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von Mön­chen Läs­ter­li­ches ge­sagt hät­te.

      – Je­den­falls hat es frü­her Wun­der ge­ge­ben! be­kräf­tig­te ei­ner der Her­ren.

      – Das leug­ne ich. Sonst müss­te es ja auch heu­te noch wel­che ge­ben.

      Da brach­te nun je­der ein Be­weis­stück vor, fan­tas­ti­sche Vorah­nun­gen und Mit­tei­lun­gen von See­len durch wei­te Räu­me, ge­hei­me Ein­flüs­se ei­nes We­sens auf das an­de­re u. s. w. Und die­se Tat­sa­chen wur­den be­teu­ert und für un­be­streit­bar er­klärt, wäh­rend der hart­nä­cki­ge Leug­ner im­mer noch sein »Un­sinn! Un­sinn! Un­sinn!« da­zwi­schen schrie.

      End­lich stand er auf, warf sei­ne Zi­gar­re fort, steck­te die Hän­de in die Ta­schen und be­gann:

      – Nun wohl. Auch ich kann Ih­nen zwei Ge­schich­ten der Art er­zäh­len, die ich Ih­nen aber nach­her er­klä­ren wer­de. Die eine ist fol­gen­der­ma­ßen.

      Die Män­ner des klei­nen Strand­dor­fes Étre­tat sind sämt­lich Fi­scher und fah­ren je­des Jahr nach den Bän­ken von Ter­re-Neu­ve zum Stock­fisch­fang. Ei­nes Nachts nun wach­te das Kind ei­nes der Fi­scher plötz­lich auf und schrie: »De Vat­ter is im Mee ätun­ken!« Man be­ru­hig­te den Schrei­hals, aber bald wach­te er von Neu­em auf und heul­te, sein »Vat­ter wäre ätun­ken«. Ei­nen Mo­nat spa­ter wur­de nun wirk­lich be­kannt, dass der Va­ter von ei­ner Sturz­see er­fasst und von der Brücke ins Meer ge­schleu­dert wor­den wäre, wo er sei­nen Tod ge­fun­den hät­te. Da schrie nun al­les: »Ein Wun­der! Ein Wun­der!« und reg­te sich groß auf. Es wur­de nach­ge­rech­net, und es fand sich, dass der Un­fall und der Traum un­ge­fähr zu­sam­men­fie­len. Daraus wur­de dann ge­schlos­sen, dass bei­des in der­sel­ben Nacht und zur sel­ben Stun­de ge­sche­hen wäre. Das ist so ein Wun­der der Fern­wir­kung…

      Der Er­zäh­ler hielt inne.

      – Und wie er­klä­ren Sie das? frag­te ei­ner der Zu­hö­rer sehr er­regt.

      – Sehr gut, mei­ne Her­ren; ich habe das Ge­heim­nis ge­lüf­tet. Die Tat­sa­che hat­te mich al­ler­dings ver­blüfft und selbst leb­haft be­un­ru­higt; aber se­hen Sie, ich glau­be grund­sätz­lich an nichts. Wie die an­de­ren da­mit an­fan­gen zu glau­ben, so fan­ge ich da­mit an zu zwei­feln. Und wenn ich es auch gar­nicht be­grei­fe, so leug­ne ich doch ru­hig wei­ter fort, dass es eine Fern­wir­kung von See­len gibt, und ich bin ge­wiss, dass mein Scharf­sinn al­lein aus­reicht. Nun wohl, ich habe also ge­sucht und ge­sucht, bis ich es her­aus hat­te. Ich frag­te alle Wei­ber der ab­we­sen­den Fi­scher aus und über­zeug­te mich, dass kei­ne Wo­che ver­ging, wo nicht ei­nes von ih­nen oder ei­nes der Kin­der da­von träum­te, dass sein »Vat­ter im Meer ätun­ken« wäre, und dies beim Er­wa­chen aus­po­saun­te. Die be­stän­di­ge schreck­li­che Furcht vor die­sem Un­glück ließ sie stets da­von re­den, im­mer dar­an den­ken. Wenn nun eine die­ser häu­fi­gen Ah­nun­gen durch einen ganz ein­fa­chen Zu­fall mit ei­nem sol­chen Un­glücks­fal­le zu­sam­men­trifft, schreit al­les gleich: »Ein Wun­der!« – und alle an­de­ren Träu­me und Vorah­nun­gen, alle un­glück­li­chen Pro­phe­zei­un­gen, die sich nicht er­füllt ha­ben, wer­den ver­ges­sen. Ich selbst habe an die fünf­zig in der Erin­ne­rung, von de­nen der Ur­he­ber schon acht Tage spä­ter nichts mehr wuss­te. Wäre aber der Mann wirk­lich um­ge­kom­men, dann wäre das Ge­dächt­nis un­ver­se­hens er­wacht, und die einen hät­ten ein Wun­der Got­tes, die an­de­ren den Ma­gne­tis­mus ge­prie­sen.

      – Das ist al­les ganz rich­tig, was Sie da sa­gen, un­ter­brach ihn ei­ner der Rau­cher. Aber wie steht es mit Ih­rer an­de­ren Ge­schich­te?

      – Oh, mei­ne an­de­re Ge­schich­te ist ein hei­ke­les The­ma. Sie ist mir selbst be­geg­net, und dar­um miss­traue ich mei­ner ei­ge­nen An­sicht dar­über ein we­nig. Man kann nicht Rich­ter und Par­tei zu­gleich sein. Nun also, die Sa­che war fol­gen­de:

      – Un­ter mei­nen Be­kannt­schaf­ten, die ich hat­te, be­fand sich eine jun­ge Frau, an die ich nie ge­dacht, die ich nie an­ge­se­hen hat­te, kurz, die mir nie auf­ge­fal­len war, wie man sagt. Sie ge­hör­te nach mei­ner Mei­nung un­ter die nichts­sa­gen­den We­sen, ob­wohl sie nicht häss­lich war. Schließ­lich hat­te sie Nase, Mund und Ohren, Haa­re von ir­gend ei­ner Far­be und eine, wie soll ich sa­gen, ver­bli­che­ne Phy­sio­gno­mie. Sie war ei­nes von den We­sen, an de­nen uns­re Ge­dan­ken schein­bar nur durch Zu­fall haf­ten, ohne bei ih­nen zu ver­wei­len, und die un­ser Ver­lan­gen nie wach­ru­fen.

      Ei­nes Abends nun schrieb ich vor dem Schla­fen­ge­hen Brie­fe am Ka­min, und wie ich so mei­nen Ge­dan­ken die Zü­gel schie­ßen las­se und Bild auf Bild mir durch den Kopf ge­hen, wie ich so mit der Fe­der in der Hand vor mich hin­träu­me, läuft mir plötz­lich ein lei­ser Schau­der durchs Hirn und ein Be­ben durchs Herz, und un­mit­tel­bar dar­auf sehe ich, ohne ver­nünf­ti­gen Grund, ohne lo­gi­sche Ide­en-Ver­ket­tung, sehe ich die­ses jun­ge Weib ganz deut­lich vor mir, zum Grei­fen nahe, vom Kopf bis zu den Fü­ßen… Sie, an die ich noch nie län­ger als drei Se­kun­den ge­dacht hat­te, so­lan­ge mir ihr Name durch den Kopf ging… Und plötz­lich ent­deck­te ich an ihr eine Fül­le von hol­den Ei­gen­schaf­ten, die mir nie auf­ge­fal­len wa­ren, einen sanf­ten Zau­ber, einen be­stri­cken­den Rei­z… Und sie rief jene ver­lieb­te Un­ru­he in mir wach, die uns ei­nem Wei­be nach­ge­hen heißt.

      Sie alle ken­nen jene ei­gen­tüm­li­chen Träu­me, die einen zum Herrn des Un­mög­li­chen ma­chen, ei­nem die ver­schlos­se­nen Tore un­ver­hoff­ter Freu­den und die sprö­des­ten Arme öff­nen. Wer von uns hat nicht jene un­ru­hi­gen, auf­re­gen­den, atem­lo­sen Träu­me ge­habt, wo wir das Weib, nach dem uns der Sinn stand, mit der größ­ten sinn­li­chen Schär­fe und Deut­lich­keit in den Ar­men ge­hal­ten ha­ben? Und ha­ben Sie nicht ge­merkt, wel­che über­ir­di­sche Won­ne in sol­chen ver­zück­ten Träu­men liegt? In wel­chen Tau­mel­zu­stand sie einen ver­set­zen, wie sie ei­nem das gan­ze We­sen durch­kämp­fen und das Herz mit un­end­li­cher, zärt­lichs­ter, über­strö­men­der Zärt­lich­keit er­fül­len; wie man das We­sen liebt, das man in die­sem gött­lich teuf­li­schen, Wirk­lich­keit schei­nen­den Gau­kel­spiel ohn­mäch­tig und glü­hend im Arme häl­t…

      Al­les dies emp­fand ich da­mals mit un­ver­ge­ss­li­cher Deut­lich­keit. Dies Weib war mein ei­gen ge­we­sen, ich fühl­te es! Als ich längst ent­täuscht er­wacht war, hat­te ich das sam­met­wei­che Ge­fühl ih­res Haa­res noch an den Fin­gern, den Schmelz ih­rer Haut noch in den Sin­nen, die Sü­ßig­keit ih­rer Küs­se noch auf den Lip­pen, den Klang ih­rer Stim­me noch im Ohre, den Druck ih­rer Umar­mung noch um den Hals; und der be­rau­schen­de Zau­ber ih­rer Lieb­ko­sun­gen er­füll­te mich ganz und gar.

      Und drei­mal in der­sel­ben Nacht hat­te ich den­sel­ben Traum.

      Als es Tag wur­de, er­füll­te mich nur der Ge­dan­ke an sie; ihr Bild spuk­te mir durch Herz und Hirn; es ver­ging kei­ne Mi­nu­te, wo ich nicht an sie dach­te.

      Ich wuss­te nicht mehr aus noch ein; schließ­lich stand ich auf, klei­de­te mich an und ging zu ihr. Als ich die Trep­pe her­auf stieg, zit­ter­te ich vor Auf­re­gung und fühl­te mein Herz ge­gen die Rip­pen häm­mern; ein un­wi­der­steh­li­ches Ver­lan­gen er­füll­te mich vom Kopf bis zu den Fü­ßen.

      Ich trat ein. Als sie mei­nen Na­men hör­te, rich­te­te sie sich hoch auf, und plötz­lich be­geg­ne­ten sich un­se­re Bli­cke mit merk­wür­di­ger

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