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was sich dabey zugetragen. Ich bin sehr begierig, alle Umstände von dieser wichtigen Begebenheit zu erfahren.

      PHÄDON Und ich eben so willig, sie dir zu berichten. Ich habe niemals Geschäffte, so oft ich mich vom Sokrates unterhalten kann. Was ist angenehmer, als sich dieses Mannes zu erinnern, von ihm zu reden oder reden zu hören?

      ECHEKRATES Deine Zuhörer, Phädon, sind der nehmlichen Gesinnung. Erzähle also alles, so genau und so umständlich, als es dir möglich ist.

      PHÄDON Ich war zugegen, Freund! aber mir war wunderbar zu Muthe. Ich fühlte kein Mitleiden, kein solches Beklemmen, als wir zu empfinden pflegen, wenn ein Freund in unsern Armen erblasset. Der Mann schien mir glückselig, beneidenswerth, Echekrates! so sanft, so ruhig war sein Betragen in der Todesstunde, so gelassen waren seine letzten Worte. Sein Thun dünkte mich, nicht wie eines Menschen, der vor seiner Zeit zu den Schatten des Orkus hinunter wandelt; sondern wie eines Unsterblichen, der versichert ist, da wo er hinkömmt, so glückselig zu seyn, als je einer gewesen. Wie konnte ich also die bangen Empfindungen haben, mit welchen der Anblick eines gemeinen Sterbenden unser Gemüth zu verwunden pflegt? Gleichwohl hatten die philosophischen Unterredungen unsers Lehrers damals die reine Wollust nicht, die wir an ihnen gewohnt waren. Wir empfanden eine seltsame, nie gefühlte Mischung von Lust und Bitterkeit; denn das Vergnügen ward beständig von der nahenden Empfindung unterbrochen: »Bald werden wir ihn auf ewig verlieren.« Wir Anwesenden befanden uns alle in diesem sonderbaren Gemüthszustande, und die entgegengesetzten Wirkungen desselben zeigten sich gar bald eben so sonderbar auf unsern Gesichtern. Man sah uns jetzt lachen, jetzt Thränen vergießen, und öfters zeigte sich ein Lächeln um die Lippen, und heiße Zähren in den Augen. Jedoch übertraf Apollodorus hierinnen uns alle. Du kennest ihn, und sein empfindliches Wesen.

      ECHEKRATES Wie sollte ich ihn nicht kennen?

      PHÄDON Dieser machte die seltsamsten Bewegungen. Er empfand alles weit feuriger, war entzückt, wenn wir lächelten, und wo uns die Augen wie bethauet waren, da schwamm er in Zähren. Wir wurden durch ihn fast mehr gerührt, als durch den Anblick unsers sterbenden Freundes.

      ECHEKRATES Wer waren denn die Anwesenden alle?

      PHÄDON Von den hiesigen Stadtleuten: Apollodorus, Kritobulus und sein Vater Krito, Hermogenes, Epigenes, Aeschines, Antisthenes, Ktesippus, Menexenus und noch einige andere. Plato, glaube ich, war krank.

      ECHEKRATES Waren auch Fremde da?

      PHÄDON Ja! Aus Theben; Simmias, Cebes und Phädondes, und aus Megara; Euklides und Terpsion.

      ECHEKRATES Wie? waren denn Aristippus und Kleombrotus nicht da?

      PHÄDON O nein! Diese sollen sich damals zu Aegine aufgehalten haben.

      ECHEKRATES Sonst war also niemand dabey?

      PHÄDON Ich weiß mich auf keinen mehr zu besinnen.

      ECHEKRATES Nun, mein Lieber! was für Unterredungen sind dabey vorgefallen?

      PHÄDON Ich werde dir alles vom Anfange bis zum Ende erzählen.

      Wir waren gewohnt, so lange Sokrates im Gefängnisse saß, ihn täglich zu besuchen. Wir pflegten zu diesem Ende in der Gerichtsstube zusammen zu kommen, in welcher das Urtheil über ihn gesprochen worden, (denn diese ist sehr nahe am Gefängnisse) und allda uns so lange mit Gesprächen zu unterhalten, bis die Kerkerthüre aufgethan ward, welches denn nicht sehr früh zu geschehen pflegt. So bald diese aufgieng, begaben wir uns zum Sokrates, und brachten mehrentheils den ganzen Tag bey ihm zu. Den letzten Morgen fanden wir uns früher als gewöhnlich ein, denn wir erfuhren Abends vorher, als wir nach Hause giengen, daß das Schiff von Delos angekommen sey, und beschlossen, das letzte mal uns so früh als möglich einzustellen.

      Als wir zusammen waren, kam uns der Schließer, der die Kerkerthüre zu öffnen pflegte, entgegen, bat uns, zu verziehen, und nicht hinein zu gehen, bis er rufen würde. Denn die eilf Männer, sprach er, nehmen itzt dem Sokrates die Fessel ab, und melden ihm, daß er heute sterben müsse. Nicht lange hernach kam er, uns zu rufen. Als wir hinein giengen, fanden wir den so eben losgebundenen Sokrates auf dem Bette liegen. Xantippe, du kennest sie, saß neben ihm in stiller Betrübniß, und hielt ihr Kind auf dem Schooße. Als sie uns erblickte, fieng sie an, nach Weiberart, überlaut zu jammern. Ach! Sokrates! du siehest heute deine Freunde, und ihr sehet heute den Sokrates zum letzten male! und ein Strom von Thränen folgte auf diese Worte. Sokrates wandte sich zum Krito, und sprach: Freund, laß sie nach Hause bringen. –

      Kritons Bedienten führten sie hinweg: sie gieng und heulete, und zerschlug sich jämmerlich die Brust. Wir standen wie betäubt. Endlich richtete sich Sokrates im Bette auf, krümmte das Bein, das vorhin gefesselt war, und indem er die Wunden mit der Hand rieb, sprach er: O meine Freunde! welch ein seltsames Ding scheinet das zu seyn, was man Vergnügen nennet! wie wunderbar! Dem ersten Anblicke nach ist es den Schmerzen entgegen gesetzt, indem kein Mensch zu gleicher Zeit aus einer Sache Schmerz und Vergnügen schöpfen kann; und dennoch kann niemand eine von diesen Empfindungen haben, ohne unmittelbar darauf die entgegengesetzte zu fühlen, als wenn sie an beiden Enden an einander befestiget wären. Hätte Aesopus dieses bemerkt, fuhr er fort, so hätte er vielleicht folgende Fabel erdichtet. »Die Götter wollten die streitenden Empfindungen mit einander vereinigen: als aber dieses sich nicht thun ließ, knüpften sie zwischen ihnen ein festes Band; und seit der Zeit folgen sie sich einander beständig auf dem Fuße nach.« So ergehet es mir auch itzt. Die Fessel hatten mir Schmerzen verursacht, und itzt, da sie hinweg sind, folgt die angenehme Empfindung nach.

      Beym Jupiter! ergriff Cebes das Wort, gut, daß du mich erinnerst, Sokrates! Du sollst, wie man sagt, hier im Gefängnisse einige Gedichte verfertiget, nehmlich Aesopische Fabeln poetisch ausgeführet, und eine Hymne an den Apollo aufgesetzet haben. Nun fragen mich viele, und vornehmlich der Dichter Evenus, was dich hier auf die Gedanken gebracht, Gedichte zu verfertigen, da du doch solches vorher niemals gethan? Soll ich dem Evenus Bescheid geben, wenn er mich wieder fragt: (und fragen wird er gewiß,) so sage mir, was ich ihm antworten soll?

      Sage ihm, o Cebes, erwiederte Sokrates, nichts als die Wahrheit: daß ich diese Gedichte keinesweges in der Absicht verfertiget, ihm in der Dichtkunst den Rang abzulaufen; denn ich weiß, wie schwer dieses ist; sondern bloß um eines Traumes willen, dem ich mir vorgenommen in allen möglichen Bedeutungen nachzuleben, und daher auch in dieser Art von Musik, in der Dichtkunst, meine Kräfte zu versuchen. Die Sache verhält sich aber folgender Gestalt. Ich hatte in vergangenen Zeiten sehr oft einen Traum, der mir unter vielerlei Gestalten erschien, aber immer eben denselben Befehl gab, Sokrates befleißige dich der Musik und übe sie aus! Bisher hielt ich diese Ermahnung bloß für eine Aufmunterung und Anfrischung, wie man sie den Wettläufern nachzurufen pflegt. Der Traum, dachte ich, will mir nichts neues zu thun befehlen; denn die Weltweisheit ist ja die vortrefflichste Musik, und dieser habe ich mich stets beflissen; er will also bloß meinen Eifer, meine Liebe zur Weisheit anfeuern, damit sie nicht erkalte. Nunmehr aber, nachdem das Urtheil über mich gesprochen worden, und das Fest des Apollo meinen Tod eine zeitlang aufgeschoben, kam mir der Gedanke ein, ob man mir nicht vielleicht der gemeinen Musik obzuliegen befohlen, und ich hatte Muße genug, diesen Gedanken nicht fruchtlos verschwinden zu lassen. Ich machte den Anfang mit einem Lobgesange auf den Gott, dessen Fest damals gefeyert ward. Allein mir fiel nachher bey, daß, wer Poet seyn will, Erdichtungen, aber nicht Vernunftsätze behandeln müsse; daß aber ein Lobgesang keine Erdichtungen enthielte. Da ich nun selbst keine Gabe zu dichten besitze; so bediente ich mich anderer Leute Erfindungen, und brachte einige Fabeln des Aesops, die mir zuerst vor die Hand kamen, in Verse. – Dieses kannst du, mein

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