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      »Ich hab doch nichts«, erwiderte ich wahrheitsgemäß.

      »Du lügst, du elender Hurensohn!«

      Er sprang nach vorn und zielte mit der Klinge auf meinen Oberkörper. Ich sprang beiseite und bekam sein Handgelenk zu fassen. Das war meine Chance. Trotz immenser Angst versuchte ich, Skimasken-Johnny mit dem linken Arm in den Schwitzkasten zu nehmen. Mit der anderen Hand wollte ich ihm das Messer wegschlagen. Leider war der Typ stärker als angenommen. Weder konnte ich ihn in die Mangel nehmen, noch die Waffe loswerden. Nur eines gelang mir: ihm das Gleichgewicht zu rauben.

      Mir allerdings ebenso.

      Der Aufprall war hart und mein rechtes Knie tanzte vor Freude La Paloma. Bevor der Angreifer wusste, wie ihm geschah, umfasste ich sein rechtes Handgelenk und schlug damit so lang auf den Asphalt, bis er das Messer losließ. Seine Knöchel knackten. Er heulte vor Schmerz.

      Gleichzeitig machte ihn die verletzte Hand erst richtig wütend. Wie eine Furie schlug er um sich und wir wälzten uns auf dem nassen Asphalt. Die ganze Situation geriet immer weiter außer Kontrolle. Nässe drang durch meine Hose und Jacke. Ebenso die Faust des Angreifers, die zielsicher meine Niere traf. Sofort wiederholte er die Attacke zwei weitere Male. Mir ging endgültig die Luft aus. Die Schmerzen in meiner Seite waren höllisch.

      Irgendwie bekam ich seine Finger zu fassen und riss sie nach hinten. Scheinbar gleichzeitig hörte ich seinen Aufschrei und wie seine Fingerknochen brachen. Es hörte sich an, als wäre ich auf ein Stück uraltes Holz getreten. Das genügte, damit ich wieder auf die Beine kam.

      »Ich hoffe, du hast endlich genug«, keuchte ich. Jeder einzelne Muskel wummerte und ich spürte eine Scheißangst. Bisher hatte ich Glück gehabt. So was hielt erfahrungsgemäß nicht ewig.

      »Noch lange nicht!«

      In der Dunkelheit bewegte sich etwas. Dies warf mich vollends aus der Bahn. Die Butterflyklinge schoss auf mich zu. Ich hielt vor Schrecken die Luft an und überzeugt davon, gleich sterben zu müssen.

      Nichts dergleichen geschah.

      Aus der Finsternis traten vier Gestalten, allesamt in schwarze Mäntel oder dunkle Kapuzenkutten gehüllt. Sie sahen aus wie das Klischee eines Satanisten. Wie zur Hölle passte das hierher? Wurde ein Film gedreht oder setzte mein Verstand nun vollends aus? Doch es wurde noch verrückter: Ganz gleich, wie nah die Gestalten Joes Reklametafel kamen, ihre Gesichter blieben in der Dunkelheit verborgen. Ein eisiger Schauer kroch meinen Rücken hinauf.

      Mir blieb nicht die Zeit, darüber nachzudenken. Eine der Gestalten sprang vor. Mein Herz setzte einen Schlag aus. Nun war es endgültig vorbei.

      Dachte ich.

      Für mich interessierte er sich seltsamerweise überhaupt nicht. Sein Ziel war der Angreifer. Die anderen drei folgten.

      Gemeinsam rissen sie den Jungen zu Boden und entwendeten ihm das Messer, bevor er überhaupt registriert hatte, dass er nicht mehr auf den Beinen stand. Erst als das Butterfly über den Asphalt schlitterte, fiel mir auf, dass bei der ganzen Aktion kein einziger Laut zu hören gewesen war. Der Skimaskentyp blieb bewusstlos liegen, meine Retter standen wieder.

      Ich hatte den Eindruck, dass sie mich anschauten, doch ihre Gesichter waren nicht bloß von Dunkelheit umgeben, sondern schienen regelrecht damit verschmolzen zu sein. Ich sah nicht mal genau, wo ihre Körper aufhörten und die nächtliche Schwärze begann. Dies verstärkte meine Angst und mein Puls hämmerte schier wahnsinnig.

      Nach zwei Sekunden wichen die Männer einer nach dem anderen in die Dunkelheit zurück. Auch diesmal ohne jedwede Laute. Die ganze Aktion hatte nicht mal eine Minute gedauert.

      Mein Angreifer lag nach wie vor regungslos auf dem nassen Asphalt. Sollte ich schauen, wie es um ihn stand? Als Mediziner wäre es meine Pflicht. Aber Teufel noch eins, der Schweinehund hatte mich angegriffen und hätte keine Sekunde gezögert, mich abzustechen. Die ganze Situation verwirrte und überforderte mich. Also sah ich zu, dass ich Land gewann. Diesmal hielt mich nichts und niemand davon ab.

      2 – Lennie

      Auch eine halbe Stunde später war ich noch immer völlig von der Rolle und registrierte das Verkehrsgeschehen bloß nebenbei. Unzählige Autos kamen mir mit grellen Scheinwerfern entgegen, doch ich beachtete sie kaum. Dank langjähriger Fahrpraxis reagierte ich rein instinktiv, setzte den Blinker, wenn es notwendig war, oder bremste ab, wenn die Ampel vor mir auf Rot umsprang. Ich achtete nicht einmal darauf, wohin ich fuhr.

      Noch immer wollte sich mein Denken nicht mit solch banalen Fragen beschäftigten. Nicht, nachdem ich eben dem Tod von der Schippe gesprungen, und gerade erst von neuen Freunden gerettet worden war. Im Viertel von Joes Bar achtete normalerweise niemand auf das, was sich wenige Meter vor seinen Augen abspielte. Wenn jemand überfallen wurde, war das sein Problem und nicht das desjenigen, der zufällig vorbeikam.

      Was waren das für seltsame Menschen gewesen, die mir geholfen hatten? Woher waren sie so unvermittelt aufgetaucht? Weshalb waren sie gleich nach der Rettung wieder verschwunden? Ich musste an die Superheldencomics meiner Kindheit denken. Doch dies hier waren weder Gotham City noch New York. Hingen sie vielleicht mit der ominösen Frauenstimme zusammen? Ich hatte nicht den geringsten Schimmer.

      Schließlich ließ der Schock nach und ich konzentrierte mich wieder auf die Straße. Erstaunt stellte ich fest, dass mich mein Unterbewusstsein in Lennies Stadtviertel kutschiert hatte. Ich schmunzelte und entspannte mich.

      So wie Joe kannte ich auch Lennie seit Urzeiten. Dennoch war er mir in mancherlei Hinsicht noch immer ein Rätsel. Einer richtigen Arbeit ging er nicht nach, sondern hielt sich stattdessen mit Gelegenheitsjobs und seinem Hobby, der Hellseherei, über Wasser. Ob Lennie wirklich über seherische Fähigkeiten verfügte, wusste ich nicht. Er selbst bejahte es vehement und gelegentlich traf er mit seinen Voraussagungen ins Schwarze. Aber eben nicht immer, sodass meine Zweifel durchaus berechtigt waren.

      Ein passendes Beispiel dafür, dass er kein besonders guter Hellseher war, war die Tatsache, dass er permanent bis zum Hals in Geldschulden steckte. Egal, ob Pferdewetten oder Boxkämpfe, der gute alte Lennie war stets hundertprozentig davon überzeugt, eine todsichere Vorahnung zu haben. In fünfundneunzig Prozent der Fälle stellte es sich als Irrtum heraus. Ich selbst hatte einige Male den Fehler begangen und ihm Geld anvertraut. Deshalb war ich vorsichtig geworden und lieh ihm nur noch in den seltensten Fällen etwas.

      Ich suchte mir einen Parkplatz direkt hinter Lennies Mietskaserne. Als ich die Scheinwerfer abstellte, fiel mir zwischen den Ganggraffiti ein ganz bestimmter Spruch auf: Der König ist tot.

      Schon wieder.

      Auf Joes Klo hatte ich es für die Versuche eines gelangweilten Hobbypoeten gehalten. Oder als Anspielung auf das Zitat: Der König ist tot, es lebe der König, wer auch immer das gesagt hatte. Jetzt war ich mir nicht mehr so sicher.

      Möglicherweise hatte sich derselbe Künstler an zwei Orten mit seiner Spraydose ausgetobt. Wirklich plausibel erschien mir das jedoch nicht. Außerdem war die Handschrift hier krakeliger.

      Ich überlegte, Lennie auf die Schmiererei anzusprechen, vergaß es beim Klopfen an seiner Wohnungstür aber sofort wieder. Die hagere, blasse Gestalt auf der anderen Seite der Türschwelle bekam große Augen. »Nathaniel Jackson?! Mit dir hätte ich heute Abend am allerwenigsten gerechnet.«

      Laut Personalausweis war Lennie zwei Jahre älter als ich. Rein vom Aussehen her hätte aber jeder auf mindestens zehn getippt. Er war komplett ergraut und sein hinterlistiges Echsengesicht besaß mehr Falten als glatte Stellen.

      »Ich freue mich auch, dich zu sehen«, sagte ich ungerührt und betrat die Wohnung. Flur und Wohnzimmer präsentierten das mittlerweile vertraute Chaos. Ich kämpfte mich an einem flachen Beistelltisch vorbei, auf dem ein halb verdrücktes Asia-Menü, ein leere Flasche Wurzelbier und etliche Zeitschriften standen, und ließ mich auf einem beigefarbenen Couchrelikt aus den Achtzigern nieder. Das einzig Neue in dieser Bruchbude war der Flachbildschirm an der rechten Wand, in dem eine Dokumentation über Autoschrauber lief. Erst jetzt fiel

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