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Niessen fort.

      Kein „aber“, dachte Werner verzweifelt, „Father in heaven, Father in heaven, Father in heaven …“

      „Aber, sie sagten, ich solle jetzt beweisen, daß ich ein anständiger Kerl sei und zugeben, daß Zenker Gefangene umgelegt habe … Ich habe nichts zugegeben. Da zogen sie mir den dritten Nagel … Ich hielt durch.“ Niessen schwieg plötzlich. Er schwieg lange. Er schwieg verzweifelt.

      Wieder bewegte er zuerst die Lippen. Wieder formten sie Sätze, die man nicht hören konnte. Und dann hatte die Stimme Kraft, entsetzliche Kraft, und schrie …

      „Beim vierten Nagel hielt ich es nicht mehr aus … Meine eigene Mutter hätte ich angezeigt … es war so furchtbar“, röchelte Söhnchen. „… da habe ich alles zugegeben, was sie wissen wollten, ich hab’ gelogen, bloß damit sie nicht weitermachten. Alle Einzelheiten habe ich erfunden und immer wieder von Zenker geredet, weil sie ausgerechnet ihn ’reinlegen wollten …“

      Amen! dachte Werner.

      Wieder blieb es still in der Zelle.

      Eine Stunde später flüsterte Niessen:

      „Sag doch was …“

      Werner richtete sich hart auf.

      „Schlaf jetzt“, erwiderte er. „Du mußt schlafen!“

      Er lehnte sich wieder zurück und setzte leise hinzu: „Du bist ein feiner Kerl, Niessen …“

      Früh am Morgen wurde Werner zum Verhör herausgerissen. Ein unglaublicher Tumult herrschte in der Zelle. Cornedbeef brüllte wie ein Wahnsinniger:

      „So ein Saustall! So eine Schweinerei!“

      Mit Tritten trieb man Werner hoch. Er starrte auf Niessens Strohsack. Er begriff seine Augen nicht. Er stand da, ungläubig, entsetzt … Er dachte fiebrig: gibt es gar nicht. Ein Traum … alles Quatsch … Schau weg! Ein neuerTrick, den sie sich ausgedacht haben …

      Der Strohsack war über und über mit Blut getränkt. Er war schon schwarz. Niessen lag, den Kopf zur Seite gedreht, mit wächsernem Gesicht und starren, gelblichen Augen auf seiner Pritsche, in der verkrampften, rechten Hand den kleinen Aluminium-Büchsenöffner, der ihnen zum Öffnen der Wurst- und Puddingdöschen der K-Ration belassen worden war.

      Er hatte sich mit ihm die Pulsader geöffnet.

      Werner sah es und begriff es nicht. Und dann arbeitete sein Verstand weiter, und er dachte, daß Söhnchen ein tapferer Bursche war. Denn mit einem so stumpfen Ding mußte es unheimlich weh getan haben.

      Und Werner hatte nichts gehört. Gar nichts …

      An dieser Stelle der Vernehmung desertiert die Selbstbeherrschung des Oberst Evans. Sein Gesicht ist verzerrt, seine Fäuste sind geballt. Er schreit Werner Eckstadt an:

      „Hören Sie auf! Hören Sie auf! Ich kann das nicht mehr mitanhören!“

      Der Oberst geht im Zimmer auf und ab.

      „Entschuldigen Sie, Sir“, erwidert Werner leise. „Sie wollten alles wissen … das ist noch immer nicht alles.“

      Der Oberst fährt herum. Eine Sekunde sieht es aus, als ob er auf Werner losgehen wollte. Aber dann hat er sich wieder in der Hand, setzt sich auf einen Stuhl, lehnt sich zurück. Seine Hände entspannen sich.

      „Tut mir leid“, sagt er. Er steht wieder auf, geht an die Türe, ruft den Posten herein.

      „Ich möchte den Gefangenen Niessen sprechen“, sagt er.

      „Yes, Sir“, entgegnet der Posten.

      Nach zehn Minuten meldet sich der Kommandant des Untersuchungsgefängnisses Dachau.

      „Wen wollen Sie sprechen, Colonel?“

      „Einen Gefangenen namens Niessen.“

      „Den gibt es bei uns nicht.“

      „Aber es gab ihn?“

      „Ja. Er ist gestorben“, antwortete der Kommandant.

      „An was?“

      „Selbstmord, Colonel.“

      Der Oberst nickt. Er betrachtet Werner zerstreut, zuckt die Schultern. Der Gefängniskommandant zieht sich zurück. Das Schweigen ist lange und verzweifelt. Minuten vergehen langsam wie Stunden. Evans sitzt auf seinem Stuhl und rührt sich nicht.

      Da beginnt Werner wieder ganz leise:

      „Da unterschrieb ich ein Geständnis, als es mir an die Nägel ging. Ich unterschrieb es, bevor ich unter der Qual der Folter unschuldige Kameraden belasten konnte. Verstehen Sie? An den ganzen Scheußlichkeiten, zu denen ich mich durch meine Unterschrift bekannte, ist nicht ein wahres Wort … Ich wußte von den Erschießungen nichts. Ich habe erst hier davon erfahren.“

      Der Colonel gibt sich einen Ruck. Seine Lippen sind schmal und weiß. Sein Gesicht ist noch immer gerötet.

      „Gut, Eckstadt, ich übernehme Ihren Fall … ich übernehme ihn mit allen Konsequenzen.“

      Werner starrt ihn ungläubig an. In seinem Gesicht zuckt es. Er will etwas sagen, aber die Erregung preßt seinen Mund zusammen. Er will auf den Oberst zugehen, ihm die Hand geben. Aber er sitzt wie angewurzelt. Dankbarkeit schießt wie ein Krampf durch seinen Körper. Seine Augen sind groß und hell.

      Der Oberst steht auf.

      „Das wär’s“, sagt er. „Nun nehmen Sie sich zusammen, Mann. Ich bringe Sie heraus. Sie und die anderen … soweit sie unschuldig sind.“

      6. kapitel

      Der alte Ford fährt auf die Einfahrt des Untersuchungsgefängnisses Dachau zu. Die Insassen reden nicht viel miteinander. Vorne, neben dem langen, schlaksigen Leutnant Tebster, sitzt Vera Eckstadt, hinter ihm Leutnant Morris und daneben Brigitte, die sich mit Vorwürfen quält, daß sie den Mann, den sie liebt, für einen Mörder hielt.

      Morris hat Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um eine Sprecherlaubnis zu erwirken. Rigoros schob er Colonel Evans vor, spielte dessen Dienstgrad aus, drohte, versprach, befahl, schrie, bat … bis er fast ein Wunder erreichte: man gab die Erlaubnis, Werner Eckstadt zu besuchen. Zum ersten Mal durften Angehörige das Untersuchungsgefängnis betreten.

      Aber was geschieht, wenn der Oberst davon erfährt? denkt Leutnant Morris. Der Colonel versteht in diesen Dingen keinen Spaß. Aber Morris hat es Vera versprochen, und er hält es. Vera, die der Begegnung entgegenfiebert und in diesen Tagen schmal und blaß geworden ist.

      Tebster ist aus anderem Holz. Er grinst vergnügt vor sich hin. Ihm macht die Sache Spaß. Beinahe soviel wie die Aktengeschichte. Brigitte nestelt an ihren langen, dunklen Haaren.

      „Wir sind da“, sagt Tebster.

      Morris zeigt die Ausweise vor.

      Langsam rollt der Wagen in den Innenhof. Es ist später Nachmittag. Die Sonne hat sich hinter Wolken versteckt. Vier, fünf Posten schießen auf den Ford zu, polnisches Wachpersonal in amerikanischen Uniformen, die man dunkel färbte.

      Die Sprecherlaubnis wird wieder und wieder kontrolliert.

      In diesem Augenblick geschieht gerade das, was Leutnant Morris am meisten fürchtete. Er prallt unter der Türe mit seinem Chef zusammen. Mit Colonel Evans. Der Oberst hat ihn sofort gesehen.

      „Was ist hier los?“ fährt er ihn an.

      Aus, vorbei, denkt der Leutnant, danebengegangen. Und er redet schnell, unbesonnen und vollkommen unmilitärisch auf den Colonel ein. Er spricht von Vera und deutet auf sie. Er berichtet den Aktendiebstahl, von dem der Colonel noch gar nichts weiß. Er stellt Leutnant Tebster vor, während die beiden Mädchen ängstlich im Hintergrund bleiben … und er weiß, daß das alles sinnlos ist. Daß ihn der Oberst hinauswerfen wird. Zuerst aus dem Gefängnis und dann aus seiner Dienststelle.

      Evans hört

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