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war es auch eine Fal­le? Wur­de auch Tar­zan jetzt in die Hand je­nes un­ver­söhn­li­chen Ro­koff ge­spielt? Sie such­te die­sen Ge­dan­ken in sei­ner gan­zen Furcht­bar­keit zu fas­sen. Er­schüt­tert blieb sie mit schre­ckens­star­ren Au­gen ste­hen, und blitz­ar­tig kam ihr der Ent­schluss. Ein Blick auf die Stand­uhr in der Ni­sche. Sie fühl­te die Zeit im Schlag je­der Se­kun­de da­hin­ei­len.

      Nahm sie den Zug nach Do­ver, den auch Tar­zan ge­nom­men hat­te? Dazu war es schon zu spät.

      Nein, sie wür­de den an­de­ren Weg ein­schla­gen. Es war zwar wei­ter; aber sie wür­de recht­zei­tig am Kanal­ha­fen sein, noch be­vor die Uhr zum Glo­cken­schlag der Stun­de an­setz­te, die der Frem­de ih­rem Man­ne be­stimmt hat­te.

      Sie rief Mäd­chen und Chauf­feur und gab rasch ihre An­wei­sun­gen. Schon zehn Mi­nu­ten spä­ter ras­te sie im Auto durch be­leb­te Stra­ßen zum Bahn­hof.

      *

      Es war drei­vier­tel zehn Uhr abends. Tar­zan trat in die schmut­zi­ge Ha­fen­knei­pe in Do­ver ein; dump­fe Wol­ken von Dunst und Qualm ström­ten ihm ent­ge­gen. Ein Mann, stark mas­kiert, wies ihn nach der Stra­ße.

      Kom­men Sie, Lord, tu­schel­te der Un­be­kann­te.

      Der Af­fen­mensch wand­te sich und folg­te in die spär­lich be­leuch­te­te Gas­se. Mit der sonst üb­li­chen Be­zeich­nung »Stra­ße« hät­te man ihr wirk­lich zu viel Ehre an­ge­tan.

      Sie wa­ren am Ende. Der an­de­re steu­er­te gleich dort­hin, wo ih­nen noch grö­ße­re Fins­ter­nis ent­ge­gen­starr­te. Man war am Kai. Hochauf­ge­sta­pel­te Bal­len, Kis­ten und Käs­ten war­fen weit­hin tie­fe Schat­ten. Hier mach­te er Halt.

      Wo steckt nun mein Jun­ge? frag­te Grey­sto­ke.

      Dort drü­ben, Sie se­hen die Lich­ter des klei­nen Damp­fers, er­wi­der­te der an­de­re.

      Trotz der Fins­ter­nis such­te Tar­zan die Züge sei­nes Füh­rers ge­nau­er zu mus­tern. Er glaub­te, den Mann noch nie ge­se­hen zu ha­ben. Hät­te er auch nur ge­ahnt, dass er Ale­xei Paw­lo­wi­tsch vor sich hat­te – nichts als ge­mei­nen Ver­rat und lau­ern­de Ge­fahr wür­de er in je­der Be­we­gung die­ses Men­schen ge­wit­tert ha­ben.

      Das Kind ist jetzt un­be­wacht, fuhr der Frem­de fort. Die Her­ren Räu­ber füh­len sich völ­lig si­cher. Nur ein paar von den Spitz­bu­ben sind üb­ri­gens an Bord der »Kin­caid«. Aber die habe ich schon ge­hö­rig mit Schnaps be­ar­bei­tet, sie sind für ein paar Stun­den ver­sorgt, da kann sich kei­ner mehr rüh­ren. Also, ge­hen wir. Sie neh­men Ihr Kind und kön­nen ver­schwin­den, ohne das Ge­rings­te be­fürch­ten zu müs­sen.

      Tar­zan nick­te zu­stim­mend.

      Also los, sag­te er nur.

      Ein Boot war am Kai fest­ge­macht, sie stie­gen ein, und Paw­lo­wi­tsch ru­der­te rasch auf den Damp­fer zu. Di­cke schwar­ze Rauch­fah­nen quol­len aus dem Schorn­stein. Tar­zan be­ach­te­te dies nicht im Ge­rings­ten. Sei­ne Ge­dan­ken wa­ren ein­zig und al­lein auf das ge­rich­tet, was er fie­bernd er­war­te­te: Schon in we­ni­gen Mi­nu­ten wür­de er sei­nen Klei­nen wie­der in den Ar­men hal­ten! Vom Schiff hing eine Strick­lei­ter her­ab. Vor­sich­tig klet­ter­ten sie fast laut­los an Deck. Oben gin­gen sie schnell nach ach­tern. Der Rus­se zeig­te auf eine Luke. Dort ist der Jun­ge ver­steckt, sag­te er. Bes­ser, Sie ho­len ihn selbst. Er wird dann kaum schrei­en und könn­te auch er­schre­cken, wenn ein Frem­der ihn auf den Arm nimmt. Ich will da­für hier oben auf­pas­sen. Tar­zan war völ­lig im Ban­ne sei­ner nun fast er­füll­ten Hoff­nung. Den Jun­gen soll­te er wie­der­ha­ben! Und so ent­ging ihm al­les, was auf die­ser »Kin­caid« ge­heim­nis­voll und ver­däch­tig er­schei­nen muss­te: Kein Mensch auf Deck, und da­bei das Schiff un­ter Dampf. Mehr noch: Die ge­wal­ti­gen Rauch­schwa­den deu­te­ten doch of­fen­sicht­lich dar­auf hin, dass man be­reit war, je­den Au­gen­blick in See zu ge­hen. Nichts, rein gar nichts mach­te ihn stut­zig. Nur der eine ein­zi­ge Ge­dan­ke, dass er im nächs­ten Au­gen­blick schon dies kost­ba­re klei­ne Ge­schöpf in sei­nen Ar­men ha­ben wür­de, schi­en in ihm Raum zu ha­ben.

      Hin­ab in die Fins­ter­nis schwang sich der Af­fen­mensch, doch kaum hat­te er den Rand der Lu­ken­öff­nung los­ge­las­sen, da schlug der schwe­re De­ckel kra­chend über ihm zu – –

      Er be­griff so­fort, dass er ei­nem heim­tücki­schen An­schlag zum Op­fer ge­fal­len war. Sei­nen Sohn wie­der­fin­den? Gar nicht dar­an zu den­ken. Er selbst hat­te sich in die Hän­de sei­ner Fein­de ge­stürzt. Mit al­len Kräf­ten such­te er den De­ckel der Luke zu er­rei­chen. Vi­el­leicht konn­te er ihn noch nach oben drücken – – Doch ver­geb­lich. Er zün­de­te ein Streich­holz an und fand sich in ei­nem Raum, den man an­schei­nend vom Haup­traum be­son­ders ab­ge­teilt hat­te. Der Lu­ken­de­ckel über ihm der ein­zi­ge Zu­gang – –; es war son­nen­klar: man hat­te dies hier ein­zig und al­lein für ihn als Ker­ker aus­ge­dacht.

      Nichts und nie­mand wa­ren hier wei­ter. Und das Kind? Wäre es wirk­lich an Bord der »Kin­caid«, dann über­all, nur nicht hier.

      Vom Kind zum Man­ne war er her­an­ge­wach­sen mit­ten in der Wild­nis und fern von je­dem mensch­li­chen We­sen, über zwan­zig Jah­re lang. Ei­nes hat­te er da vor al­lem ge­lernt in die­sen Jah­ren, in de­nen al­les im Men­schen so köst­lich jung und emp­fäng­lich ist: Er hat­te ge­lernt, Freud und Leid, Glück und Un­glück so zu neh­men, wie die wil­den Tie­re sich mit ih­ren Ge­schi­cken ab­fin­den. Kein Ra­sen also jetzt, kein Sichauf­bäu­men ge­gen die­sen Schick­sals­schlag. Ge­las­sen und wa­chen Au­ges war­te­te er, was nun wohl fol­gen wür­de. Das Men­schen­mög­li­che soll­te je­den­falls ge­tan wer­den, er wür­de sich schon zu hel­fen wis­sen. Ge­wis­sen­haft un­ter­such­te er sein Ge­fäng­nis. Er tas­te­te die Plan­ken von oben bis un­ten ab, die­se elen­den Ker­ker­wän­de, und such­te dann ab­zu­schät­zen, wie hoch der Lu­ken­de­ckel ei­gent­lich über ihm lie­ge.

      Plötz­lich fühl­te er das Stamp­fen der Ma­schi­ne, das Sur­ren der Schrau­ben. Man fuhr also? Wo­hin – – wo­hin – –?

      Und mit­ten in die­sem Wir­bel sei­ner Ge­dan­ken, in dies Zit­tern und den Lärm der Ma­schi­nen drang plötz­lich ein Et­was, dass es ihm eis­kalt den Rücken hin­a­b­lief: Ein un­heim­lich gel­len­der Schrei oben auf Deck, ein Krei­schen, wie von ei­nem zu Tode er­schro­cke­nen Wei­be – – –

      Gera­de als Tar­zan mit sei­nem Beglei­ter im Dun­kel der Kai­an­la­ge ver­schwand, war eine tief in Schlei­er gehüll­te Dame ei­lig in die enge Gas­se ein­ge­bo­gen, nicht weit mehr von der Knei­pe, die die bei­den eben ver­las­sen hat­ten.

      Sie blieb ste­hen, sah sich um und schi­en be­frie­digt. End­lich war sie da. Sie fass­te Mut und trat in die Win­kel­k­nei­pe ein.

      Halb­be­trun­ke­ne Ma­tro­sen und »Kai-Rat­ten« blick­ten von ih­ren Ti­schen auf. Das war et­was Neu­es: eine vor­nehm ge­klei­de­te Dame hier mit­ten un­ter ih­nen. Sie ging so­fort auf die Kell­ne­rin am Schank­tisch zu. Die hat­te be­reits ihre glück­li­che­re Schwes­ter mit nei­di­schem Blick aufs Korn ge­nom­men.

      Ha­ben Sie einen großen, gut­ge­klei­de­ten Herrn hier ge­se­hen? frag­te sie. Er muss vor ei­ni­gen Mi­nu­ten noch hier ge­we­sen sein. Muss sich hier mit je­man­dem ge­trof­fen ha­ben

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