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an ihn heran. Immer blauer und immer härter wurde sein Auge. Seine Gnade selbst, die über der Familie der Trottas ruhte, war eine Last aus schneidendem Eis. Und Carl Joseph fror es unter dem blauen Blick seines Kaisers.

      Daheim, er erinnerte sich, wenn er zu den Ferien heimgekehrt war und am Sonntag, vor dem Mittagessen, der Kapellmeister Nechwal seine Militärkapelle im vorgeschriebenen Rund aufgestellt hatte, war man bereit gewesen, für diesen Kaiser in einem wonnigen, warmen und süßen Tod dahinzusterben. Lebendig war das Vermächtnis des Großvaters gewesen, dem Kaiser das Leben zu retten. Und ohne Unterbrechung rettete man, wenn man ein Trotta war, dem Kaiser das Leben.

      Nun war man kaum vier Monate im Regiment. Auf einmal war es, als bedurfte der Kaiser, unnahbar geborgen in seinem kristallenen Panzer, keiner Trottas mehr. Man hatte zu lange Frieden. Der Tod lag weit vor einem jungen Leutnant der Kavallerie, wie die letzte Stufe des vorschriftsmäßigen Avancements. Man wird einmal Oberst werden und hierauf sterben. Indessen ging man jeden Abend ins Kasino, man sah das Bild des Kaisers. Je länger der Leutnant Trotta es betrachtete, desto ferner wurde ihm der Kaiser.

      «Da schau her!» flötete die Stimme Leutnant Kindermanns: «Der Trotta hat sich in den Alten verschaut!»

      Carl Joseph lächelte Kindermann zu. Der Fähnrich Bärenstein hatte längst eine Partie Domino begonnen und war im Begriff, zu verlieren. Er hielt es für eine Anstandspflicht, zu verlieren, wenn er mit Aktiven spielte. Im Zivil gewann er immer. Er war sogar unter Rechtsanwälten ein gefürchteter Spieler. Wenn er aber zu den jährlichen Übungen einrückte, schaltete er seine Überlegung aus und bemühte sich, töricht zu werden. «Der verliert unaufhörlich», sagte Kindermann zu Trotta. Der Leutnant Kindermann war überzeugt, daß die «Zivilisten» minderwertige Wesen waren. Nicht einmal im Domino konnten sie gewinnen.

      Der Oberst saß immer noch in seiner Ecke mit dem Rittmeister Taittinger. Einige Herren wandelten gelangweilt zwischen den Tischchen. Sie wagten nicht, das Kasino zu verlassen, solange der Oberst spielte. Die sanfte Pendeluhr weinte jede Viertelstunde sehr deutlich und langsam, ihre wehmütige Melodie unterbrach das Klappern der Dominosteine und der Schachfiguren. Manchmal schlug eine der Ordonnanzen die Hacken zusammen, lief in die Küche und kehrte mit einem Gläschen Kognak auf einer lächerlich großen Platte wieder. Manchmal lachte einer schallend auf, und sah man in die Richtung, aus der das Gelächter kam, so erblickte man vier zusammengesteckte Köpfe und begriff, daß es sich um Witze handelte. Diese Witze! Diese Anekdoten, bei denen alle andern sofort erkannten, ob man aus Gefälligkeit mitlachte oder aus Verständnis! Sie schieden die Heimischen von den Fremden. Wer sie nicht verstand, gehörte nicht zu den Bodenständigen. Nein! nicht zu ihnen gehörte Carl Joseph!

      Er war im Begriff, eine neue Partie zu Dritt vorzuschlagen, als die Tür geöffnet wurde, und die Ordonnanz mit einem auffällig lauten Knall der Stiefelhacken salutierte. Es wurde im Augenblick still. Der Oberst Kovacs sprang von seinem Sitz auf und sah nach der Tür. Kein anderer War eingetreten als der Regimentsarzt Demant. Er selbst erschrak über die Aufregung, die er verursacht hatte. Er blieb an der Tür stehn und lächelte. Die Ordonnanz an seiner Seite stand immer noch stramm und störte ihn sichtlich. Er winkte mit der Hand. Aber der Bursche merkte es nicht. Die starken Brillengläser des Doktors waren leicht überhaucht von dem herbstlichen Abendnebel draußen. Er war gewohnt, die Brille abzunehmen, um sie zu putzen, wenn er aus der kalten Luft in die Wärme trat. Hier aber wagte er es nicht. Es dauerte eine Weile, ehe er die Schwelle verließ. «Ah, schau her, da ist ja der Doktor!» rief der Oberst. Er schrie aus Leibeskräften, als gälte es, sich im Getümmel eines Volksfestes verständlich zu machen. Er glaubte, der Gute, daß Kurzsichtige auch taub seien und daß ihre Brillen klarer würden, wenn ihre Ohren besser hörten. Die Stimme des Obersten bahnte sich eine Gasse. Die Offiziere traten zurück. Die wenigen, die noch an den Tischen gesessen hatten, erhoben sich. Der Regimentsarzt setzte vorsichtig einen Fuß vor den andern, als ginge er auf Eis. Seine Brillengläser schienen allmählich klarer zu werden. Grüße kamen ihm von allen Seiten entgegen. Nicht ohne Mühe erkannte er die Herren wieder. Er beugte sich vor, um in den Gesichtern zu lesen, wie man in Büchern studiert. Vor dem Obersten Kovacs blieb er endlich stehen, mit gereckter Brust. Es sah stark übertrieben aus, wie er so den ewig vorgeneigten Kopf am dünnen Hals zurückwarf und seine abschüssigen, schmalen Schultern mit einem Ruck zu heben suchte. Man hatte ihn, während seines langen Krankheitsurlaubs, beinahe vergessen; ihn und sein unmilitärisches Wesen. Man betrachtete ihn jetzt, nicht ohne Überraschung. Der Oberst beeilte sich, dem vorschriftsmäßigen Ritus der Begrüßung ein Ende zu machen. Er schrie, daß die Gläser zitterten: «Gut schaut er aus, der Doktor!» als wollte er es der ganzen Armee mitteilen. Er schlug die Hand auf die Schulter Demants, wie um sie wieder in ihre natürliche Lage zu bringen. Sein Herz war allerdings dem Regimentsarzt zugetan. Aber der Kerl war unmilitärisch, Sapperlot, Donnerwetter! Wenn er nur ein bißchen militärischer wäre, brauchte man sich nicht immer so anzustrengen, um ihm gut zu sein. Man hätte auch, zum Teufel, einen anderen Doktor schicken können, grad in sein Regiment! Und diese ewigen Schlachten, die das Gemüt des Obersten seinem soldatischen Geschmack zu liefern hatte, wegen dieses verfluchten netten Kerls, konnten schon einen alten Soldaten aufreiben. «An diesem Doktor gehe ich noch zugrunde!» dachte der Oberst, wenn er den Regimentsarzt zu Pferde sah. Und eines Tages hatte er ihn gebeten, lieber nicht durch die Stadt zu reiten.

      Man muß ihm etwas Nettes sagen, dachte er aufgeregt. «Das Schnitzel war heute ausgezeichnet!» fiel ihm in der Eile ein. Und er sagte es. Der Doktor lächelte. «Er lächelt ganz zivilistisch, der Kerl!» dachte der Oberst. Und plötzlich entsann er sich, daß da noch einer war, der den Doktor nicht kannte. Der Trotta natürlich! Er war eingerückt, als der Doktor in Urlaub gegangen war. Der Oberst lärmte: «Unser Jüngster, der Trotta! Ihr kennt euch noch nicht!» Und Carl Joseph trat vor den Regimentsarzt.

      «Enkel des Helden von Solferino?» fragte Doktor Demant.

      Man hätte ihm diese genaue Kenntnis der militärischen Geschichte nicht zugetraut.

      «Alles weiß er, unser Doktor!» rief der Oberst. «Er ist ein Bücherwurm!»

      Und zum erstenmal in seinem Leben gefiel ihm das verdächtige Wort Bücherwurm so gut, daß er noch einmal wiederholte: «Ein Bücherwurm!» in dem liebkosenden Ton, in dem er sonst nur zu sagen pflegte: «ein Ulane!»

      Man setzte sich wieder, und der Abend nahm den üblichen Verlauf. «Ihr Großvater», sagte der Regimentsarzt, «war einer der merkwürdigsten Menschen der Armee. Haben Sie ihn noch gekannt?» «Ich habe ihn nicht mehr gekannt», antwortete Carl Joseph. «Sein Bild hängt bei uns zu Hause im Herrenzimmer. Wie ich klein war, hab’ ich es oft betrachtet. Und sein Diener, der Jacques, ist noch bei uns.» «Was ist das für ein Bild?» fragte der Regimentsarzt. «Ein Jugendfreund hat es gemalt!» sagte Carl Joseph. «Es ist ein merkwürdiges Bild. Es hängt ziemlich hoch. Als ich klein war, mußte ich auf einen Stuhl steigen. Da hab’ ich es betrachtet.»

      Sie waren ein paar Augenblicke still. Dann sagte der Doktor: «Mein Großvater war ein Schankwirt; ein jüdischer Schankwirt in Galizien. Galizien, kennen Sie das?» (Ein Jude war der Doktor Demant. Alle Anekdoten enthielten jüdische Regimentsärzte. Zwei Juden hatte es auch in der Kadettenschule gegeben. Sie waren dann zur Infanterie gekommen.)

      «Zu Resi, zu Tante Resi!» rief plötzlich jemand.

      Und alle wiederholten: «Zu Resi. Man geht zur Resi!»

      «Zur Tante Resi!»

      Nichts hätte Carl Joseph stärker erschrecken können als dieser Ruf. Seit Wochen erwartete er ihn voller Angst. Vom letzten Besuch im Bordell der Frau Horwath behielt er noch alles in deutlicher Erinnerung: Alles! Den Sekt, der aus Kampfer und Limonade bestand, den weichen fleischigen Teig der Mädchen, das schmetternde Rot und das irrsinnige Gelb der Tapeten, im Korridor den Geruch von Katzen, Mäusen und Maiglöckchen und das Sodbrennen zwölf Stunden später. Er war kaum eine Woche eingerückt, und es war sein erster Besuch in einem Bordell gewesen. «Liebesmanöver!» sagte Taittinger. Er war der Anführer. Es gehörte zu den Obliegenheiten eines Offiziers, der die Messe seit undenklichen Zeiten verwaltete. Bleich und hager, den Korb des Säbels im Arm, mit langen, dünnen und sanft klirrenden Schritten ging er im Salon der Frau Horwath von einem Tisch zum andern, ein schleichender Mahner zu saurer Freude. Kindermann war der Ohnmacht

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