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      Über mir hörte ich Jörn auf dem ehemaligen Dörrboden rumoren. Dann tauchte Mikesch im Türrahmen auf. „Dacht ich’s mir doch, daß du heute die erste im Stall bist“, sagte er.

      „Nicht die erste“, erwiderte ich. „Michl war vor mir da!“

      Mikesch nickte. „Ich glaube, er schläft manchmal im Stall“, sagte er halblaut. „Vielleicht tut’s ihm gut, nicht allein zu sein; und vor Tieren hat er keine Angst.“

      Nein, vor Tieren nicht, dachte ich, aber vor den Menschen. Gemeinsam machten wir uns an die Arbeit, und es traf sich gut, daß wir beide, Mikesch und ich, morgens nicht viel reden mochten. Wir waren auch wunderbar aufeinander eingespielt; jeder wußte, was zu tun war, und wie er dem anderen zur Hand gehen konnte.

      Eine Viertelstunde später herrschte das gewohnte Leben im Stall – das Geklapper von Eimern, das Knirschen und Mahlen von Pferdezähnen, ungeduldiges Hufgestampfe, Wassergeplätscher und Mattys leises Pfeifen.

      Diana wuselte um Jörn herum, offenbar fest entschlossen, ihn keine Sekunde mehr aus den Augen zu lassen. Wir führten Mutterstuten und ihre Fohlen hinaus, über den Stallhof und zur Koppel am Bach, wo das Gras schon dicht und üppig war und wo sich eine Wasseramsel wie ein Tiefseetaucher in den klaren Bach stürzte. Schlüsselblumen blühten am Ufer zwischen Moos und Farn und Veilchen am Waldsaum. Über den Tälern hingen Dunstschwaden, so daß es aussah, als schwebten die Berggipfel wie Eisberge über einem Polarmeer.

      Die Morgensonne brachte den Tau auf den Wiesen zum Glänzen, die Birken trugen zartgrüne Schleier, und die alten Apfelbäume am Rand des Koppelpfades hatten dicke Knospen. Ein Habicht oder Falke kreiste über der Schwammerlwiese, unserer Übungsweide.

      Ein paar Minuten lang beobachtete ich Jonas und Elga, die wegen ihres Milchmauls nur „Millirahmstrudel“ genannt wurde, wie sie über die Wiese sprangen, ungelenk mit ihren langen, knochigen Beinen und den großen Köpfen, struppig wie Borstentiere und rührend in ihrer Unschuld und Lebenslust. Solche Bilder brachten unsere Reitschüler immer zum Lachen, doch ich konnte den Spielen junger Pferde nie zusehen, ohne an Nell zu denken, die einst ebenso glückselig auf Dreililiens Wiesen herumgesprungen war und so früh hatte sterben müssen, weil sie Mondblindheit bekam.

      Und während ich den Pfad zwischen den Koppeln hinaufging, fand ich es schön und schmerzlich zugleich, daß wir Menschen ein Wesen niemals vergessen können, das wir einmal geliebt haben; daß wir ihm also ewig treu sind, auch wenn es lange tot ist.

      Ich werde Nell Wiedersehen, dachte ich; irgendwo wartet sie auf mich, genau wie meine Mutter. Und wenn ich sterbe, werden sie mir entgegenkommen – und vielleicht auch Helge. Daran glaubte ich, obwohl ich bisher mit keinem außer mit Jörn darüber gesprochen hatte.

      Am Tor kam mir Maja auf dem Fahrrad entgegen. „Ich muß losdüsen“, sagte sie, „sonst erwisch ich den Bus nach Rosenheim nicht mehr. Servus, mach’s gut!“

      Jörn war beim Ausmisten. Ich griff nach einer Mistgabel und half mit; es war wie immer, so, als wären wir nie fortgewesen. Nach einer Weile kamen Mikesch und Matty zurück. Sie hatten den Rest der Herde auf die Südweide und die Waldkoppel gebracht.

      „Mit dem Hafer schaut’ s nicht mehr allzu üppig aus“, sagte Mikesch. „Ich fahre in zwei Stunden nach Frasdorf; die Säcke sind schon bestellt. Kommt einer von euch mit und hilft mir?“

      „Ich“, sagte Jörn. „Matty muß ja fürs Abi büffeln!“

      Von diesem Augenblick an war es vorbei mit meiner unbeschwerten Stimmung. Während der Osterferien hatte ich es einigermaßen erfolgreich geschafft, den Gedanken an die bevorstehende „Katastrophe“ zu verdrängen und die Bücher, die ich mit in die Toskana genommen hatte, von einer Ecke in die andere zu schieben. Doch jetzt rückte das Verhängnis bedrohlich und unausweichlich näher, denn in drei Tagen begann die Schule wieder.

      „Ich muß es wenigstens versuchen“, sagte ich später zu Jörn und Matty, als wir auf dem Dörrboden miteinander frühstückten.

      „Herrje!“ sagte Jörn und sah mich an. „Das klingt ja, als würdest du dich zwingen, zu deiner eigenen Hinrichtung zu gehen. Ich dachte, du hast dich entschlossen, das Abi überhaupt nicht zu machen?“

      „Was ich für Blödsinn halte, wenn man schon die jahrelange Büffelei durchgestanden hat; und schließlich hast du in der Kollegstufe die Mindestpunktzahl erreicht“, warf Matty mit vollen Backen ein.

      Ich legte mein Butterbrot hin. Es schmeckte mir plötzlich nicht mehr. „Ja, mit knapper Not“, murmelte ich. „Mit Hängen und Würgen.“

      Matty beachtete mich nicht. „Wenn du nach Weihenstephan auf die Fachhochschule willst, brauchst du das Abi schließlich!“

      „Das weiß ich alles selbst“, sagte ich. „Aber ich glaube, ich mag da nicht hin. Wie soll ich jeden Tag von hier nach Weihenstephan kommen, kannst du mir das mal verraten? Die Verbindungen sind miserabel, ich hab mir das angeschaut. Bus und Bahn und wieder Bus ... Ich müßte ungefähr dreimal umsteigen oder so, und zwischendurch mindestens eine Stunde warten. Das bring ich einfach nicht!“

      „Du machst eben den Führerschein und kaufst dir ein altes Auto.“ Matty tat, als wäre das die einfachste Sache von der Welt.

      „Wunderbar!“ sagte ich. „Und wer zahlt mir das alles? Mein Taschengeld brauche ich für Hazel, es reicht sowieso hinten und vorn nicht. Und du weißt ja, was ein Führerschein kostet – von den monatlichen Ausgaben für so eine Blechkiste ganz abgesehen. Außerdem ist’s ökologischer Schwachsinn, jeden Tag stundenlang mit dem Auto von einem Ort zum anderen zu rödeln.“

      „Richtig!“ sagte Jörn, der bisher stumm zugehört hatte.

      ,,Und wenn du dir irgendwo in Weihenstephan ein Zimmer nimmst? Dein Vater würde das sicher zahlen“, meinte Matty und trank seelenruhig seine Milch. „Die Wochenenden könntest du ja dann hier verbringen.“

      „Ja, vielen Dank!“ sagte ich und richtete mich auf. Langsam verlor ich die Geduld. „Die ganze Woche nicht zu Hause sein und irgendwo in einem fremden Zimmer herumhocken, und das ein paar Jahre lang! Merci dir für den konstruktiven Vorschlag!“

      Matty lachte. „Beiß mich nur nicht gleich! Ich versteh ja, daß du nicht von hier weg willst. Aber irgendeine Lösung muß man ja schließlich finden.“

      „Ich klappere in unserer Gegend alle Gärtnereien ab und mach ein Praktikum“, sagte ich. „So einfach ist das. Es muß ja nicht jeder studieren. So ehrgeizig bin ich nicht.“

      Jörn legte den Arm um meine Schulter. „Prima“, sagte er. „Und wozu brauchst du dann überhaupt das Abi?“

      Ich stieß einen tiefen Seufzer aus. Mir tat der Magen weh. „Für meinen Vater“, sagte ich.

      „Was?“ Matty starrte mich an.

      „Weil er durchdreht, wenn ich’s nicht wenigstens versuche. Ich weiß schon gar nicht, wie ich ihm beibringen soll, daß ich nicht Gartenbau studieren will, sondern ,nur‘ eine Ausbildung in einer Gärtnerei mache. Das trifft ihn voll.“

      „Du bist volljährig“, sagte Jörn. „Du kannst dich frei entscheiden.“

      „Ja, ja“, erwiderte ich ungeduldig. „Ich weiß. Aber so einfach ist das nicht. Ich kann ihn doch nicht so enttäuschen!“

      Sekundenlang herrschte Schweigen. Dann sagte Jörn: „Fragt sich bloß, was wichtiger ist – das, was man selbst für sich will, oder das, was andere für einen wollen.“

      Das war eine typische Jörn-Bemerkung. Jörn war keiner von der redseligen Sorte und hielt auch nichts davon, anderen seine Meinung aufzudrängen, doch wenn er den Mund auftat, kamen oft bemerkenswerte Sachen heraus.

      Im Kavaliershäusl lag ein Zettel für mich auf dem Küchentisch. „Bin mit Kathrinchen zum Kinderarzt gefahren“, stand da. „Kann sein, daß sie Mumps hat. Heute früh hat sie ausgesehen wie eine Kreuzung zwischen A-Hörnchen und B-Hörnchen.“

      Das war

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