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Die phantastische Welt der Literatur: 90+ Romane, Märchen & Zauberhafte Geschichten. Gustav Weil
Читать онлайн.Название Die phantastische Welt der Literatur: 90+ Romane, Märchen & Zauberhafte Geschichten
Год выпуска 0
isbn 9788027226276
Автор произведения Gustav Weil
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Sie nahmen also die Abrede, daß Merlin sich den zwölften Tag im Lager Pendragons und Uters einfinden sollte, und trennten sich darauf. Merlin ging wieder in den Wald zum Meister Blasius und ließ ihn alle diese Begebenheiten aufschreiben, so wie wir es hier in seinem Buch finden; Pendragon aber ging zurück ins Lager zu seinem Bruder Uter. Die beiden Brüder freuten sich sehr, als sie einander wiedersahen. Pendragon nahm seinen Bruder sogleich besonders und erzählte ihm mit den kleinsten Umständen, wie er den Hangius erschlagen habe, nebst noch vielen andern Dingen, worüber Uter sehr erstaunte. »Niemand«, sagte er, »kann diesen ganzen Hergang so wissen als Gott, und ein wackrer alter Mann, der mir insgeheim sagte, daß ich vor Hangius auf meiner Hut sein sollte, weil er mich in der Nacht erschlagen wolle. Um Gottes willen also, wer kann diese Dinge Dir erzählt haben?« – »Du siehst also, mein Bruder«, antwortete der König, »daß ich es sehr wohl weiß. Wer aber war der Mann, der Dich warnte? denn hätte er Dich nicht gewarnt, so wärst Du wohl, denke ich, jetzt vom Hangius erschlagen.« – »Bei meinem Leben«, sagte Uter, »ich kenne ihn nicht, hatte ihn auch nie vorher gesehen; aber er schien mir ein rechtschaffener ansehnlicher Mann, darum traute ich seinen Worten.« – »Würdest Du wohl«, fragte Pendragon, »den Mann wiedererkennen, wenn Du ihn vor Dir sähest?« – »Gewiß denke ich ihn wiederzuerkennen.« – »Nach elf Tagen wird er hier bei Dir sein, entferne Dich also zu dieser Zeit nicht von mir, damit auch ich ihn sehe und kennen lerne.« Uter versprach, den Tag, an dem jener erscheinen wollte, bei ihm zu erwarten. Merlin wußte sehr genau, was die Brüder zusammen verabredet hatten, und wie Pendragon ihn auf alle Weise auf die Probe stellen wollte; sagte auch alles dem Meister Blasius wieder und ließ es ihn aufschreiben. »Was werdet Ihr nun mit ihnen machen?« fragte Meister Blasius. »Pendragon und sein Bruder Uter«, antwortete Merlin, »sind schöne liebenswerte edle Fürsten; ich will ihnen mit Liebe und Treue, mit Wort und Tat dienstbar zugetan sein; will ihnen auch gar seltnen Spaß vormachen, daß sie fröhlich darüber lachen sollen. Uter liebt eine schöne Dame von hohem Adel, ich will die Gestalt des kleinen Pagen dieser Dame annehmen und ihm einen Brief von ihr bringen; er wird mir also glauben, was ich ihm sage, und da ich nun alles, was er mit dieser Dame insgeheim gesprochen hat, sehr wohl weiß, will ich es ihm erzählen, worüber er sehr erstaunt sein wird; und das soll grade auf den elften Tag geschehen, an welchem er mich erwartet.« Er nahm Abschied vom Meister Blasius und kam an dem bestimmten Tag in dem Lager des Königs an. In Gestalt des kleinen Pagen wurde er vor Uter gebracht, der sich sehr freute, eine Botschaft von seiner Dame zu erhalten. Er nahm den Brief, welchen der Page ihm in ihrem Namen überreichte, erbrach ihn mit vor Freude bebendem Herzen und fand die allerlieblichsten Worte darin, auch stand da, daß er dem Pagen alles glauben dürfe, was er ihm sage. Merlin gab ihm darauf die fröhlichsten Nachrichten, erzählte ihm Dinge, von welchen er wohl wußte, daß sie dem Uter viel Vergnügen machen würden, und unterhielt ihn mit solch angenehmen Dingen bis gegen den Abend. Uter freute sich über die Maßen, und beschenkte den Pagen reichlich. Pendragon, der an diesem Tage Merlins Erscheinen erwartete, ward sehr bestürzt, als es Abend wurde und er immer nicht kam. Auch Uter erwartete ihn, und während er mit dem Pagen sich unterhielt, zog dieser sich einen Augenblick zurück, nahm die Gestalt des alten Mannes an, so wie er ihm zum erstenmal erschienen, und zeigte sich ihm so in dem Schloßhof, wo er zuvor mit ihm auf und ab gegangen war. Uter erkannte ihn auch sogleich, ging ihm entgegen und sagte: »Freund, ich bitte Dich, warte hier ein wenig auf mich, bis ich mit meinem Bruder Pendragon gesprochen habe.« Jener willigte ein, auf ihn zu warten, und Uter ging zum König. »Bruder«, rief er, »der Mann ist angekommen.« – »Weißt Du gewiß«, fragte Pendragon, »daß es derselbe ist, der Dich vor Hangius warnte?« – »Ja wohl er ist es, ich kenne ihn genau.« – »So geh doch noch einmal zu ihm hinaus und prüfe ihn, ob es derselbe ist, und wenn Du dessen ganz gewiß bist, so komm und rufe mich.«
Uter gehorchte seinem Bruder und ging wieder hinaus in den Hof, wo er den Mann noch so fand, wie er ihn zuvor verließ. »Ihr seid es«, sagte er, »der mich vor Hangius warnte, wohl kenne ich Euch, und Ihr seid mir sehr willkommen. Wundern muß ich mich aber, daß mein Bruder Pendragon alles genau weiß und mir erzählte, was Ihr mir damals sagtet, und auch alles genau wußte, was ich tat, als Ihr nicht mehr bei mir wart; so wußte er auch, daß Ihr heute herkommen würdet; ich muß mich darüber verwundern, wer ihm alles das mag offenbart haben.« – »Geht, holt Euren Bruder«, sagte Merlin, »er soll uns sagen, durch wen er es erfahren.« Uter ging hinein zu Pendragon und sprach: »Jetzt komm, mein Bruder, denn es ist wirklich derselbe Mann.« Pendragon, der wohl wußte, daß es Merlin sei, und daß er seinem Bruder noch verschiedene artige Streiche spielen würde, befahl den Torhütern, keinen Menschen weder hinaus noch herein zu lassen, und als sie beide sich dahin begaben, wo Uter den Mann verließ, fanden sie niemand als den kleinen Pagen. »Nun, Bruder«, fragte Pendragon, »wo ist der Mann?« und Uter stand bestürzt und wußte nichts zu sagen, worüber Pendragon sich sehr ergötzte, weil er wohl merkte, daß Merlin nur scherzen wollte. Er trieb dieses Spiel auch noch eine Zeit lang, bis er sich endlich dem Uter und Pendragon in seiner wahren Gestalt zeigte und ihnen alles erklärte, worüber sie beide noch viel darüber scherzten und fröhlich waren.
»Sieh, mein Bruder«, sagte Pendragon, »er ist es, der Dich vor Hangius beschützte; er ist es, den ich zu suchen ausging; er ist es, der Macht hat, alles zu wissen was geschieht und was gesagt wird, so wohl in der Gegenwart wie auch in der Zukunft. Bitten wir ihn also, daß er stets mit uns sei und uns mit seinem Rat und seiner Hilfe beistehe, damit wir nichts ohne ihn unternehmen und er uns allenthalben leite.« Beide Brüder baten ihn also, daß er bei ihnen bleiben möchte, indem sie alles mit ihm beraten, und nur unter seiner Leitung regieren wollten. »Gern«, antwortete Merlin, »will ich Euch raten, nur müßt Ihr an mich glauben«, welches auch beide Brüder zu tun versprachen, weil sie noch alles wahr gefunden, was er ihnen gesagt; beide wiederholten auch nochmals ihre Bitten, daß er nicht von ihnen gehen möchte.
»Gnädige Herren«, erwiderte Merlin, »Ihr sollt allein um mich wissen, und Ihr besonders sollt mein Wesen stets erkennen; jetzt aber muß ich notwendig mich nach Großbritannien verfügen, ich bin dazu genötigt und gezwungen. Aber bei Gott schwöre ich Euch, daß, wo ich auch sein möge, ich immer Eure Angelegenheiten zuerst und ganz vorzüglich bedenken und besorgen werde. Laßt es Euch nicht verdrießen und kränkt Euch nicht, wenn ich von Euch gehe, denn ich kann ja zu jeder Stunde des Tages bei Euch sein, wenn es nötig ist, und wo Ihr in Verlegenheit oder in Gefahr seid, werdet Ihr mich bei Euch sehen, meine Hilfe und mein Rat soll Euch niemals fehlen, sobald Ihr dessen benötigt. Wenn ich jetzt wieder zu Euch komme, werden Eure Leute mich bei Euch melden, tut vor ihnen, als sähet Ihr mich zum erstenmal und freut Euch meiner Gegenwart, als käme sie Euch ganz unerwartet. Sie werden Euch alsdann raten, mich um alle Dinge zu fragen, und werden mich sehr rühmen; alsdann könnt Ihr in völliger Sicherheit meinen Rat und meinen Vorschlägen folgen, so als ob es die Meinung der anderen wäre.«
XVI. Wie durch Merlins Rat das Land von den Heiden befreit wurde