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klappernden Tellern. Allerdings wartete noch jemand anderes auf sie.

      »Cecilia?« Payne blieb mitten im Raum stehen und starrte seine Frau an.

      Cecilia Payne stand wie gestochen auf, doch statt in Paynes Arme zu fallen, wie es Frost angesichts ihres Gesichtsausdrucks erwartet hatte, blieb sie wie angewurzelt stehen.

      »Ist etwas passiert?« Jetzt hatte sich Sorge in Paynes Stimme geschlichen.

      Frost reagierte rasch. »Mrs. Payne, setzten Sie sich wieder hin. Sie sind ja ganz blass.« Sie warf ihren Mantel über den Garderobenständer und eilte in die Küche hinüber. »Helen!«

      Helen schrie vor Schrecken auf und hätte beinahe zwei Gläser fallen lassen. »Miss, verzeihen Sie. Ich habe Sie nicht kommen gehört.«

      »Mrs. Payne wird mit uns essen«, sagte sie. »Und ich glaube, wir brauchen meinen guten Whisky.« Sie ging zurück in ihr Büro und fand Cecilia wieder im Sessel sitzend vor. Payne hatte sich auf die Schreibtischkante gesetzt.

      »Jackson, es war schrecklich!«, rief sie soeben aus und vergrub das Gesicht in den Händen.

      »Was ist passiert?«, fragte Frost.

      »Cecilias Studenten haben eine Leiche aus der Themse gezogen.«

      »Nicht einfach irgendeine Leiche, Jackson«, erklärte Mrs. Payne. »Es war wieder eine. Ein Junge mit einer Schulter aus Metall. Das ist nun schon die vierte, und sie haben sie mitten auf dem Gelände der Universität gefunden!« Sie klammerte sich an Paynes Hände.

      »Tut mir leid, dass du das mitansehen musstest, Cecilia.«

      Frost schaute zwischen Payne und seiner Frau hin und her. Sie spürte, dass etwas zwischen den beiden stand und nun kaum Nähe zuließ. Aber allfällige Eheprobleme gingen sie nichts an. »Ich glaube, wir brauchen den Whisky vor dem Essen«, sagte sie und ging zu einem Beistelltisch neben der Bücherwand. Sie hörte Payne und Cecilia leise und eindringlich miteinander sprechen. Frost ließ sich Zeit mit dem Einschenken des Glases. Als sie sich wieder umdrehte, stand Mrs. Payne in der offenen Tür.

      »Ich muss wieder ins Observatorium«, sagte sie entschuldigend und nickte Frost freundlich zu. »Die Arbeit, Sie verstehen.«

      »Natürlich. Hat mich gefreut, Sie wiederzusehen, Mrs. Payne.«

      Das Glöckchen klingelte, und die Tür fiel ins Schloss. Payne seufzte und ließ sich in den Sessel fallen, wo eben noch seine Frau gesessen hatte. Frost stellte das Glas vor ihm ab und schenkte sich selbst ein zweites ein.

      »Die Sache scheint sie ziemlich mitgenommen zu haben.«

      »Um ehrlich zu sein, ich war etwas überrascht, sie so hysterisch zu sehen«, erwiderte Payne und nahm einen großen Schluck. Er verzog das Gesicht, als der Whisky ihm in der Kehle brannte. »Cecilia ist eine sehr rationale Person, müssen Sie verstehen. Sie sieht Dinge als Erstes mit ihrem analytischen Verstand, bevor sich Emotionen einstellen. Als wir an jenem Abend Zeugen waren, wie die Polizei die ersten beiden Kinderleichen aus dem Wasser gezogen hat, war sie zwar schockiert, aber sehr ruhig.«

      »Und was, glauben Sie, hat sie bei dieser Leiche so aus der Bahn geworfen?«, fragte Frost. Im Gegensatz zu Payne nippte sie nur an ihrem Glas, denn sie wusste, wie ihr Körper bei leerem Magen auf Alkohol reagierte. Sie brauchte ihren Verstand heute noch eine Weile.

      Payne fuhr sich mit den Fingern durch die Haare und seufzte wieder. »Annabella. Sie befürchtet, dass die nächste Leiche, die aus dem Wasser gezogen wird, Annabella sein könnte, obwohl sie felsenfest davon überzeugt ist, dass sie seit Monaten tot ist.« Er fixierte sie eindringlich. »Frost, sie hat mich gebeten herauszufinden, wer diese Kinder verstümmelt und in der Themse entsorgt.«

      Frost setzte sich nachdenklich hin. Sie hatte es Payne gegenüber nicht erwähnt, doch sie verfolgte die Sache schon seit dem ersten Zeitungsartikel von letzter Woche. Jetzt waren es also schon vier Kinder mit mechanischen Körperteilen. Frosts Nacken prickelte, und sie spürte die Metallplatte auf ihrem Rücken mehr denn je. Sie selbst hatte ein mechanisches Herz und konnte sich an nichts erinnern, was und wer sie war, bevor Madame Yueh sie von der Straße aufgelesen hatte.

      »Wir haben bereits einen Auftrag, Payne.« Einen sehr wichtigen sogar, fügte sie in Gedanken hinzu. Sie hatte das ungute Gefühl, dass das Verschwinden der Waffe und der Besuch des Dukes of Edinburgh nicht ganz zufällig waren.

      Payne ließ jedoch nicht locker. »Kennen Sie jemanden bei Scotland Yard, der uns vielleicht helfen könnte? In den Zeitungsartikeln stehen, bis auf das Wesentliche, so gut wie keine Informationen.«

      »Nein.« Sie kannte tatsächlich niemanden, den sie nach dem Fall hätte fragen können – hätte sie denn gewollt.

      »Könnten Sie dann nicht … Sie wissen, mit ihrer Fähigkeit …?« Payne schaute sie lange an, bis Frost die Augenbrauen hob. Sie hatte verstanden.

      »Oh. Nein. Oh nein, ausgeschlossen.« Sie schüttelte vehement den Kopf. Payne öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch sie schnitt ihm das Wort ab. »Sind Sie noch ganz bei Trost? Ich breche doch nicht bei Scotland Yard ein, nur um ein paar Informationen über irgendwelche toten Jugendlichen zu bekommen! Die Sache geht uns nichts an, Payne, und ob Sie es glauben oder nicht, aber die Polizei wird sich schon darum kümmern.«

      Payne schaute sie mit weiten Augen an. Frost merkte, dass sie sich in Rage geredet hatte und aufgestanden war. Ihr Herz pochte hart, und ihre Fäuste waren geballt.

      »Miss Frost? Das Essen wäre bereit.« Helen stand etwas schüchtern im Kücheneingang.

      Das Essen nahmen sie schweigend ein. Frosts Laune war im Keller. Ihre Reaktion auf Paynes Vorschlag war übertrieben gewesen, das wusste sie. Es war absurd, bei Scotland Yard einzubrechen. Auch wenn diese mechanischen Kinder sie beschäftigten, war es kein Grund, wegen Einbruchs und Diebstahls ins Gefängnis zu wandern. Außerdem hatten sie weit Dringenderes zu tun. Frost wollte gleich nach dem Essen nach Chinatown. Die Chinesen kontrollierten den Schwarzmarkt, und sie hoffte, dass es sich doch um einen Diebstahl des Geldes wegen handelte und die Waffe dort aufgetaucht war.

      »Sie haben versprochen, mir bei der Suche nach meiner Tochter zu helfen«, versuchte es Payne noch einmal.

      Frost unterdrückte gerade noch rechtzeitig ein Augenverdrehen. »Das hat nichts damit zu tun.« Sie spießte eine Bratkartoffel auf.

      »Und wenn doch? Cecilia hat Angst, dass die nächste Leiche Annabella sein könnte. Ich muss zugeben, dass ich diese Befürchtung ebenfalls hege. Jemand entführt und verstümmelt Kinder, und wenn sie tot sind, entsorgt er sie im Fluss.«

      »Woher wollen Sie wissen, dass die Kinder entführt wurden?«

      Payne zuckte mit den Schultern. »Naheliegend. Die Kinder werden sich wohl kaum freiwillig für Experimente melden.«

      Frost schwang ihre Gabel. »Unterschätzen Sie nicht die Macht von ein paar Pennies, Mr. Payne. Überlegen Sie nur, wie viele Süßigkeiten Sie damit kaufen könnten.«

      »Woher kommt es nur, dass Sie so liebreizend sind, Miss Frost?« Payne bleckte die Zähne und schob sich ein Stück Fleisch in den Mund.

      »Ob Sie es glauben oder nicht, ich war auch einmal ein Kind. Für ein paar Pennies hätte ich so ziemlich alles getan.« Wie zum Beispiel Madame Yuehs strenge Schule durchstehen oder für sie ein paar reiche Geschäftsmänner während einer nicht ganz jugendfreundlichen Teezeremonie belauschen.

      »Haben Ihre Eltern Ihnen keine Süßigkeiten gekauft?«

      Frost hielt mitten in der Bewegung inne. Sie starrte auf ihren halb leer gegessenen Teller und wusste nicht, was sie Payne antworten sollte. »Ich weiß nicht, wer meine Eltern waren«, sagte sie nach einer gefühlten Ewigkeit des Schweigens.

      »Oh, tut mir leid. Ich wollte nicht …«

      »Ist schon okay«, schnitt sie ihm das Wort ab und aß weiter.

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