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Hund-Nase-Mensch. Alexandra Horowitz
Читать онлайн.Название Hund-Nase-Mensch
Год выпуска 0
isbn 9783954641574
Автор произведения Alexandra Horowitz
Жанр Сделай Сам
Издательство Bookwire
Tatsächlich wandern einige der Signale des Riechkolbens direkt zum Motorkortex, demjenigen Teil des Gehirns, das die Bewegung kontrolliert. Der Motorkortex steuert die Muskeln in den Beinen des Hundes, die daraufhin elegant einknicken, den präzisen Neigungswinkel des Kopfes, um ganz genau in dem lecker riechenden Zeugs zu landen und die Intensität des Windens auf dem Rücken, die erforderlich ist, um den Geruch möglichst gleichmäßig auf sich zu verteilen. Und achten Sie einmal darauf: Das Erste, was der Hund tut, nachdem er wieder von der Eichhörnchenkadaver-Wälzorgie aufsteht, ist, einen weiteren Hauch des Geruchs zu erhaschen.
VNO
Er leckt. Er leckt mein Knie, mein Gesicht, meine Ohren. Er leckt die Luft, während er mir näher kommt und seine Zunge nach mir ausstreckt. Es fühlt sich nach Zuneigung an, und ich lächle. Aber er leckt auch die Hausecke, jenen besonders intensiv riechenden Flecken Gras und – seufz – das Hinterteil der Katze.
So viel Nase! Aber bei Hunden ist, genau wie bei vielen anderen Säugetieren auch, das olfaktorische System größer als nur die Nase. Hunde haben eine Art „zweite Nase“ direkt unter dem Knochen, der die beiden Nasenlöcher voneinander trennt und der über dem Gaumendach liegt. Zwei Knorpelschnecken beherbergen das, was man als vomeronasales Organ bezeichnet (von Wissenschaftlern, die sich vier Silben sparen wollten, kurz angebunden VNO genannt) und das ebenso sehr zum Riechen beiträgt wie die Nase selbst. Der Namensbestandteil vomer beschreibt die Form des Organs: Es ist wie eine Pflugschar, lateinisch vomer, geformt. Unter der Nase versteckt, kann das Organ durch einfaches Schnüffeln nicht erreicht werden, sondern die Gerüche müssen erst in der Schleimhaut gelöst und dann aufgesaugt werden. Dieser Pumpmechanismus entsteht entweder durch direkte Berührung des Geruchsmoleküls oder durch das Ziehen eines absolut albern aussehenden Gesichts, das man als Flehmen bezeichnet. Sollten Sie einmal ein Pferd dabei beobachten, wie es seine Oberlippe hochzieht und mit in sich gekehrtem Blick leicht zu erzittern scheint, dann sind Sie gerade Zeuge eines klassischen Flehmens: Der Geruch wird zurück zum Nasengewebe gesogen, um dort absorbiert zu werden. Das Schwein öffnet zum Flehmen sein Maul sperrangelweit, während die Katze es nur ein kleines bisschen öffnet und dabei irgendwie beunruhigend verwirrt aussieht. Bei der Schlange schnellt die gegabelte Zunge hervor, um Gerüche einzufangen und beidseits an das VMO zu senden.
Die meisten Hunde zeigen kein klassisches Flehmen mit Hochziehen der Lippe, sondern haben ihre eigenen Methoden. Manchmal kräuselt ein Hund, nachdem er an etwas geschnüffelt hat, seine Nase und klappert mit den Zähnen – das ist die hündische Version des Flehmens. Oder noch besser – sie lecken. Die extravagante, lange Hundezunge eignet sich prima, um auch die letzten Reste aus dem Erdnussbutter-Glas zu lecken und Ihnen nach dem Laufen den Schweiß von den Beinen zu lecken, ja, aber sie ist auch der perfekte Mechanismus, um Gerüche zwecks näherer Untersuchung zum VNO zu transportieren. Boden lecken, Nase lecken, riechen.
Das VNO ermöglicht es dem Hund, diejenigen Arten von Molekülen zu entschlüsseln, die auf dem normalen Geruchsweg oft nicht erkannt werden können, so zum Beispiel Pheromone. Ein Pheromon ist ursprünglich definiert als Signal, das zwischen den Mitgliedern zweier Spezies gesendet wird und das den Empfänger dieses Signals dazu bringt, sich auf eine ganz bestimmte Art zu verhalten oder zu entwickeln. So bringt das von einem Eber produzierte Androstenon zum Beispiel eine Sau dazu, mehr oder weniger roboterhaft eine Paarungshaltung einzunehmen oder das von einem weiblichen Seidenspinner produzierte Bombykol heftet sich an die Fühler des männlichen Seidenspinners und bringt diesen dazu, nach ihr zu suchen. Pheromone werden von einer unglaublichen Vielfalt von Organismen benutzt, von Hummern über Kaninchen und Ameisen bis hin zu Bakterien.
Was diese Pheromone für das VNO entschlüsselbar macht, ist, dass sie typische wasserlösliche, nicht-flüchtige Stoffe mit geringer Molekülmasse sind. Das gilt auch für viele andere Moleküle wie etwa Hormone oder „gemischte Signaturstoffe“, die Informationen zur Identität eines Lebewesens oder zur Familie beziehungsweise zum Rudel enthalten, zu dem es gehört. Die VNO-Rezeptoren sind im Gegensatz zu den eher allgemeineren Geruchsrezeptoren in der Nase darauf eingestellt, sehr spezifisch und sehr empfindlich zu reagieren. Der Nase-Hinterteil-Nase-Schnüffeltanz zwischen Ihrem und einem anderen Hund ist eine chemische Unterhaltung der beiden über ihr Geschlecht, ihre Paarungswilligkeit, ihre Gesundheit und auch darüber, wer jeder von ihnen eigentlich ist. Diese Informationen sind in Urin und Speichel jedes Lebewesens enthalten.
Nieser
Von der eigentlichen Schnauze selbst, dem fest gesetzten Spieler im Gesicht, abgesehen, kommandiert der Geruchssinn des Hundes aber auch noch andere Körperteile und Verhaltensweisen zu seinen Gunsten. Nicht umsonst sind Bloodhounds mit so langen Ohren gesegnet. James Thurbers berühmte Zeichnungen der Rasse zeigen ebenso viel Ohr wie Kopf. Und die Ohren tragen dazu bei, dass die Mitglieder dieser Rasse so herausragende Riechtalente sind. Wenn der Bloodhound seine Nase auf den Boden hält, wischen seine langen Ohren, die in Extremfällen über dreißig Zentimeter messen, Gerüche vom Boden auf, damit sie besser gerochen werden können. Sie sind zwei am Kopf angebrachte Wedel, die mögliche Gerüche direkt an den Riecher leiten. Selbst der Speichel, der von den Lefzen eines Bloodhounds hängt, könnte dabei helfen, Gerüche zur Begutachtung durch das vomeronasale Organ nach oben zu transportieren.
Ich habe aber durch einfache Beobachtung von Hunden noch zwei weitere Verhaltensweisen entdeckt, die mit dem Riechen zu tun haben. Viele meiner Studien, die ich im Dog Cognition Lab durchführe, fußen auf der Beobachtung von Hundeverhalten in natürlichen Umgebungen wie zum Beispiel in Stadtparks, in Gegenwart anderer Menschen oder anderer Hunde. Ich habe unzählige Stunden damit verbracht, Hunde beim Spielen miteinander zu filmen und dann ihr Verhalten zu dekodieren, indem ich mir die Aufnahmen in Einzelstücken von je ein Dreißigstel Sekunden ansah. Ich lasse das Video in dieser Super-Zeitlupe laufen, weil mich das Dinge sehen lässt, die uns im wahren Leben sonst entgehen. Aber es hat noch einen weiteren Vorteil: sich die Aufnahme in dieser Geschwindigkeit anzuschauen, hebt das uns am Hund so Vertraute auf und entfremdet ihn uns ein bisschen. Während es einen Riesenspaß macht, Hunden beim Spielen zuzuschauen (glauben Sie mir: es war ein hartes Stück Arbeit, eine Dissertationskommission davon zu überzeugen, dass es sich hierbei tatsächlich um richtige Arbeit handeln könnte), neigen wir Menschen von Natur aus dazu, zwar das Spiel zu sehen, aber nicht das, was eigentlich vor sich geht. Wir sehen, ohne zu sehen.
Wenn wir Hunden zuschauen, sind wir uns so unmittelbar und so selbstverständlich darin sicher, was sie gerade tun – Oh, die sind Freunde; guck, er möchte mitspielen; sie ist schüchtern und so weiter – dass wir die tatsächliche Beobachtung, was sie gerade tun, vorwegnehmen.
Während ich also Hunden auf diese Art und Weise zuschaute, machte ich eine überraschende Beobachtung: Hunde wedeln viel mit dem Schwanz, wenn sie jemand Neuen treffen oder einen Hund begrüßen, den sie schon kennen.
Wie, sagen Sie jetzt, das ist doch nichts Neues! Natürlich nicht. Wir wissen schließlich, warum Hunde wedeln. Ein entspanntes, lockeres Wedeln mit hochgestellter Rute ist ein Zeichen für Freundlichkeit. Ein schnelles, niedriges Wedeln dagegen deutet auf Angst hin. Da stimmt – aber allein die Tatsache, dass wir das wissen, macht es uns schwerer, zu erkennen, was das Wedeln sonst noch bewirkt. Es verteilt Geruch. Ob beabsichtigt oder unbeabsichtigt – wenn eine Hündin mit ihrem Schwanz wedelt, verbreitet sie damit all den (aus Hundesicht) überaus faszinierenden Duft aus ihren Analbeuteln fächerförmig um ihren Körper herum. Sie sagt dem anderen Hund nicht nur, wie sie sich gerade fühlt, sondern teilt ihm über den Geruch mit, wer sie ist.
Es gibt unter den Tieren einen Präzedenzfall für den Einsatz des Schwanzwedelns als