir sicher sagen, welche Aktivitäten hier geboten werden. Frag sie nach einem Reitstall. Bestimmt gibt es auch Busfahrten durch die Highlands. Oder ans Meer, nach Ullapool, falls du mal Lust hast, mit dem Schiff an der Küste entlangzuschippern.«
Nachdem er so sein Gewissen beruhigt hatte, eilte er mit wehenden Haaren über die Hauptstraße davon, in Richtung Ricruin Castle, wie ich vermutete.
Ich sah ihm nach und dachte finster, dass ich an allem ganz allein selbst schuld war. Kein Mensch hatte mich gezwungen, mit hierher zu kommen, es war meine freie Entscheidung gewesen.
Die Hauptstraße von Glengarth bestand aus zwei Reihen schlichter, niedriger Häuser, einem Gasthaus namens The Trout, dem Hotel, einem Supermarkt, einem Tante-Emma-Laden, der zugleich auch Postamt war, einem Souvenirshop und dem Tea Cosy, in dem es Backwaren, Tee, Kaffee und Eis gab.
In einer Seitenstraße fand ich neben einem Antik-Shop noch ein winziges, ziemlich düster wirkendes Lädchen mit alten Büchern und Stichen und ein Geschäft mit Anglerzubehör. Über der Tür baumelte ein rot gepunkteter Fisch an einer Angel; und obwohl er natürlich nicht echt, sondern aus Blech war, verschlechterte sich meine Stimmung durch seinen Anblick noch mehr, denn ich habe es immer abartig und heimtückisch gefunden, Fische mit Ködern anzulocken und ihnen Haken in den Schlund zu treiben.
Ganz gleich, wo ich auch ging oder stand, ob ich die High Street überquerte oder mit einer Tüte voll frischer Scones die Tür des Tea Cosy hinter mir schloss, aus den Augenwinkeln sah ich immer Ricruin Castle dort oben auf dem Felsbuckel; und wenn ich es einmal nicht sah, glaubte ich doch, seine Gegenwart zu spüren.
Es war neben dem Loch Swan auch das beliebteste Postkartenmotiv in dieser Gegend. Sogar T-Shirts gab es, auf denen das finstere Gemäuer prangte, in eine Art Nebel gehüllt, aus dem eine grünliche Fratze emporstieg wie im Märchen vom Geist in der Flasche.
Immerhin regnete es nicht. Der Wind war kühl, aber seltsam weich. Er umschmeichelte mein Gesicht und meine Haare mit einer Fülle vielversprechender Gerüche – nach Tang und Meer, nach Heidekraut und Quellwasser und Moor und taufeuchten Gräsern.
Im Antiquariat kaufte ich einen Führer durch die Region des Ben Cruin und wanderte damit zum See hinunter, der wie ein Riesenfleck dunkelblauer Tinte unter dem tief hängenden Gewölk lag. Ein Dutzend verloren wirkender Boote schaukelten auf dem Wasser und vom Campingplatz schallte Musik herüber, unterbrochen von wildem Hufgetrappel und Schüssen. Es dauerte einige Zeit, bis ich begriff, dass da vermutlich ein Camper mit Gehörschaden im Freien vor dem Fernseher saß und sich einen Western ansah.
Ich spazierte ein Stück den Loch Swan entlang, begleitet vom Wind. Kleine Wellen spülten mit saugendem Geräusch über die Kiesel am Strand und zogen sich mit leisem Schmatzen wieder zurück. In der Ferne stolzierten Vögel mit Stelzfüßen durch das seichte Wasser auf der Suche nach Beute und eine Entenmutter mit ihren Jungen im Kielwasser paddelte an mir vorbei.
Ich setzte mich auf einen Felsbrocken, zog die linke Sandale aus und tauchte meine Zehen ins Wasser. Es war eiskalt, genau wie ich vermutet hatte. Rasch zog ich den Fuß wieder zurück und strich im Geist das Wort baden von meiner Liste. Dann holte ich den kleinen Reiseführer aus dem Rucksack, schlug die ersten Seiten auf und überflog den Abschnitt mit Informationen über den Ben Cruin – seine Höhe, die Wanderwege, die zum Gipfel oder um den Berg herum führten, die Beschaffenheit des Gesteins. Darunter stand fett gedruckt eine Warnung vor plötzlich hereinbrechendem Nebel, Eis, Schnee und unerwartet heraufziehenden Stürmen.
Auf Seite vier gab es eine alte, grob gekörnte SchwarzWeiß-Fotografie des Loch Swan, der weniger harmlos zu sein schien, als er aussah. Es hieß, er sei in der Mitte unergründlich tief und hätte gefährliche Strömungen. Bei Sturm waren im Lauf der Zeit offenbar schon jede Menge Fischerboote mit Mann und Maus darin versunken.
Ich blätterte weiter. Es überraschte mich nicht, dass das nächste Foto Ricruin Castle zeigte. Die Bildunterschrift lautete: »Ricruin Castle, erbaut im 14. Jahrhundert, seit elf Generationen im Besitz der Dysarts of Ricruin, eines der berühmtesten und berüchtigsten Spukschlösser Schottlands.«
Mist!, dachte ich und klappte das Buch zu. Doch es gibt Dinge, denen man nicht entkommen kann, so sehr man es auch versuchen mag. Das wurde mir klar, als ich den Blick hob und hoch über dem See und den Häusern des Ortes die efeuumrankten Mauern der Burg aufragen sah.
Ein Sonnenstrahl, der jäh durch die Wolkendecke drang, ließ eine der Fensterreihen geheimnisvoll aufblitzen. Es sah aus, als wanderte jemand mit einem Kerzenleuchter durch die Räume.
Während ich wie gebannt nach oben sah, fiel mir das Märchen von Ritter Blaubart ein, der seine Frauen tötete, wenn sie die verbotene Kammer betraten. Ob es eine ähnliche Geschichte gab, die man sich von der Burg erzählte? Eine Weiße Frau vielleicht, die umging, weil ihr Mann sie ermordet hatte? Oder einen Burgherr, der den Liebhaber seiner Frau im Kerker verschmachten ließ und seitdem als schuldbeladener Geist durch die Gänge und Hallen schlich?
Ich wandte den Blick von der Burg ab und biss mir auf die Unterlippe. Da hatte ich mir fest vorgenommen, mich total aus allem herauszuhalten, was mit der Arbeit meines Vaters zu tun hatte; und kaum war ich hier, ertappte ich mich schon dabei, wie ich darüber nachgrübelte, was es mit dem Spuk von Ricruin Castle auf sich haben mochte.
Ich kann beschwören, dass ich nicht weiter in dem kleinen Reiseführer blätterte – weder an diesem Tag noch an einem der folgenden. Wenn ich es getan hätte, wäre mir später vielleicht manches in einem anderen Licht erschienen, zumindest für kurze Zeit. Dann hätte ich mir einreden können, dass ich es nur mit einem Trugbild zu tun hatte, das meine Fantasie mir vorgaukelte, weil ich die Geschichte vom weißen Hengst und seinem Reiter bereits kannte und unbewusst darauf wartete, ihn zu sehen.
Zuerst aber erschien Mac. Und er war kein Trugbild.
4
Das niederschmetternde Gefühl, einsam und verlassen zu sein wie ein Wanderer in der Wüste, überfiel mich auf dem Pfad, der vom Loch Swan durch Geröll und Gebüsch in einer Schleife nach Glengarth zurückführte.
Es war ein Zustand, den ich hasste und fürchtete; er begleitete mich wie ein Schatten, seit meine Mutter und Ralph verunglückt waren. Auch jetzt kämpfte ich dagegen an, versuchte, mich damit zu beruhigen, dass ich ja nicht allein hier war, dass mein Vater vielleicht schon wieder in unserer Ferienwohnung am Laptop sitzen würde, wenn ich zurückkam; doch die dunkle Wolke aus Einsamkeit und Angst war stärker. Sie senkte sich auf mich herab oder ich tauchte in sie ein, mit jedem Schritt, jedem Atemzug tiefer und tiefer.
Als ich stehen blieb und durchzuatmen versuchte, war mir, als sei der Ben Cruin, der über mir aufragte, den Gipfel in Wolken gehüllt, ein Spiegel, den die Natur mir vorhielt.
Ich lehnte mich gegen die Felswand, die den Pfad begrenzte. Der mit Flechten bewachsene Stein war seltsam warm, als wäre er voller Leben. Es tat gut zu weinen; das machte alles leichter. Traurigkeit und Tränen waren besser zu ertragen als diese panische