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Es sei denn, es sitzen andere lóngtóu dort hinten.« Frost nahm eine Handvoll gesalzene Nüsse und ließ sie sich in den Mund fallen.

      Michael seufzte beinahe unmerklich. »Zwei«, gab er zu, »und leider sind nicht alle der Meinung, dass ich es würdig bin, lóngtóu zu sein. Mein Vater ist zu früh gestorben.« Er schaute sie mit seinen schwarzen Augen an. »Also, bist du privat oder geschäftlich hier?«

      »Geschäftlich«, sagte Frost und konnte die Enttäuschung in seinen Augen sofort sehen. Seine Körpersprache veränderte sich ebenfalls, er lehnte sich zurück und vergrößerte damit den körperlichen Abstand zwischen ihnen. Ein kalter Knoten bildete sich in ihrem Magen, doch sie ignorierte ihn. Stattdessen griff sie in ihre Umhängetasche und holte die drei Fotos heraus. »Ich habe den Auftrag, diese gestohlene Waffe wiederzubeschaffen und habe dafür nur noch zwei Tage Zeit. Du kennst den Schwarzmarkt in- und auswendig. Kannst du mir sagen, ob sie seit Montag aufgetaucht ist?«

      Michael nahm das Bild und pfiff leise durch die Zähne. »Lass mich raten, ein Prototyp. Es muss einer sein, denn so eine Waffe habe ich noch nie gesehen. Aether?«

      »Fusionstechnologie mit Elektrizität«, erwiderte Frost. »Kann ziemlich viel Ärger machen. Und, ist dir eine solche Waffe auf dem Markt bekannt?«

      Michael schüttelte den Kopf. »Leider nicht. Aber ich kenne ein paar Leute, die dafür eine sehr hohe Summe bezahlen würden.«

      Frost verbarg ihre Enttäuschung, in dem sie sich ein paar Nüsse genehmigte. Sie schob Michael die anderen beiden Fotos hin. »Und wie sieht es mit diesen Männern aus? Hast du sie schon einmal gesehen?« Es waren die Fotos aus den Akten von Baxter und Sanderson.

      »Der hier sieht wie ein verrückter Wissenschaftler aus«, meinte Michael und zeigte auf Baxters Bild, womit er unwissentlich recht hatte. Man musste in der Tat ein wenig verrückt sein, um eine solche Waffe zu entwickeln. »Ich glaube, ich habe ihn einige Male in einer der Glücksspielhallen gesehen.«

      Das bestätigte damit auch Sandersons Vermutung, dass Dr. Baxter Geldprobleme plagten. Wenn er dem Glücksspiel verfallen war und hohe Schulden gemacht hatte, würde ihm der Verkauf der Waffe dabei helfen, aus dem Schlamassel zu kommen. Leider katapultierte ihn das an die erste Stelle ihrer Verdächtigenliste.

      »Und der hier? Sein Name ist Eric Sanderson.«

      Michael schüttelte den Kopf. »Tut mir leid.«

      Frost nahm die Bilder wieder an sich und verstaute sie in der Tasche. Sie schob ihre Röcke zur Seite, damit sie aufstehen konnte, doch Michael packte ihr Handgelenk.

      »Ist das alles?«

      Frost konnte die unausgesprochenen Fragen deutlich heraushören. Bist du wirklich nur deswegen gekommen? Hast du mir nicht noch mehr zu sagen?

      Sie zwang sich dazu, ruhig zu bleiben. »Ja, das ist alles.« Aus dem Augenwinkel bemerkte sie eine Bewegung und drehte den Kopf. Zwei ältere Männer standen neben einer der hinteren Trennwände und schauten sie angesäuert an. »Ich halte dich nicht weiter auf. Wir sprechen ein anderes Mal über … die andere Sache«, fügte sie hinzu und stand auf.

      Michael erhob sich ebenfalls und schaute sie lange an, dann machte er eine höfliche Verbeugung. »Du weißt, wo du mich findest.«

      Frost stieß die Luft zwischen den Zähnen aus, als sie wieder festen Boden unter den Füßen hatte. Zu ihrer Erleichterung hatte Michael nicht darauf bestanden, sofort eine Antwort von ihr zu erhalten. Seinen Respekt ihr gegenüber rechnete sie ihm hoch an. Auch wenn sie sich seit ihrer gemeinsamen Kindheit unter Madame Yuehs Fittichen kannten, so stand er nun als lóngtóu weit über ihr und hätte sie durchaus zu einer Antwort, wenn nicht gar zu einer Heirat, zwingen können.

      Hastig schob sie die Gedanken beiseite und konzentrierte sich wieder auf den Auftrag. Sie wusste nun, dass die Waffe nicht auf dem Schwarzmarkt aufgetaucht war, denn der Organisation entging in der Hinsicht nichts. Als Nächstes musste sie private Waffensammler ins Auge fassen, und Payne konnte die lizenzierten Waffenhändler abklappern. Und dann mussten sie Dr. Baxter in die Mangel nehmen.

      Es wurde dunkel über den Dächern von London. Die Zeit rann ihr buchstäblich durch die Finger. Morgen war schon Freitag. Das würde eng werden.

      »Ein Feind nach dem anderen«, murmelte sie in Anlehnung an die Borgias vor sich hin, als sie zur nächsten Straßenbahn eilte. Erst musste sie zurück in die Agentur und Payne zu den Händlern schicken, so lange die noch geöffnet hatten. Sie selbst brauchte ein Bad und dann das schickste Kleid, das sie besaß.

      Sie wusste genau, wo sie ein paar betuchte Waffensammler finden konnte.

      David Cassidy erwachte, weil er höllische Schmerzen hatte. Jede Faser seines Körpers schrie in Qualen. Das Atmen fiel ihm schwer, und sein Kopf fühlte sich heiß an.

      »Bleib still liegen.« Die Stimme war ganz nah. »Aufgewacht drei Stunden nach erfolgreich verlaufener Operation. Leichtes Fieber. Objekt Nummer 23 ist nach wie vor vielversprechend. Werde mir zu einem späteren Zeitpunkt seine ursprünglichen Vitalwerte notieren, für spätere Versuchsobjekte.«

      »Was haben Sie mit mir gemacht?«, wisperte David und blinzelte in das helle Licht der Lampe, die direkt über ihm hing. Selbst das verursachte ihm Schmerzen. »Ich will nach Hause.«

      Der Gedanke an sein Daheim trieb ihm die Tränen in die Augen. Wie lange war er schon fort? Die anderen suchten bestimmt nach ihm.

      »Du hast kein Zuhause, Nummer 23, deswegen habe ich dich ausgesucht. Niemand wird dich vermissen.«

      David wollte schreien. Wollte dem Verrückten klarmachen, dass er David Cassidy hieß und in Whitechapel wohnte, in der Straße hinter dem Metzger, zusammen mit seiner Mutter und seinen drei Schwestern. Aber seine Kehle war zugeschnürt vor Angst, seine Stimme versagte.

      »Hier, schlaf jetzt. Ich will nicht, dass du das Experiment gefährdest.«

      »Nein!«, schrie er auf und zerrte an seinen Fesseln, trotz der Schmerzen, die sofort durch seinen Körper schossen und ihm beinahe die Sinne raubten. Doch die Hand mit dem weißen Taschentuch, das stark nach Chloroform roch, war unerbittlich.

      Als Frost den Royal Guilds Club betrat, war es kurz vor neun Uhr. Sie raffte die Röcke ihres rotschwarzen Kleides und stieg die Treppe in der Halle hinauf. Der Royal Guilds Club war Heimat der einflussreichsten Männer und Frauen Londons. Allesamt stinkreich, und nicht wenige würden ein Vermögen hinblättern für ein Einzelstück, sei es ein Diamant, ein Gemälde, eine Waffe oder eine Person.

      Zum Glück kannte Frost den Mann, der am Eingang die Einladungen kontrollierte. Er war zwar eine ehemalige Affäre von ihr, jedoch immer noch nützlich von Zeit zu Zeit. Alfred hatte sie ohne Zögern eingelassen.

      Der Clubraum war gut besucht an diesem Abend. Überall standen niedrige Tische und drumherum tiefe Ledersessel. Livrierte Kellner gingen mit steifen Bewegungen, die sie wohl für elegant und klassisch hielten, zwischen den Gentlemen und Ladies herum. Frost mochte sich kaum vorstellen, wie viel Brandy hier jeden Tag konsumiert wurde. Ein Wunder, dass das britische Empire nicht schon längst untergegangen war.

      Sie bedeutete einem der Kellner, ihr einen Whisky zu bringen. Mit dem Glas in der Hand schlenderte sie an den Wänden entlang und beobachtete die illustren Gäste. Frost erkannte Mrs. Winnifred, Erbin eines Vermögens und generöse Gönnerin der National Gallery. Man munkelte, dass sie jedes Gemälde auftreiben konnte, wenn auch nicht immer mit legalen Mitteln. Den Leuten war es egal, denn sie ergötzten sich lieber an der Tatsache, dass Mrs. Winnifred vor Kurzem das Meisterwerk vollbracht hatte, den Franzosen die Mona Lisa abzuschwatzen und nach London zu bringen. Ihr Luftschiff hatte sogar eine royale Eskorte über den Ärmelkanal bekommen.

      »Madam, darf ich Ihnen Gesellschaft leisten?«

      Frost drehte sich um und sah sich einem Mann Mitte sechzig gegenüber. Über seinem Frack trug er eine hellblaue Schärpe, die mit mehreren Abzeichen verziert war. Frost

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