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die einem zum Verhängnis werden, hatte ihre Mutter immer gesagt.

      Tess musste bei dem Gedanken an jene Zeit lachen. Ihre Familie hatte zu den Reichsten der Reichen gehört, war ein Teil der adligen Kreise von Terra gewesen. Sie besaß nur wenig Erinnerung an diese Zeit, war noch zu klein gewesen. Doch dann hatte ein Feind aus dem Dunkeln zugeschlagen und ihnen alles genommen.

      Sie schloss die Augen.

      Ihre Erinnerungen schweiften ab zu jenem Tag vor 22 Jahren, als ein Unbekannter ihr ihre Eltern entrissen hatte. In einer regnerischen Nacht hatten sie zugeschlagen – die Killer.

      Als Tess, die vom Donnergrollen geweckt worden war, in den Salon kam, lagen die leblosen Körper ihrer Eltern bereits am Boden. Ihr Vater hatte noch den Pulser in der Hand, mit dem er angeblich seine Frau und dann sich selbst erschossen haben sollte.

      Der Unbekannte, dessen Anzug mit den Schatten verschmolz, dessen Gesicht hinter einer Maske aus hauchdünnem Grafit verborgen war, blickte ihr lange in die Augen. Ein so reines Blau hatte Tess noch nie gesehen. Die Stimme, von einem Vocoder verzerrt, sagte: Du darfst leben, denn du bist bedeutungslos.

      Am darauffolgenden Morgen hatte eines der Dienstmädchen sie gefunden. Tess erinnerte sich kaum noch an die Ordnungskräfte, die Befragungen durch den Psychologen oder die Hilfsangebote von Bekannten.

      Sie wusste, dass der Aufsichtsrat der Firma ihres Vaters sehr schnell reagiert und eine Frau zur Vorsitzenden gemacht hatte, die ihr Vater lange protegiert hatte. Plötzlich wurden Vorwürfe gegen ihre Eltern laut, das Finanzministerium sprach von Steuerhinterziehung. Innerhalb weniger Monate schwand das Vermögen der Familie dahin, ebenso die zahlreichen Hilfsangebote. Tess landete im Waisenhaus, wo Zevs Vater sie schließlich fand. Er holte sie dort raus, verfrachtete sie nach Tikara II und übergab sie an Zieheltern, bei denen sie aufwuchs. Nie zuvor in ihrem Leben hatte jemand Tess derartig viel Liebe und Wärme spüren lassen – nicht einmal ihre wahren Eltern. Doch das Leben in der Kolonie war hart.

      Diese Welt, die von allen nur als Absteige der Gesellschaft angesehen wurde, war für Tess zwar dank ihrer Zieheltern zur Heimat geworden, doch sie verlangte ihr alles ab. Sie lernte sich durchzuschlagen, in einem von Banden dominierten Ghetto zu überleben, sich hochzuarbeiten.

      Schließlich war er gekommen: Zev Buckshaw. Tess hatte sich längst angewöhnt, den echten Namen von ihm und seiner Familie nicht einmal zu denken.

      Zev war der einzige Überlebende seiner Familie, der das Gleiche widerfahren war wie ihrer eigenen. Sein Vater, der Tess Jahre zuvor aus dem Waisenhaus geholt hatte, war gestorben und posthum als Terrorist gebrandmarkt worden.

      Gemeinsam hatten sie damit begonnen, die Puzzleteile zusammenzusetzen und einen Zipfel des Geheimnisses freigelegt, das ihren beiden Eltern das Leben gekostet hatte. Seit jenem Tag suchten sie nach den Drahtziehern und waren ihnen mittlerweile ganz nah. Die Spur hatte sie beide in die Space Navy geführt, und Tess wusste: Eines Tages würde sie der Person gegenüberstehen, die ihre Eltern getötet hatte.

      Tess war sich bis heute nicht sicher, ob der Drahtzieher der ganzen Aktion sie nicht noch immer beobachtete, immerhin war sie eine Zeugin. Daher spielten sie und Zev in der Öffentlichkeit verhasste Feinde. So wurde, falls man auf einen von ihnen aufmerksam wurde, der andere nicht ebenfalls enttarnt.

      Ein blinkendes Icon zog ihre Aufmerksamkeit auf sich. Wie in Trance hatte sie den Code geändert und der Check war positiv verlaufen. Sie aktivierte den Übertragungsvorgang, worauf die Statussymbole wechselten. Auf den wenigen Monitoren, die den Angriff überlebt hatten, erwachten Warnsymbole zum Leben. Feindliche Signaturen leuchteten auf und die Abwehrforts richteten sich neu aus.

      Sie hatte es geschafft.

      Schlagartig wich jede Kraft aus ihrem Körper und sie sackte zusammen. Das rot pulsierende Warn-Icon auf der Innenseite ihres Helmdisplays, das seit einigen Minuten auf lebensgefährliche Strahlenverhältnisse hindeutete, nahm sie längst nicht mehr wahr.

      *

      »Sir!« Lieutenant McCalls Stimme überschlug sich fast. »Die Abwehrforts von NOVA-Station erwachen zum Leben. Sie beschießen die Angreifer.«

      »Mister Akoskin?« Jayden beobachtete noch immer die Trümmerstücke, die durchs All davontrieben.

      »Ich kann das bestätigen, Sir. Lieutenant McCall hat über das Phasenfunkmodul des Abwehrforts Kontakt zu Captain Fitzgeralds Sensornetz hergestellt. Gute Arbeit, Lieutenant! Wir müssen nicht länger blind auf Informationen warten.«

      Jayden schenkte seiner Kommunikationsoffizierin ein anerkennendes Nicken.

      »Zusammenfassend kann man sagen, dass die feindlichen Raumer gerade mit Torpedos eingedeckt werden. Von Captain Coens Flotte hat nur die TÈQUÁN überlebt. Fitzgeralds Einheiten erreichen uns in wenigen Minuten.«

      Er schwieg für einige Sekunden. »Und die PI-RA-SO-MA-FE konnte in den Phasenraum entkommen. Die verfolgenden Schiffe drosseln ihre Geschwindigkeit; die Vermutung, dass sie ihre Transition nur im Quasi-Stillstand ausführen können, scheint sich zu bewahrheiten, denn ihr Vektor deutet noch immer systemauswärts.«

      »Was ist mit NOVA?«

      »Ein Funkkontakt ist nicht möglich«, sagte Akoskin. »Die Station ist zu schwer beschädigt. Die Reststrahlung der detonierten Raketen macht eine exakte Sensorerfassung fast unmöglich.«

      Jayden versuchte, nicht darüber nachzudenken, wie viele Menschenleben die zurückliegende Schlacht gekostet hatte. Und wofür? Sie wussten nicht einmal, wer der neue Feind war.

      »Sir, wir müssen umgehend mit der Evakuierung von Pearl beginnen«, zog ihn seine I.O. aus dem aufkommenden Gefühlstief.

      Er nickte. »Lieutenant McCall, deaktivieren Sie die Annäherungszünder der Raketen und holen Sie unsere Shuttles zurück. Ich will ein Team aus Marines und Paramedics im Hangar haben. Wir werden so viele Personen wie möglich von der Oberfläche retten. Senden Sie außerdem einen Statusbericht an die Flotte von Captain Fitzgerald – wir benötigen jedes Schiff.«

      Die HYPERION selbst glich mehr einem Trümmerhaufen als einem funktionstüchtigen Raumschiff, doch sie war besser davongekommen als die meisten anderen Schiffe. Und solange die Lebenserhaltungssysteme noch funktionierten, war jeder, der von der Oberfläche geholt werden konnte, sicher aufgehoben.

      »Commander«, wandte er sich an Ishida, »arbeiten Sie einen Plan aus, der uns die Unterbringung einer maximalen Anzahl an Personen ermöglicht. Ich will jeden verfügbaren Platz! Und setzen Sie sich mit Devgan in Verbindung. Ich will wissen, welche Schäden aus Bordmitteln reparabel sind.«

      Ishida bestätigte den Befehl und begann damit, entsprechende Daten in ihre Konsole einzugeben. »Lieutenant McCall, können wir die subkutanen Sender unserer Offiziere auf Pearl orten?«

      Die Ortungsoffizierin verneinte. »Der elektromagnetische Strahlenschauer verhindert das, Sir.«

      Jayden lehnte sich zurück und besah sich die eingehenden Nachrichten. Der Kampf war furchtbar gewesen, doch erst jetzt wurde ihm das ganze Ausmaß der Katastrophe bewusst: in den Trümmern beschädigter Schiffe eingeklemmte Offiziere; Rettungskapseln, die im All umhertrieben; in den Bunkern von Pearl ausharrende Überlebende, die sie keinesfalls alle retten konnten.

      Der Gefechtsalarm wurde deaktiviert, worauf sich die Gurte in das Schulterpolster der Konturensessel zurückzogen und die Prallfelder deaktivierten.

      »Dann wollen wir mal«, sagte Ishida mit unbewegter Miene.

      Jayden schwieg.

      *

      »Nehmen Sie verdammt noch mal Ihre Finger weg!«

      Es war die wütende Stimme von Doktor Irina Petrova, die Tess aufschrecken ließ. Verwirrt sah sie sich um. Sie weilte eindeutig noch unter den Lebenden, aber wie zur Hölle war sie auf der Krankenstation der HYPERION gelandet?

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