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Reiterhof Dreililien 10 - Wege in Schatten und Licht. Ursula Isbel
Читать онлайн.Название Reiterhof Dreililien 10 - Wege in Schatten und Licht
Год выпуска 0
isbn 9788726219678
Автор произведения Ursula Isbel
Серия Reiterhof Dreililien
Издательство Bookwire
Hazel kam, um nach uns zu sehen. Sie war grün um die Nüstern und sabberte mir den Arm voll. „So ein Schwachsinn!“ sagte ich. „Dann dürfte es doch überhaupt keine kranken Menschen auf der Welt geben. Und keine Krankenpflege!“
Jörn schüttelte den Kopf. Er hatte es längst aufgegeben, seinen Vater ändern zu wollen; doch ich wußte, daß er immer unter dieser schlechten Beziehung gelitten hatte, unter der Unmöglichkeit, seinem Vater näherzukommen und von ihm geliebt und respektiert zu werden.
„Aber vielleicht“, sagte er in meine Gedanken hinein, „hat er irgendwo auch recht, wenn er nicht ins Krankenhaus will. Er spürt vielleicht, daß sein Herz schon sehr schwach ist, daß es keine Heilung mehr für ihn gibt. Wenn ich die todkranken Patienten in der Klinik sehe, wie sie an Schläuchen hängen und Wochen und Monate künstlich am Leben erhalten werden – das finde ich schlimm und unwürdig. Oft würden solche Menschen, wenn sie zu Hause wären, auf natürliche Weise sterben, und es ginge alles leichter und schneller für sie, so, wie es von der Natur und vom Schicksal vorgesehen ist. Aber wir müssen der Natur ja überall dreinpfuschen, weil wir meinen, daß wir alles besser wissen und können ...“
Ich versuchte mich in Herrn Mobergs Lage zu versetzen, mir vorzustellen, was ich tun würde, wenn ich todkrank wäre. Würde ich an mir herumexperimentieren und tausend Prozeduren über mich ergehen lassen, anstatt zu akzeptieren, daß meine Zeit abgelaufen war?
Jörn sah traurig aus. „Ich wollte, wir könnten endlich miteinander reden – ich wollte, Vater würde versuchen, liebevoll und offen mit mir zu sein, wenigstens ein einziges Mal. Wenn er nur nicht so verhärtet und verbittert wäre!“
„Versuch du es“, riet ich ihm, ganz wie auch er mir am Anfang unseres Ausritts geraten hatte. „Versuch es immer wieder. Damit du später nicht das Gefühl hast, etwas versäumt zu haben.“
Wir sahen uns an, und ich wußte, daß auch er an Helge dachte. Für kurze Zeit tauchte die Sonne zwischen den Wolkengebilden auf. Dankbar spürte ich ihre Wärme auf meiner Haut.
Unsere Hinterteile und Jörns Pulli waren feucht, als wir aufstanden. Der unermüdliche Vogel im Schilf begann wieder seine Strophe zu singen. Die Töne waren klar wie Perlen, aufgereiht an einer Schnur. Angesichts der Schönheit dieser Vogelstimme und des Weihers im wechselnden Licht, mit dem sachten Wind und dem Duft des Wassers und des Schilfs, fragte ich mich, ob es vielleicht in jenem anderen Leben, das nach dem Tod folgt, so schön sein würde wie hier, ob man sich dann ständig in diesem Zustand von Frieden und Harmonie und Glück befand, wie ich es an diesem Ort für Augenblicke erlebte. Wenn es so war, gab es keinen Grund mehr, Angst vor dem Tod zu haben oder traurig zu sein, wenn jemand starb.
Als wir zurückkamen, war der Hufschmied auf Dreililiens Hofplatz, um drei Reitschulpferde zu beschlagen. Jörn und ich rieben Hazel und Katama trocken und brachten sie auf die Koppel. Dann ging ich nach Hause und setzte mich mit meinen Arbeitsunterlagen ans Fenster. An diesem Nachmittag wenigstens fiel es mir nicht schwer, mich zu konzentrieren; und ich lernte, bis es Zeit war, nach Dreililien zu gehen und die Pferde in den Stall zu holen.
Am nächsten Tag war’s vorbei mit dem Frieden. Die Samstagsreiter kamen – bis auf Mücke, Charly und Roddy lauter Jugendliche, die ich noch kaum kannte. Auch Hopfi war wieder da und putzte die Fenster im Erdgeschoß des Gutshauses auf einer gefährlich wackligen Trittleiter.
Ich holte meinen und Jörns Schlafsack aus Roddys Auto. Dann ratschte ich eine Weile mit Mücke und Charly, bis die beiden mit Roddy und Maja in den Wald ritten, während Mikesch auf der Schwammerlwiese die Reitstunde abhielt.
Gemeinsam schoben Matty und ich das alte Pferdefuhrwerk aus der Remise, spannten Vroni davor und tuckerten nach Mariabrunn, um die bestellten Lebensmittel für Dreililien und das Kavaliershäusl abzuholen. Auch Milch und Eier vom Bergerhof standen auf unserer Liste.
„Warum hast du das Kathrinchen nicht mitgebracht?“ fragte Matty, als ich mich neben ihn auf den Kutschbock schwang. „Sie fährt doch so gern mit dem Pferdeauto!“
„Die hat Mumps“, sagte ich. „Sie liegt mit einem Schal um den Kopf im Bett und sieht aus wie ein kranker Osterhase. Daß wir fahren, hab ich ihr gar nicht gesagt, sonst wär sie bestimmt total durchgedreht.“
„Armes Leberecht Hühnchen!“ sagte Matty mitfühlend. So nannte er meine kleine Schwester in letzter Zeit, wobei keiner wußte, warum. Matty wiederum war für Kathrinchen nur noch der „Pumuckl“ wegen seiner gesträubten punkähnlichen Haare; und sie lachte sich jedesmal halbtot, wenn er so tat, als würde er sich mordsmäßig über diesen Spitznamen aufregen.
Auf dem Bergerhof war Carmen gerade dabei, Niobe aus dem Stall zu führen, ihre isabellfarbene Stute. Auf Carmens pausbäckigem Gesicht lag ein finsterer Ausdruck, was bei ihr meist ein Zeichen von Traurigkeit war.
„Ich wollte gerade zu euch reiten. Sie holen heute unsere Jungstiere ab und bringen sie zum Schlachthof. Da kann ich nicht dabei sein, das halt ich nicht aus“, sagte sie, während sich Vroni und Niobe zur Begrüßung die Hälse beknabberten.
Wir ließen uns von Carmens Mutter Milch und Eier geben und fuhren möglichst schnell wieder los, denn auch wir wollten nicht zusehen, wie die armen Jungstiere aus dem heimatlichen Stall geführt und in den Lastwagen geladen wurden.
„Das einzige, was ich für sie noch tun konnte, war, dafür zu sorgen, daß sie nur nach Traunstein in den Schlachthof müssen“, sagte Carmen unglücklich. „Und das ist schon schlimm genug, denn sie ahnen natürlich, was auf sie wartet, und spüren die Angst der anderen Tiere, wissen, daß der Geruch nach Blut den Tod bedeutet. Aber die elende Quälerei mit den weiten Schlachttransporten durch ganz Europa, das lasse ich nicht zu, da könnte ich nicht mehr schlafen. Es ist so ein verdammtes Unrecht, was sie da mit den Tieren machen! Tag und Nacht werden sie unter schlimmsten Bedingungen durch die Gegend gekarrt, ohne Futter und Wasser, und so eng zusammengepfercht, daß sie halbtot sind, wenn sie endlich ankommen. Es wäre ein Gnadenakt, wenn man sie vorher töten würde. Aber Lebendtransporte bringen mehr Geld, und das allein zählt. Welche Torturen die Tiere dabei aushalten müssen, ist den Leuten doch egal, die ihren Profit mit ihnen machen!“
„Es müssen endlich andere Gesetze erlassen werden“, sagte ich. „Bis jetzt kann jeder ein Tier quälen oder töten, und das zählt vor Gericht nur als Sachbeschädigung. Das muß man sich mal vorstellen! Als hätten Tiere nicht das gleiche Recht auf Leben wie wir, als wären sie nicht genauso fähig, Schmerz und Angst zu spüren! Diese Transporte sind einwandfrei schlimmste Tierquälerei, und doch verstoßen sie nicht gegen unser Gesetz.“
„Ja – die Tiere können sich nicht wehren, und die Tierschützer haben nicht genug Macht, um Druck auf unsere Politiker auszuüben, so wie’s beispielsweise die Großindustrie macht. Die Industrie hat jede Menge Einfluß bei uns, die kann ihre Ziele durchsetzen. Aber wenn es um das Recht der Tiere geht, rührt doch in unserer Regierung keiner einen Finger!“
Carmens Stimme klang bitter. Auch in mir regte sich der alte Zorn. Die Schlachttransporte, nicht nur von Pferden, sondern auch von Rindern, Schafen, Geflügel und Schweinen, waren ein Thema, das mich und meine Freunde immer wieder beschäftigte. Wir hatten schon mehrere Briefe an den Hochkommissar für Landwirtschaft in der Rue de la Loi 200 in Brüssel geschrieben mit der Aufforderung, den Lebendtransport zu verbieten; ebenso an den deutschen Landwirtschaftsminister im Bundeshaus Bonn; doch das Gefühl der Machtlosigkeit einem ungeheuren Unrecht gegenüber blieb. Mir fiel ein Spruch von Schopenhauer ein, den ich vor kurzem gelesen hatte: Nicht nur Mitleid, sondern Gerechtigkeit sind wir den Tieren schuldig. Aber wer hielt sich schon daran?
„Wenn es so was wie Sünde gibt“, sagte Matty, „dann ist es das Leiden, das wir anderen Lebewesen antun. Und ich bin überzeugt, daß wir alle dafür zahlen müssen. Wir tun es ja jetzt schon! Wenn wir die Natur zerstören, machen wir uns am Ende selbst kaputt, denn alles fällt auf uns zurück. Bloß kapieren das immer nur die, die kaum etwas ändern können. Die anderen, die an der Macht sind, verschließen die Augen davor, weil ihnen Profit und persönlicher Ehrgeiz wichtiger sind.“