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Langsam tastete sich sein Blick schräge von unten nach oben zu Werner durch.

      „Det is ’n Wiedasehn, wat, alter Junge?“

      Werner schluckte.

      „Ick hab’ dir damals jleich jesacht, det jeht nich jut.“

      Werner sah an Wieblich vorbei.

      Der Oberleutnant verlagerte seine Beine von der linken Schreibtischseite auf die rechte. Er drückte die halbgerauchte Zigarette im Aschenbecher aus und zündete sich sofort eine neue an.

      Endlich griff er ein.

      „Der Mann war in Ihrem Panzer Richtkanonier?“ wandte er sich an Wieblich.

      „Jawohl, Herr Oberleutnant“, erwiderte er stramm.

      Eckstadt schoß das Blut in den Kopf.

      Gleichmütig fuhr der Oberleutnant fort:

      „Und Sie haben gesehen, wie Eckstadt auf amerikanische Gefangene geschossen hat?“

      „Jesehen nich“, antwortete Wieblich, „ick war ja bloß Munitionsschütze. Da sehn se nischt im Panzer.“

      McCormick sah Wieblich fragend an.

      „Na, jehört hab’ ick’s halt. Hinterher hat er drüber jesprochen und sich über die Lippen geleckt.“

      Langsam nahm der Oberleutnant seine Füße vom Tisch.

      „Nun?“ fragte er Werner langgedehnt.

      „Aber Wieblich!“ rief Werner. Es klang wie ein Schrei. „Wir haben doch keine Gefangenen erschossen! Ich war doch nie Richtkanonier! Das warst doch du!“

      „Sieh dir man ja vor!“ Wieblich spielte künstliche Empörung. „Ick Richtkanonier! Nie jewesen!“

      Werner schossen Tränen der Wut und Enttäuschung in die Augen. Dieses Schwein, dachte er. Alles drehte sich vor ihm.

      Er wußte nicht, daß Wieblich mißhandelt worden war und unter dem Druck Verbrechen eingestanden hatte, die er gar nicht verübt haben konnte. Wieblich war ein Schwächling. Er hatte in Rußland eine ganze Kette von Morden begangen, mit denen er sich den Strick hundertmal verdiente. Aber hier war er, dank der Besonnenheit des Kompaniechefs Klausen, tatsächlich unschuldig. Um sich weitere Mißhandlungen zu ersparen, hatte er Eckstadt denunziert.

      „Wieblich“, flüsterte Werner mit starren Augen. Mehr konnte er nicht sagen.

      Auf einmal funktionierte sein Verstand wieder. Der Mann wußte ja, daß ich in amerikanischer Uniform hinter den feindlichen Linien mit dem Fallschirm abgesetzt wurde, dachte er. Mein Gott, das war gefährlicher als alles andere!

      „Wollen Sie immer noch leugnen?“ fragte der Oberleutnant.

      „Ich habe keine Gefangenen erschossen“, erwiderte Werner leise und bestimmt.

      „Tut mir leid“, meinte der Offizier ruhig, „Sie setzen sich immer tiefer in die Nesseln.“

      Cornedbeef kam herein, um ihn abzuholen. Sein Finger spielte mit der Schnur des Knüppels. Er wartete mit dem ersten Schlag, bis er den Raum verlassen hatte.

      Wieblich rief ihnen nach:

      „Tut mir leid … aber wat wahr is, muß wahr bleiben!“

      Und dann wuchs die Angst ins Bodenlose. Sie zerhackte die Vergangenheit in kleine Stücke und fraß sie portionsweise auf. Man traute dem eigenen Wissen nicht mehr. Vielleicht hatten die Inquisitoren recht mit ihren von Prügeln begleiteten Behauptungen? Die Angst raubte das Bewußtsein, daß man mit den Malmedy-Verbrechen nichts zu tun hatte. Sie geisterte durch die Vernehmungen. Sie setzte sich in der Zelle fest. Sie machte Männer zu Schwächlingen und Schwächlinge zu Denunzianten. Angst saß in den Augen. Angst vibrierte in den Händen. Angst spiegelte sich auf der schweißnassen Stirne. Angst war allgegenwärtig … wenn man in die Gesichter der Zellengenossen sah, die von Tag zu Tag mehr verfielen, wenn man sie nachts stöhnen, schreien oder leise weinen hörte.

      Werner hielt durch. Er ertrug die Schläge, die Schreie, das Stöhnen. Die Angst zerlegte, zersetzte ihn, aber er biß die Zähne aufeinander. Vielleicht gab ihm der Haß auf Hitler die Kraft dazu, vielleicht die Hoffnung auf eine gerechtere Zukunft. Tage hielt Werner noch durch, und diese Tage waren mehr, als ein Mensch aushalten kann.

      Es geschah die Sache mit Niessen.

      Vom stundenlangen Verhör kam er zurück. Gleichzeitig wurde Zenker, sein Freund, abgeholt. Sie gingen wortlos aneinander vorbei.

      Der kleine Niessen, „Söhnchen“, war ganz still. Er starrte gegen die nackte Birne an der Decke, die nachts weiterbrannte. Er sah in das Licht, bis seine Augen tränten. Er hatte die Arme hinter dem Kopf verschränkt und schwieg.

      Es dauerte und dauerte. Es war still. Totenstill. Niessen wurde nicht geholt und Zenker nicht gebracht.

      Plötzlich richtete sich Niessen auf. Er trampelte mit den Beinen auf den Zellenboden und schlug sich mit den Fäusten unheimlich und langsam wieder und wieder gegen die Stirne. Dabei sah Werner zum ersten Mal, daß die Finger Niessens blutig waren. Es sah aus, als ob die Nägel abgerissen worden seien. Werner starrte auf Söhnchens Hände … und sagte nichts.

      Er sah, wie der 18jährige mit geschlossenen Augen weinte.

      Werner stand auf, trat an seine Pritsche heran.

      „Zenker wird schon wiederkommen“, sagte er rauh. „Sie müssen ihn doch wiederbringen.“

      Langsam hob Niessen den Kopf. Werner sah in ein fremdes Gesicht … Er war verheult, verzerrt, aus den Fugen geraten. Speichel stand in den Mundwinkeln. In den Augen tanzten irre Lichter.

      „Hör auf!“ zischte Niessen. „Hör auf!“ brüllte er und warf sich auf seinem Strohsack wie im Krampf herum. Seine Schreie gingen in Geheul über. Es war nicht mehr menschlich. Es hörte sich an wie das Wimmern eines verlassenen Hundes. Es hatte keinen Anfang und kein Ende. Es war unbeschreiblich.

      Nach langen Minuten erst entspannte sich sein Körper. Niessen streckte die Beine aus, starrte wieder in die Lampe. Er sah Werner nicht an, als er mit einer merkwürdig schwingenden und schwankenden Stimme sagte:

      „Zenker wird nicht mehr wiederkommen. Es ist nicht mehr nötig …“ Söhnchen machte eine Pause.

      Werners Kopf dröhnte. Er sah, wie Niessen die Lippen schon öffnete, bevor er noch sprechen konnte.

      „Er war mein Freund“, quälte sich Söhnchen. „Er hat mir einmal das Leben gerettet … hörst du, kein anderer hätte es getan. Es war einfach ein Wahnsinn … er sprang aus einem Loch und holte mich direkt vor einem Panzer weg. Wir hätten alle zwei draufgehen müssen.“ Niessens Stimme wurde fester. „Und jetzt brauchen sie kein Geständnis mehr“, fuhr er fort. „Ich habe es für ihn abgegeben … Hörst du, ich habe ihn verpfiffen.“ Niessen wollte weitersprechen, aber er konnte nicht. Er röchelte und stöhnte. Er hämmerte wieder mit seinen Fäusten gegen die Stirne, bis Werner sie ihm nahm und festhielt.

      „Es war so einfach“, keuchte Söhnchen. „Sie haben mit mir ein Geschäft gemacht … Sie wollten Namen wissen. Ich gab ihnen keine. Auch von diesen Schweinen nicht … zuerst. Ein paar von ihnen kenne ich nämlich. Aber dann fingen sie an, an mir herumzumachen.“ Niessen zeigte seine Hand vor.

      „… Sie rissen mir die Nägel aus … nur zwei … als sie den dritten ziehen wollten, gab ich ihnen Namen … alle Namen von den Säuen, die ich kenne. Ich habe ihnen damals bei Malmedy zugesehen. Ich hab’ mich gekotzt. Aber was sollte ich machen?“

      Niessen stöhnte …

      „Dann wurden sie scheißfreundlich … sagten, ich sei noch so jung und ich hätte sicher nichts getan. Und wenn, dann sei es vergeben und vergessen … aber!“

      In diesem Augenblick dachte Werner an seine Mutter, die Engländerin. Er sah sie vor sich, wie sie jeden Abend, als er noch ein Kind war, sich auf sein Bett setzte, seine Hände faltete und mit ihm auf englisch

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