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      Ich werde, allem Ansehen nach, auf Befehl der Athenienser noch heute abreisen.

      Und dieses wünschest du dem Evenus? fragte Simmias. Ich kenne diesen Mann sehr gut, und so viel ich von ihm urtheilen kann, dürfte er dir für diesen Wunsch schlechten Dank wissen. – Wie? versetzte jener, ist denn Evenus kein Weltweiser? Mich dünkt, ja, sprach Simmias. – Nun so wird er mir gewiß gerne folgen, erwiederte Sokrates, er, und jedermann, der diesen Namen verdienet. Er wird zwar nicht selbst Hand an sich legen; denn dieses ist unerlaubt, wie einem jeden bekannt ist. – Indem er dieses sagte, ließ er beide Füße vom Bette auf die Erde herab, um in dieser Stellung die Unterredung fortzusetzen. Cebes fragte: Wie ist dieses zu verstehn, Sokrates? Es ist nicht erlaubt, sagst du, sich selbst zu entleiben, und dennoch soll jeder Weltweise einem Sterbenden gerne nachfolgen? Wie? Cebes, sprach Sokrates: Du und Simmias, ihr habet beide den Weltweisen Philolaus gehört, hat er euch denn niemals hiervon etwas gesagt? Nichts Ausführliches, mein Sokrates. Nun gut! Ich habe verschiedenes von der Sache gehöret, und will euch solches gerne mittheilen. Mich dünkt, wer reisen will, habe Ursach, sich nach der Beschaffenheit des Landes, dahin er zu kommen gedenkt, wohl zu erkundigen, um sich einen richtigen Begriff davon zu machen. Diese Unterredung ist also meinen jetzigen Umständen angemessen, und was könnte man auch den heutigen Tag bis Sonnen Untergang Wichtigeres vornehmen? Wodurch beweiset man, fragte Cebes, daß der Selbstmord unerlaubt sey? Philolaus und andere Lehrer haben mir zwar vielfältig eingeschärft, daß er verboten sey, aber mehr hat mir niemand davon beigebracht. – Wohlan! So mache dich gefaßt, itzt ein mehreres davon zu erfahren. Was meynest du, Cebes! ich behaupte, daß der Selbstmord schlechterdings in allen möglichen Fällen unerlaubt sey. Wir wissen, es giebt Leute, für welche es besser wäre, gestorben zu seyn, als zu leben. Nun dürfte es dich befremden, daß die Heiligkeit der Sitten auch von diesen Unglücklichen fodern sollte, sich nicht selbst wohl zu thun, sondern eine andere wohlthätige Hand abzuwarten. – Das mag eine Stimme vom Jupiter erklären! antwortete Cebes lächelnd.

      Und gleichwohl ist es so schwer nicht, diese anscheinende Ungereimtheit durch Gründe zu tilgen. Was man in den Geheimnissen zu sagen pflegt, daß wir Menschen hienieden wie die Schildwachen ausgestellt wären, und also unsere Posten nicht verlassen dürften, bis wir abgelöset würden, scheinet mir etwas zu hoch und unbegreiflich. Allein ich habe einige Vernunftgründe, die nicht schwer zu fassen sind. Ich glaube als ausgemacht voraussetzen zu können, die Götter (laßt mich jetzt sagen Gott, denn wen habe ich zu scheuen?) Gott ist unser Eigenthumsherr, wir sein Eigenthum, und seine Vorsehung besorgt unser Bestes. Sind diese Sätze nicht deutlich?

      Sehr deutlich, sprach Cebes.

      Ein Leibeigener, der unter der Vorsorge eines gütigen Herrn stehet handelt sträflich, wenn er sich den Absichten desselben widersetzt. Nicht?

      Allerdings!

      Vielleicht wenn ein Funken von Rechtschaffenheit in seinem Busen glimmet, muß es ihm eine wahre Freude seyn, die Wünsche seines Gebieters durch sich erfüllet zu sehen, und um so vielmehr, wenn er von der Gesinnung seines Herrn überzeugt ist, daß sein eigenes Bestes an diesen Wünschen Theil nimmt. Unvergleichlich! mein Sokrates. Aber wie? Cebes, als Gott den künstlichen Bau des menschlichen Leibes gewirkt, und ein vernünftiges Wesen hinein gesetzt, hatte er da böse oder gute Absichten?

      Ohne Zweifel gute.

      Denn er müßte sein Wesen, die selbständige Güte, verleugnen, wenn er mit seinem Thun und Lassen böse Absichten verknüpfen könnte; und was ist ein Gott, der sein Wesen verleugnen kann?

      Ein Unding, Sokrates, ein fabelhafter Gott, dem das leichtgläubige Volk wandelbare Gestalten andichtet. Ich erinnere mich der Gründe gar wohl mit welchen du bey einer andern Gelegenheit diesen lästerlichen Irrthum bestritten.

      Derselbe Gott, Cebes, der den Leib gebauet, hat ihn auch mit Kräften ausgerüstet, die ihn stärken, erhalten, und vor dem allzufrühen Untergang bewahren. Wollen wir auch diesen Erhaltungskräften höchst gütige Absichten zum Ziele setzen?

      Wie könnten wir anders?

      Darum habe ich gesagt, mein lieber Cebes, daß die Weltweisheit die vortrefflichste Musik sey, denn sie lehret uns, unsere Gedanken und Handlungen so einzurichten, daß sie, so viel uns möglich ist, mit den Absichten des allerhöchsten Eigenthumsherrn vollkommen übereinstimmen. Ist nun die Musik eine Wissenschaft, das Schwache mit dem Starken, das Rauhe mit dem Sanften, und das Unangenehme mit dem Angenehmen in eine Harmonie zu bringen: so kann gewiß keine Musik herrlicher und vortrefflicher seyn, als die Weltweisheit, die uns lehret, nicht nur unsere Gedanken und Handlungen unter sich, sondern auch die Handlungen des Endlichen mit den Absichten des Unendlichen, und die Gedanken des Erdbewohners mit den Gedanken des Allwissenden in eine große und wundervolle Harmonie zu stimmen. – O Cebes! und der verwegene Sterbliche, sollte sich erdreisten diese entzückende Harmonie zu zerstören?

      Er würde den Abscheu der Götter und Menschen verdienen, mein lieber Sokrates!

      Sage mir aber auch dieses, mein Trauter! Sind die Kräfte der Natur nicht Diener der Gottheit, die ihre Befehle vollstrecken?

      Allerdings!

      Sie sind also auch Wahrsager, die uns den Willen und die Absichten der Gottheit weit richtiger verkündigen, als die Eingeweide der Schlachtopfer; denn das ist unstreitig ein Rathschluß des Allerhöchsten, wohin die von ihm erschaffene Kräfte abzielen. Nicht?

      Wer kann dieses leugnen?

      So lange uns also diese Wahrsager andeuten, daß die Erhaltung unsers Lebens zu den Absichten Gottes gehöre, sind wir verpflichtet, unsere freyen Handlungen denselben gemäß einzurichten, und haben weder Fug noch Recht den Erhaltungskräften unserer Natur Gewalt anzuthun, und die Diener der obersten Weisheit in ihrer Verrichtung zu stören. Diese Schuldigkeit liegt uns so lange ob, bis Gott uns durch eben dieselben Wahrsager, den ausdrücklichen Befehl zuschickt, dieses Leben zu verlassen, so wie er ihn heute mir zugeschickt hat. Ich bin völlig überzeugt, sprach Cebes. Allein nunmehr begreife ich um soviel weniger, mein lieber Sokrates, wie du vorhin hast sagen können, ein jeder Weltweiser müsse einem Sterbenden gerne folgen wollen. Ist dieses wahr, was du itzt behauptest, daß wir ein Eigenthum Gottes sind, und daß derselbe unser Bestes besorge: so scheinet jener Satz ungereimt. Wie? soll ein vernünftiger Mann sich nicht betrüben, wenn er die Dienste eines Oberherrn verlassen muß, der sein bester und gütigster Versorger ist? Und wenn er auch hoffen könnte, durch den Tod frey, und sein eigener Herr zu werden: wie kann der unverständige Mündel sich schmeicheln, unter seiner eigenen Anführung besser zu stehen, als unter der Anführung des allerweisesten Vormundes? Ich sollte meynen, es sey vielmehr ein großer Unverstand, wenn man sich durchaus in Freyheit setzen, und auch den besten Oberherrn nicht über sich leiden will. Wer Vernunft besitzet, wird sich allezeit mit Vergnügen der Aufsicht eines andern unterwerfen, dem er bessere Einsichten zutrauet, als sich selbst. Ich würde also gerade das Gegentheil von deiner Meynung herausbringen. Der Weise, würde ich sagen, müsse sich betrüben, der Thor aber freuen, wenn er sterben soll.

      Sokrates hörete ihm aufmerksam zu, und schien sich an seiner Scharfsinnigkeit zu ergetzen. Sodann kehrete er sich zu uns, und sprach: Cebes kann schon einem zu schaffen machen, der wider ihn etwas behaupten will. Er hat beständig Ausflüchte.

      Allein diesesmal, sprach Simmias, scheinet Cebes nicht Unrecht zu haben, mein lieber Sokrates!

      In der That, wodurch kann ein Weiser bewogen werden, sich ohne Mißvergnügen der gütigen Vorsorge des allerweisesten

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