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überraschte. Ein Mann stürzte mir aus dem Badezimmer entgegen, packte mich und stach mit einem Dolch zu. Eine gewöhnliche Klinge wäre an meinem steinernen Körper abgeprallt oder sogar zerbrochen, aber die Magie dieser Klinge öffnete unterhalb der linken Schulter einen Weg in mein Inneres.

      Vom Schmerz gedrängt sprang ich zurück und wäre beinahe die Treppe nach unten gestürzt. Der magische Dolch wies darauf hin, dass mein Angreifer, ein blasser Mann, den ich auf kaum älter als dreißig schätzte, auf eine magische Kreatur gewartet hatte. Seine verwirrte Miene ließ mich jedoch vermuten, dass er noch nie ein Wesen wie mich gesehen hatte. Hätte ich das Licht im Schlafzimmer ausgeschaltet oder auch nur die Tür hinter mir geschlossen, hätte er mich nun nicht im Schein, der in den Flur fiel, sehen können.

      Die Verwirrung verschwand aus dem Gesicht meines Angreifers, und er griff mich erneut mit seinem Dolch an. Ich wich zur Seite aus und riss den Dolch, den ich in Semas Zimmer gefunden hatte, quer durch die Luft.

      Mit einem Schrei sprang der Fremde zurück zur Badezimmertür und hielt die freie Hand auf die Hüfte gepresst. Ich wollte die Atempause nutzen, um aufzustehen, doch er trat mir den Arm weg, auf den ich mich stützte. Und wenngleich es meinem Gegenüber so vorkommen musste, als hätte er gegen eine Steinsäule getreten, verlor ich den Halt und stürzte wieder zu Boden.

      Der Schmerz schien meinem Widersacher Kräfte zu verleihen, und ich fragte mich, ob er wirklich ein Mensch war. Er trat mir den Dolch aus der Hand, und mit weit aufgerissenen Augen holte er aus, um mir mit seiner Klinge eine weitere Wunde zu bescheren.

      Ich war bereit, mich rückwärts die Treppe hinunterzustürzen. Es würde weh tun, aber brechen würde ich mir nichts. Da knarzte es erneut oben auf der Treppe, und der Mann verharrte – den Dolch erhoben, mit Hass in der Miene und Angst in den Augen. Mit einem schlürfenden Geräusch verwandelte er sich. Sein Gesicht, eben noch blass, wurde nun grau und hob sich nicht mehr von der Farbe seiner Jacke ab. Alles war grau geworden; alles war miteinander zu einer steinernen Masse verschmolzen: das Haar, die Finger – selbst sein linker Arm war mit dem Körper verwachsen. Der Dolch aber entglitt seiner erhobenen Hand und fiel zu Boden.

      Langsame Schritte drangen auf der Treppe zu mir herab. Meine Angst schwand dahin, nur der Schmerz durch den Stich, den der nun Versteinerte mir eben noch versetzt hatte, strahlte über die Schulter in meinen Arm.

      Da war sie – Sema. Sie trug das schwarze Kleid, das ich ab und zu wechselte, wenn es zu sehr Staub ansetzte. Da war sie – meine Gorgone. Ihre Magie drängte sich mir wie ein kühler Luftschwall entgegen, in den sich der würzige Duft des Versteinerten mischte.

      Sema tauchte mit ihrem Schlangenhaupt unter dem Arm des Versteinerten weg, ging um ihn herum und lächelte mir entgegen. Ihre glänzenden Augen waren komplett schwarz. Als Kind hatte ich mich zuerst vor dieser Gestalt gefürchtet – besonders vor den einundzwanzig langen Schlangen, von denen jede ein eigenes Leben zu haben schien und die auch nun die Umgebung musterten und leise zischelten – waldfarbene Schlangen mit silbernen Augen.

      Sema reichte mir die Hand, wie damals, als meine Eltern tot waren, und sie mich vor den Söhnen des Perseus in Sicherheit brachte. Sie hatte mir geholfen, und dann hatte ich ihr geholfen.

      »Elena«, sagte sie mit ihrer hauchenden Stimme, nach der ich mich jahrzehntelang gesehnt hatte.

      Ich fasste Semas Hand. Sie war kühl. »Ich bin es«, sagte ich leise. »Und ich habe dich vermisst.«

      »Ich dich auch.« Sie atmete tief ein und weit aus. Nach einem Blinzeln strich sie mir über die Wange und verwandelte sich vor meinen Augen in eine Menschengestalt zurück – in die, als die ich sie kennengelernt hatte. Die graue Haut wurde braun, aus Rehaugen wurden braune Menschenaugen, und aus Schlangen wurde langes Lockenhaar. Sie war eine Schwarze Frau – Schwarz wie ich und Schwarz wie meine Eltern. Unser Schwarzsein hatte uns zusammengebracht. Sie war mitten im Bürgerkrieg erwacht, und ohne meine Eltern, die miteinander aus der Sklaverei geflohen waren und mit mir der anschließenden Armut entkommen wollten, wäre sie verloren gewesen. So groß Semas Macht war, so hilflos hatte sie damals der jahrhundertelange Schlaf gemacht.

      Sie hatte sich mir auch in anderen Gestalten gezeigt, aber mit dieser Frau, die nun wieder vor mir stand, hatte ich gelebt. Sie hatte ich geliebt und liebte sie noch immer.

      »Ich spüre meine Schwestern«, sagte sie. »Einige sind tot; einige sind erwacht. Die Zeit der Entscheidung ist nicht mehr fern. Und ich bin froh, dass du es bist, die mir geblieben ist.«

      Sie fuhr mir durchs Haar. Nur sie durfte das. »Du trägst es wieder offen.«

      »Das fällt heute weit weniger auf als früher«, sagte ich.

      Ein Klingelton erklang. Sema stutzte. Ich aber ging ins Schlafzimmer und erblickte das Smartphone, das zwischen den Taschen lag. Auf dem Display sah ich das Bild des Mannes, der mich auf dem Heimweg attackiert hatte. Als Name stand dort: »Felix«.

      »Was ist los?«, fragte Sema und strich mir von der Seite über den Rücken. »Was ist das für ein Ding? Und wer ist Felix?«

      »Wir müssen los«, erwiderte ich. Ich ging in Semas Zimmer und holte die schwarze Reisetasche heraus, in dem sich neben ein wenig Kleidung vor allem Semas Papiere und auch ein Teil meiner Unterlagen befanden. »Uns ist nicht viel geblieben«, sagte ich. »Keine Zeit für Erklärungen, kein Besitz und kaum Geld.« Ich packte die beiden magischen Dolche in die Tasche, denn ich wollte nicht, dass sie noch einmal gegen Wesen wie uns eingesetzt werden.

      Sema schob ihre Hände auf meine Schultern.

      Der Schmerz durchfuhr meine linke Körperhälfte.

      Semas Blick fiel auf das Loch in meinem Shirt. »Wir haben einander«, sagte sie und küsste mich auf den Mund. Mit dem Kuss von ihren weichen Lippen erfasste mich ein Kribbeln. Es war Magie, die meine Wunde schloss und damit den Schmerz fortwischte, als wäre er nur ein Fleck gewesen.

      »Danke«, sagte ich und atmete erleichtert auf.

      »Wie viel Zeit haben wir?«, fragte Sema.

      »Wahrscheinlich nur Minuten«, antwortete ich und verließ vor ihr das Zimmer. »Ohne Geld und ohne Kontakte werden sie uns aufspüren.«

      Wir passierten den Versteinerten im Flur, und auf der Treppe sagte Sema: »Unterm Dach habe ich noch einen zur Statue gemacht.«

      »Ums Aufräumen werden sich wohl unsere Feinde kümmern müssen«, erwiderte ich.

      »Wie in alten Zeiten«, sagte Sema und ich erinnerte mich an unsere Eskapaden in Maryland in den 1880ern, als kaum eine Woche ohne Konfrontation mit den Söhnen des Perseus vergangen war.

      Als wir unten vor der Haustür standen und ich mir meinen Rucksack aufgelastet hatte, fragte Sema leise: »Wo sind wir hier?«

      »In Dublin«, antwortete ich.

      Sema nahm die Reisetasche an sich. Wie immer wollte sie einen Teil der Last tragen. Von einer Dunkelheit umgeben, die unseren grauen Blicken nichts anhaben konnte, breitete sich das freche Lächeln auf ihrem Gesicht aus, das ich so vermisst hatte. »In Irland liegt vieles verborgen«, sagte sie. »Du erzählst mir alles über diese Zeit, und ich zeige dir alte Pfade, die gewiss kein Mensch je gefunden hat.«

      Ich fasste ihre Hand, und das erste Mal seit Jahrzehnten hatte ich das Gefühl, nicht alleine zu sein. Ich war heute Abend ein letztes Mal in dieses Haus heimgekehrt, und was nun immer auch geschehen würde, sobald wir durch diese Tür ins Freie traten: Meine Hoffnung war endlich wiedererwacht.

      n

      Annie Waye

      Ron!«, rief Christina durch die Tür der Umkleide-kabine. »Beeil dich gefälligst, ich hab Hunger.«

      Ich knöpfte schnell mein Hemd zu, schnappte mir meine Sporttasche und kam nach draußen. »Hier bin –«

      »Oh Gott«, stieß sie hervor. »Was ist das?« Sie deutete auf mein Schlüsselbein.

      Weil ich mein Hemd unsauber zugemacht hatte, war meine Haut dort deutlich

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