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die ihr Wissen und die ihnen verliehene Verantwortung von Generation zu Generation weitergaben. Diese Gemeinschaft hatte sich wie ein Schutzwall um uns geschlossen.

      Als unsere Feinde – die Söhne des Perseus – uns damals in Vancouver aufgespürt hatten und unsere Vertrauten Sema und mich – beide als scheinbare Statuen – per Frachtschiff auf Umwegen nach Europa geschickt hatten, da rechnete ich bei unserer Ankunft in Italien mit neuen Vertrauten. Aber da erwartete uns niemand. Also war es an mir, die Verantwortung zu übernehmen.

      Fast aller Beziehungen beraubt blieb mir nur das Geld. Ich zog von Stadt zu Stadt und verwischte unsere Spuren. Erst in Dublin fand ich eine echte Zuflucht. Inzwischen aber war mir kaum etwas geblieben als das schmale Haus in der Amberson Street, das mir nur noch auf dem Papier gehörte. Und der Wagen, der nicht mehr lange durchhalten würde. Dagegen standen all die Schulden, die ich jonglierte.

      Je weiter ich in dieser Nacht in die Stadt kam, um so dichter wurde der Verkehr. Nicht nur hatte Irland am Abend im Männerfußball gegen England gewonnen; die Band Seas of Hypnos hatte heute ein großes Konzert gegeben – ausgerechnet heute, da ich nach dem Angriff in der Gasse nur noch schnell nach Hause wollte.

      Ich war zwar erleichtert darüber, dass es nur einer der üblichen Straßenlurche gewesen war, der mich angegriffen hatte, aber im ersten Augenblick, noch ehe er mich zu Boden geschickt hatte, war ich vom Schlimmsten ausgegangen: dass die Söhne des Perseus uns aufgespürt hatten. Sie hätten wahrscheinlich darüber gelacht, dass ich die Einzige war, die Sema beschützte. Oft flüsterte ich ihr verzweifelt zu, dass sie aufwachen müsse, um mir dabei zu helfen, eine neue Gemeinschaft aufzubauen. Aber sie schwieg jedes Mal.

      Als ich mich im Stadtzentrum endlich aus dem triefenden Verkehr über die Talbot Street in die Amberson Street rettete, freute ich mich, dass ich diesmal einen Parkplatz kurz vor unserem Haus fand.

      Niemand war unterwegs, und obwohl auf den Hauptstraßen Autos hupten und Fans sangen, drang kaum etwas in die kleine Straße zwischen der Marlborough Street und der Gardiner Street ein. Ich liebte es hier – mitten in der Stadt und doch weitgehend vor dem Lärm und der Geschäftigkeit verborgen.

      Ich weiß noch, wie ich damals, als ich zum ersten Mal nach Dublin kam, das ganze Zentrum der Stadt zu Fuß erkundete und die Stellen sah, von denen man mir erzählt hatte – wo früher unser Untergrund gewesen war, an den heute nur noch einige tief hinabführende Einfahrten unter Gebäudekomplexen erinnerten. Wo heute Waren angeliefert wurden, hatten sich früher Alte Wesen verborgen. In geheimen Tunneln hatten sie sich unbemerkt durch die halbe Stadt bewegen können.

      Doch all das war längst vorüber. Die Polizei war dem Untergrund zu nah gekommen. So hatte sich die Gemeinschaft aufgelöst und war nach England übergesiedelt – einige Gruppen in die Midlands, die meisten aber nach London. Dublin galt daraufhin als Ort, an dem es zu gefährlich war, um sich als magisches Wesen verborgen zu halten.

      Ich war – soweit ich das sagen kann – die Erste, die in Dublin wieder Fuß fasste. Nach langem Zögern und zahlreichen Umwegen hatte es mich dorthin verschlagen. Aber ganz gleich, wohin ich gezogen wäre, meine Konten wären irgendwann leer gewesen, und ich hätte mir wie hier Jobs suchen und mich damit sichtbarer und sichtbarer machen müssen.

      Ich näherte mich unserem Haus. Das Licht im Wohnzimmer brannte. Es war mein jämmerlicher Versuch zu signalisieren, dass jemand daheim war. Denn jedes Mal, wenn ich nachts ausging, fürchtete ich, jemand könne einbrechen, in meinem Schlafzimmer die verschlossene Tür aufbrechen und Sema finden. Mit der Zeit verblasste diese Angst, aber das Licht ließ ich immer noch an.

      Unser schmales Haus wirkte im schwachen Schein der Straßenlaterne wie ein Lückenfüller zwischen zwei richtigen Häusern. Ich schloss die Haustür auf und war froh, sie schnell wieder abschließen zu können. Das Licht aus dem Wohnzimmer fiel auf die Wendeltreppe zur Rechten. Wie jeden Abend stellte ich meinen Rucksack auf der Treppe ab und betrat dann das Wohnzimmer, das sich neben dem Flur und der Küche entlang zog. Es war einmal gemütlich gewesen, nun aber gab es hier nur die Stehlampe und die alte Kommode.

      Ich sehnte mich nach der Atmosphäre zurück, die dieser Raum früher versprüht hatte. Das ganze Haus hatte nach und nach seinen Charme eingebüßt. Zuerst hatte ich meinen Schmuck und all die anderen Wertsachen verkauft, die ich in den Jahren, in denen Sema wach gewesen war, zusammengetragen hatte. Dann hatte ich die Möbel versteigert. Mit meinen Erinnerungsstücken verlor ich den klaren Blick in meine Vergangenheit. Es gab nichts mehr, das mich beim Anblick zu einer Erinnerung stimulierte. Alles war nun von meinen Sehnsüchten nach besseren Tagen getrieben.

      Ich knipste die Stehlampe aus, sah aber noch die kahle Umgebung mit meinem grauen Blick, der alles wie an einem trüben Tag erscheinen ließ.

      Ein Knarzen von oben ließ mich erstarren. Ich lauschte, ob sich auf der Treppe jemand bewegte. Ich hatte zwei Gedanken, und beide drehten sich um Sema. Der eine wurde von meinen Wünschen bestimmt, der andere von meiner Sorge. Und wie so oft war meine Sorge stärker.

      Ich wagte mich in den Flur und schaute die Treppe hinauf. Es war unmöglich, sich geräuschlos auf ihr zu bewegen. Dennoch stieg ich lauschend Stufe um Stufe empor und sog den starken Holzduft ein, den ich über die Jahre zu schätzen gelernt hatte. Auf den letzten Schritten hatte ich die geschlossene Badezimmertür im Blick. Links, wo die Treppe in den zweiten Stock begann, war es dunkel, rechts aber stand die Schlafzimmertür einen Spalt offen. Der Schein, der dort schlummerte, machte mich unruhig. Sollte es nun so weit sein? War sie endlich erwacht?

      Trotz meiner Erwartung missachtete ich nicht die Vorsicht, die sich über die Jahre tief in mich eingeprägt hatte. Langsam schob ich die Tür auf, und mein Blick fiel auf mein Bett, auf dem sechs schwere Taschen lagen. Aus einigen von ihnen quollen Werkzeuge heraus. Ich schob die Tür weit genug auf, um alles zu sehen.

      Die Tür zu Semas Zimmer hätte dreifach verschlossen sein sollen, aber sie stand offen und bot den Blick auf zwei Gestalten. Ich stürmte sofort auf sie los, doch kaum war ich über die Türschwelle, hielt ich inne, denn diese beiden Gestalten – zwei junge Männer mit verzweifelten Mienen und ausgestreckten Armen – waren offenbar auf ihrem Weg zu Semas Bett in der Bewegung zu Stein erstarrt.

      Semas Bett – es war leer.

      Auf dem Boden neben den Versteinerten lag ein Dolch mit gewundener Klinge. Ich kannte solche Waffen – magische Waffen, die Sema und ihren Schwestern schaden konnten und auch für mich – selbst in meiner Steingestalt – eine Gefahr darstellten. Der Dolch hatte einen goldenen Knauf, der das Haupt der Medusa zeigte. Es hätte unser Zeichen sein sollen – ein Zeichen, vor dem sich unsere Feinde fürchteten. Aber sie hatten es missbraucht. So wie Perseus in den Sagen Medusas Haupt wie eine toxische Trophäe vor sich hertrug, so trugen sie unsere Feinde auf Dolchen, an Halsketten, auf Ringen und anderen Schmuckstücken als Macht- und Siegessymbol. Aber beim Anblick der Versteinerten und bei dem würzigen Duft, der sie umgab, musste ich lächeln. Sema hatte sie für ihr Eindringen bestraft.

      Meine Schadenfreude verschwand sofort, als mich ein weiteres Knarzen auf der Treppe daran erinnerte, dass da noch jemand auf mich lauerte. Sema hätte mir mit einem Schwall Magie, für die ich empfänglich war, signalisieren können, dass sie da war. Deswegen fürchtete ich, dass unsere Feinde sie entführt und einen oder mehrere Mörder zurückgelassen hatten, die sich um mich kümmern sollten.

      Ich hob den Dolch vom Boden auf. Seine Magie war ein Kribbeln in der Luft. Diese Waffe konnte mir zwar schaden, aber es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass ich die magische Waffe, die für mich oder Sema gedacht war, gegen unsere Feinde einsetzte. (Ja, ich habe schon Menschen getötet.)

      Aus meiner Schadenfreude wurde Sorge; aus meiner Sorge wurde Tatendrang; und alles in mir drängte auf die Verwandlung. Als schöben sich Steinchen unter meiner Haut entlang, durchfuhr mich ein Schauer, dann festigte sich alles und wurde zäh. Im ersten Moment fühlte sich jede meiner Regungen an, als müsste ich meinen Körper dehnen und winden, damit er das tat, was ich wollte. Man sagt uns nach, unsere Bewegungen wären stockend und knirschend, aber das stimmt nicht. Wir sind zwar aus Stein, aber so flexibel wie Schlangen.

      In meinem Menschen-Körper war ich von Semas in mein Zimmer gegangen, in meiner Gargoyle-Gestalt betrat ich nun

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