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Radetzkymarsch. Йозеф Рот
Читать онлайн.Название Radetzkymarsch
Год выпуска 0
isbn 9788726539332
Автор произведения Йозеф Рот
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
«Zahlen!» ruft der Bezirkshauptmann und entfernt seine Hand. «Sagen Sie dem Fräulein», bemerkte er zum Kellner, «daß wir nur Hennessy trinken!»
In einer schnurgeraden Diagonale gehn sie durch das Lokal zur Tür, der Vater und hinter ihm der Sohn.
Es tropft nur noch sacht und singend von den Bäumen, während sie langsam durch den feuchten Garten nach Hause gehn. Aus dem Tor der Bezirkshauptmannschaft tritt der Wachtmeister Slama im Helm, mit Gewehr und aufgepflanztem Bajonett und Dienstbuch unter dem Arm. «Grüß Gott, lieber Slama!» sagt der alte Herr von Trotta. «Nichts Neues, was?»
«Nichts Neues!» wiederholt der Wachtmeister.
5
Im Norden der Stadt lag die Kaserne. Sie schloß die breite und wohlgepflegte Landstraße ab, die hinter dem roten Ziegelbau ein neues Leben begann und weit ins blaue Land hineinführte. Es schien, als wäre die Kaserne als ein Zeichen der habsburgischen Macht von der Kaiser- und Königlichen Armee in die slawische Provinz hineingestellt worden. Der uralten Landstraße selbst, die von der jahrhundertelangen Wanderung slawischer Geschlechter so breit und geräumig geworden war, verstellte sie den Weg. Die Landstraße mußte ihr ausweichen. Sie machte einen Bogen um die Kaserne: Stand man am äußersten Nordrand der Stadt, am Ende der Straße, dort, wo die Häuser immer kleiner wurden und schließlich zu dörflichen Hütten, so konnte man an klaren Tagen in der Ferne das breite, gewölbte, schwarzgelbe Tor der Kaserne erblicken, das wie ein mächtiges habsburgisches Schild der Stadt entgegengehalten wurde, eine Drohung, ein Schutz und beides zugleich. Das Regiment war in Mähren gelegen. Aber seine Mannschaft bestand nicht aus Tschechen, wie man hätte glauben mögen, sondern aus Ukrainern und Rumänen.
Zwei Mal in der Woche fanden die militärischen Übungen im südlichen Gelände statt. Zwei Mal in der Woche ritt das Regiment durch die Straßen der kleinen Stadt. Der helle und schmetternde Ton der Trompeten unterbrach in regelmäßigen Abständen das regelmäßige Klappern der Pferdehufe, und die roten Hosen der berittenen Männer auf den glänzenden braunen Leibern der Rösser erfüllten das Städtchen mit blutiger Pracht. An den Straßenrändern blieben die Bürger stehn. Die Kaufleute verließen ihre Läden, die müßigen Besucher der Kaffeehäuser ihre Tische, die städtischen Polizisten ihre gewohnten Posten und die Bauern, die mit frischem Gemüse aus den Dörfern auf den Marktplatz gekommen waren, ihre Pferde und Wagen. Nur die Kutscher auf den wenigen Fiakern, die ihren Standplatz in der Nähe des städtischen Parkes hatten, blieben unbeweglich auf den Böcken sitzen. Von oben her ühersahen sie das militärische Schauspiel noch besser als die am Straßenrand Stehenden. Und die alten Gäule schienen mit dumpfem Gleichmut die prachtvolle Ankunft ihrer jüngeren und gesünderen Genossen zu begrüßen. Die Rösser der Kavalleristen waren weit entfernte Verwandte der trüben Pferde, die seit fünfzehn Jahren nur Droschken zum Bahnhof führten und zurück.
Carl Joseph, Freiherrn von Trotta, blieben die Tiere gleichgültig. Manchmal glaubte er, in sich das Blut seiner Ahnen zu fühlen: sie waren keine Ritter gewesen. Die kämmende Egge in den harten Händen, hatten sie Schritt vor Schritt auf die Erde gesetzt. Sie stießen den furchenden Pflug in die saftigen Schollen des Ackers und gingen mit geknickten Knien hinter dem wuchtigen Zweigespann der Ochsen einher. Mit Weidenruten trieben sie die Tiere an, nicht mit Sporen und Peitsche. Die geschliffene Sense schwangen sie im hocherhobenen Arm wie einen Blitz, und sie mähten den Segen, den sie selbst gesät hatten. Der Vater des Großvaters noch war ein Bauer gewesen. Sipolje war der Name des Dorfes; aus dem sie stammten. Sipolje: das Wort hatte eine alte Bedeutung. Auch den heutigen Slowenen war es kaum mehr bekannt. Carl Joseph aber glaubte, es zu kennen, das Dorf. Er sah es, wenn er an das Porträt seines Großvaters dachte, das verdämmernd unter dem Suffit des Herrenzimmers hing. Eingebettet lag es zwischen unbekannten Bergen, unter dem goldenen Glanz einer unbekannten Sonne, mit armseligen Hütten aus Lehm und Stroh. Ein schönes Dorf, ein gutes Dorf! Man hätte seine Offizierskarriere darum gegeben!
Ach, man war kein Bauer, man war Baron und Leutnant bei den Ulanen! Man hatte kein eigenes Zimmer in der Stadt wie die andern. Carl Joseph wohnte in der Kaserne. Das Fenster seines Zimmers führte in den Hof. Gegenüber lagen die Mannschaftsstuben. Immer, wenn er in die Kaserne am Nachmittag heimkehrte und das große doppelflügelige Tor sich hinter ihm schloß, hatte er die Empfindung, gefangen zu sein; niemals mehr würde es sich vor ihm auftun. Seine Sporen klirrten frostig auf der kahlen, steinernen Stiege, und der Tritt seiner Stiefel widerhallte auf dem hölzernen, braunen, geteerten Boden des Korridors. Die weißen gekalkten Wände hielten das Licht des schwindenden Tages noch ein wenig gefangen und strahlten es jetzt wider, als achteten sie in ihrer kahlen Sparsamkeit noch darauf, daß die ärarischen Petroleumlampen in den Winkeln nicht früher entzündet würden, als bis der Abend vollständig eingebrochen wäre; als hätten sie zu rechter Zeit den Tag gesammelt, um ihn in der Not der Dunkelheit attszugeben. Er machte kein Licht, Carl Joseph. Die Stirn an das Fenster gepreßt, das ihn von der Finsternis scheinbar trennte und in Wirklichkeit wie die vertraute kühle Außenwand der Finsternis selber war, sah er in die gelblich beleuchtete Traulichkeit der Mannschaftsstuben. Er hätte gern mit einem von den Männern getauscht. Dort saßen sie, halb ausgezogen, in den groben, gelblichen, ärarischen Hemden, ließen die hackten Füße über die Ränder ihrer Schlaffächer baumeln, sangen, sprachen und spielten Mundharmonika. Um diese Tageszeit — der Herbst war schon lange vorgerückt — eine Stunde nach dem Befehl, anderthalb Stunden vor dem Zapfenstreich, glich die ganze Kaserne einem riesengroßen Schiff. Und es war Carl Joseph auch, als schaukelte sie leise und als bewegten sich die kümmerlichen gelben Petroleumlampen mit den großen weißen Schirmen im gleichmäßigen Rhythmus irgendwelcher Wellen eines unbekannten Ozeans. Die Leute sangen Lieder in einer unbekannten Sprache, in einer slawischen Sprache. Die alten Bauern von Sipolje hätten sie wohl verstanden! Der Großvater Carl Josephs noch hätte sie vielleicht verstanden! Sein rätselhaftes Bildnis verdämmerte unter dem Suffit des Herrenzimmers. An dieses Bildnis klammerte sich die Erinnerung Carl Josephs, als an das einzige und letzte Zeichen, das ihm die unbekannte lange Reihe seiner Vorfahren vermacht hatte. Ihr Nachkomme war er. Seitdem er zum Regiment eingerückt war, fühlte er sich als der Enkel seines Großvaters, nicht als der Sohn seines Vaters; ja, der Sohn seines merkwürdigen Großvaters war er. Ohne Unterlaß bliesen sie drüben die Mundharmonika. Er konnte deutlich die Bewegungen der groben braunen Hände sehen, die das blecherne Instrument vor den roten Mündern hin und zurück schoben, und hie und da das Aufblinken des Metalls. Die große Wehmut dieser Instrumente strömte durch die geschlossenen Fenster in das schwarze Rechteck des Hofes und erfüllte die Finsternis mit einer lichten Ahnung von Heimat und Weib und Kind und Hof. Daheim wohnten sie in niedrigen Hütten, befruchteten nächtens die Frauen und tagsüber die Felder! Weiß und hoch lag winters der Schnee um ihre Hütten. Gelb und hoch wogte im Sommer das Korn um ihre Hüften, Bauern waren sie, Bauern! Nicht anders hatte das Geschlecht der Trottas gelebt! Nicht anders! . . .
Weit vorgeschritten war schon der Herbst. Wenn man am Morgen autsaß, tauchte die Sonne wie eine blutrote Orange am Ostrand des Himmels auf. Und wenn die Gelenksübungen auf der Wasserwiese begannen, in der breiten grünlichen Lichtung, umrandet von schwärzlichen Tannen, erhoben sich schwerfällig die silbrigen Nebel, auseinandergerissen von den heftigen, regelmäßigen Bewegungen der dunkelblauen Uniformen. Blaß und schwermütig stieg dann die Sonne empor. Zwischen das schwarze Geäst brach ihr mattes Silber, kühl und fremd. Der frostige Schauer strich, wie ein grausamer Kamm, über die rostbraunen Felle der Rösser; und ihr Wiehern kam aus der nachbarlichen Lichtung, ein schmerzlicher Ruf nach Heimat und Stall. Man machte «Übungen mit dem Karabiner». Carl Joseph konnte kaum die Rückkehr in die Kaserne abwarten. Er fürchtete die Viertelstunde «Rast», die gegen zehn Uhr pünktlich eintrat, und das Gespräch mit den Kameraden, die sich manchmal in der nahen Wirtschaft zusammenfanden, um ein Bier zu trinken und den Obersten Kovacs zu erwarten. Noch peinlicher war der Abend im Kasino. Bald brach er an. Es war Pflicht, zu erscheinen. Schon näherte sich die Stunde des Zapfenstreiches. Schon durcheilten die dunkelblauen