Скачать книгу

Amethyst und den Basalt. Und mittendrin lag wie in Omas guter Stube ein gehäkeltes Spitzendeckchen. Auch der Sessel davor war am Rücken und an den Armlehnen mit Kristallen verziert. Den Grund für all das kannte wohl nur Elisa selbst, doch die hatte gerade ganz andere Sorgen.

      „Weil sie nicht wollen, dass ich etwas sage!“, ereiferte sie sich weiter. „Ich habe nämlich etwas gesehen. Und jetzt geben sie mir meine Tabletten nicht. Und das ist die Wahrheit.“

      Charlotte, die gerade die Vorhänge aufziehen wollte, um bei der Durchsuchung mehr Licht zu haben, drehte sich zu ihr um. „Sie haben etwas gesehen?“

      „Habe ich, allerdings.“

      „Was haben Sie gesehen, Frau Kirsch?“

      „Annegret! Ich habe sie gesehen! Aber das interessiert ja niemanden!“

      „Doch. Mich interessiert es. Wer ist Annegret?“

      Elisa biss sich auf die Lippen, als fiele es ihr schwer, sich daran zu erinnern, was sie eben noch gesagt hatte. „Annegret Lepelja“, sagte sie dann. „Sie ist eine von denen, die nicht gehen. Und jetzt wollen sie mir meine Tabletten nicht geben.“ Sie brach ab und fügte hinzu: „Ich war dort. Und das ist die Wahrheit.“

      „Wo waren Sie? In Tämmerers Zimmer? Als er umgebracht wurde?“ Wenn nicht dort, was meinte sie dann?

      Noch einmal hob Elisa einen Finger in die Höhe, und dieses Mal klang es so, als doziere sie: „Die Balance um uns herum ist tief gestört. Verwirrung, Zweifel und Furcht haben die Herrschaft übernommen. Annegret ist unser Schicksal, im Guten wie im Bösen. Und mehr sage ich nicht, bevor ich nicht meine Tabletten bekomme.“ Damit verschränkte sie die Arme vor der Brust und klappte ebenso resolut den Mund zu, wie Karl Waffenschmied zwei Zimmer zuvor.

      Die nächste Tür. Zekine Yilmaz. Jene zierliche junge Türkin, die am Morgen auf Jan Jäger losgegangen war. Nun saß sie etwas schief in einem alten orangefarbenen Sessel, offenbar mit Tabletten ruhiggestellt, und gab nur noch kurze, unterdrückte Schluchzer von sich, die mehr an einen Schluckauf als an Weinen erinnerten.

      „Ich weiß, das ist kein guter Zeitpunkt“, sprach Charlotte sie an. „Aber wir müssen Ihr Zimmer durchsuchen.“

      Die junge Frau reagierte nicht darauf, deshalb gab Charlotte Tech ein Zeichen, dass er anfangen konnte, und begann dann ebenfalls mit der Durchsuchung.

      Ein paar Minuten vergingen daraufhin schweigend. Dann sagte Zekine auf einmal ganz leise, kaum verständlich: „Diese Art von Tod … hat niemand verdient.“

      Erstaunt wandte Charlotte sich zu ihr um und sah gerade noch, wie sie aufschluchzte und heftig schluckte und nach Luft schnappte. Um dann, in der nächsten Sekunde, völlig wegzutreten.

      Als Tech den Kopf aus dem Badezimmer streckte, war sie bereits vom Sessel auf den Boden gesackt und dort regungslos liegen geblieben.

      11. KAPITEL

      Die Lady und der Freak

      Wie viele Stunden war sie schon hier?

      Charlotte stellte fest, dass solche Kliniken ihre ganz eigenen Zeitzonen erzeugten. Während sie durch den schlecht beleuchteten Flur schritt, dachte sie daran, dass sie einmal von einem Krankenhaus geträumt hatte, das sich als Hölle herausstellte, in deren Mitte sich ein riesiger Kessel mit kochendem Wasser befand, in den die Pfleger und Krankenschwestern nach und nach einen Patienten nach dem anderen stießen.

      Sie seufzte leise auf und riss sich zusammen.

      Die nächste Tür wurde von einer attraktiven Frau mit langem, dunkelbraunem Haar geöffnet. Die Kleidung, die sie trug, ließ auf Geld schließen, und sie besaß das sichere Auftreten einer Person, die genau wusste, was sie wollte. Dazu zeigte ihr Gebaren keinerlei Anzeichen von Nervosität oder Unruhe. Im Gegenteil, sie schien völlig ruhig. „Mein Name ist Ilona Walter“, stellte sie sich vor und trat zur Seite. „Soll ich das Zimmer so lange verlassen?“

      „Nein. Sie können bleiben.“ Erneut ein Zeichen an Tech, und der verschwand auf ein Neues im Badezimmer.

      „Sie befinden sich gerade in der Parksuite“, begann Ilona in Reiseleiterimitation, während Charlotte wie immer mit dem Bett begann. „Ich habe das Zimmer so genannt, weil man von hier aus einen wunderbaren Blick auf den Park hat. Originell, nicht wahr? Das Zimmer links von mir, ich vermute, das ist das Zimmer, aus dem Sie gerade kommen – ich meine das von Frau Yilmaz –, nenne ich die Halbmondsuite. Ja, ich weiß, sagen Sie nichts, das ist nun wiederum nicht sehr originell.“

      Charlotte hatte unter dem Bett nachgesehen, die Bettwäsche zur Seite geräumt, die Matratze angehoben, nichts gefunden, keine Augen, keine Waffe, und machte sich deshalb an den Schrank.

      „Die Suite, die Sie nach meiner betreten werden“, fuhr Ilona währenddessen fort, „bewohnt ein durchgeknallter Rockmusiker auf Kokainentzug, der sich benimmt wie ein schlecht erzogenes Kind, das von den Eltern in ein Ferienlager geschickt wurde.“

      „Wie ist sein Name?“, fragte Charlotte.

      „Campuzano.“

      „Von ihm habe ich bereits gehört.“

      „Und nichts Gutes, nehme ich an.“ Ilona warf Charlotte einen Blick zu. „Mit Recht. Seien Sie auf alles gefasst, wenn Sie ihm gegenübertreten.“

      „Sie mögen ihn also nicht?“

      Ilona hob die Schultern in die Höhe. „Er ist verrückt und außerdem noch schlecht erzogen, benimmt sich, als wär er der König und dies hier sein Schloss. Aber das werden Sie ganz schnell selbst herausfinden.“

      „Und Weinfried Tämmerer?“, hakte Charlotte nach, während sie den Schrank durchsuchte. „Mochten Sie ihn auch nicht?“

      „Ich hatte nicht sonderlich viel mit ihm zu tun. Lediglich einmal habe ich ganz kurz mit ihm gesprochen. Oder besser: er mit mir. Das war etwa vor drei Tagen.“

      „Was hat er zu Ihnen gesagt?“

      „Er meinte, er hätte etwas Schlimmes getan, und nun würde er die Hölle erleben. Vielleicht erwartete er Mitleid von mir, ich weiß es nicht.“

      „Was haben Sie geantwortet, als er das zu Ihnen gesagt hat?“

      „Nun, falls er damit so etwas wie Reue zeigen wollte, so habe ich sie ihm jedenfalls nicht abgenommen. Meiner Meinung nach war Tämmerer nämlich ein eiskalter Mensch. Kein Opfer, ein Täter. Deshalb sagte ich ihm, dass er überhaupt keine Ahnung davon hätte, was die Hölle ist.“ Jetzt schlich sich so etwas wie offene Verachtung in Ilonas Stimme. „Es ist die Hölle, wenn ein kleines Mädchen hilflos einem erwachsenen Mann ausgesetzt ist. Es ist die Hölle, wenn es fürchterliche Dinge über sich ergehen lassen muss, weil es nicht in der Lage ist, sich gegen diesen Mann zu wehren. DAS ist die Hölle. Und deshalb, es tut mir leid, hält sich mein Mitleid mit Tämmerer in Grenzen.“

      Charlotte hatte die Durchsuchung des Schrankes beendet und wandte sich der Frau nun zu. „Er ist tot, Frau Walter. Und sein Mörder läuft immer noch frei herum.“

      Ilona nickte. „Ich weiß. Allerdings bin ich davon überzeugt, dass Tämmerer schon lange vorher tot war. Ein Zombie. Äußerlich am Leben, aber innen tot. Ich bin mir sicher, er hatte keine Ahnung, welchen Schaden er angerichtet hat, und es ist gut möglich, dass es ihm egal gewesen wäre, hätte er es gewusst. Aber das spielt nun ja keine Rolle mehr, nicht wahr? Er weilt nicht mehr unter uns. Was ändern da noch Reue oder gar Bedauern?“

      „Mehr haben Sie nicht dazu zu sagen?“

      „Nein.“ Ilona verschränkte die Arme vor der Brust. „Mehr habe ich nicht dazu zu sagen. Tut mir leid, Frau Kommissarin.“

      Charlotte war sich nicht sicher, was sie als Nächstes erwartet hatte, jedenfalls keinen derart großen, tätowierten und langhaarigen Freak.

      Sie hatte auch ganz sicher nicht damit gerechnet, auf Anhieb Robert Campuzanos beste Freundin zu werden, aber dieser Mann hatte etwas an sich, was sie von der ersten Minute

Скачать книгу