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glauben möchte; abends zur bestimmten Stunde zieht alles in die Gesellschaften, wo sie Karten spielen, politisieren und rauchen, um mit dem Schlage neun nach Hause zurückzukehren. So geht es alle Tage, ohne Veränderung, und wehe dem, der ihnen dazwischenkömmt; er kann der ungnädigsten Ungnade gewiss sein. – Die jungen Leute werden brav von ihren Vätern in die Schule genommen; sie lassen sich auch sehr gut an, ebenso zu werden. Ihre Unterhaltungsgegenstände sind ziemlich einförmig; die Barmer sprechen mehr von Pferden, die Elberfelder von Hunden; wenn’s hochkommt, werden auch Schönheiten rezensiert oder es wird von Geschäftssachen geplappert, das ist alles. (MEW 1, 428)

      Der Geschäftsgeist der aufstrebenden Fabrikherren paarte sich in Barmen und Elberfeld mit einem vom Pietismus durchdrungenen geistigen Klima. Diese im 17. Jahrhundert entstandene Frömmigkeitsbewegung setzte der protestantischen Orthodoxie eine sehr gefühlsbetonte, allein jenseitsorientierte Innerlichkeit entgegen. In Engels’ Heimat ging diese Art von Religiosität eine fatale Verbindung mit einer kalvinistischen Ethik ein, die den wirtschaftlichen Erfolg als Zeichen der Auserwählung deutete und so den erbärmlichen sozialen Zuständen eine religiöse Legitimation verschuf.

      Im jungen, äußerst begabten Gymnasiasten Friedrich Engels wird bald ein reges Interesse an den Künsten, vor allem an der Literatur, geweckt, was aber den Plänen seines Vaters gar nicht entspricht. Mit 17 Jahren muss er auf dessen Betreiben das Gymnasium verlassen, um die Familientradition fortzuführen und den Kaufmannsberuf zu erlernen – zuerst im väterlichen Betrieb in Barmen und schließlich in Bremen, wo er von der räumlichen Distanz zum Elternhaus profitiert, seinen literarischen Neigungen nachgeht und, froh, der heimatlichen, von pietistischer Frömmigkeit triefenden Atmosphäre entkommen zu sein, sein Junggesellenleben genießt. Der Bremer Ratskeller rühmt sich heute noch des jungen Friedrich Engels als eines seiner prominenten Stammgäste. Literarisch beginnt sich Engels von seiner ursprünglichen Begeisterung für die Romantik zu lösen und schließt sich der Bewegung des »Jungen Deutschland« an, die durchaus von radikalliberalen politischen Ideen durchdrungen ist. In ihrem von Karl Gutzkow herausgegebenen Organ, dem Telegraph für Deutschland, begegnen uns denn auch die ersten bedeutenden, noch unter dem Pseudonym Friedrich Oswald veröffentlichten, Texte des jungen Engels (s. S. 21 ff).

      Einen bedeutsamen biografischen Einschnitt stellt der Militärdienst dar, den er 1841/1842 in Berlin absolviert. Zeit seines Lebens bleibt Engels ein begeisterter und offenbar kenntnisreicher und gewandter Militärstratege. Im Zuge der Revolution von 1848/49 wird er sich August Willichs Truppen in Baden und in der Pfalz anschließen und dort sein militärisches Talent unter Beweis stellen. Und den Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 begleitet er mit einer Reihe von Veröffentlichungen, die die strategische Ausgangsposition genau analysieren und den Verlauf der einzelnen Kriegshandlungen präzise voraussagen (vgl. Über den Krieg; MEW 17, 9–264). Noch wichtiger jedoch ist: Der junge Offiziersanwärter genießt vor allem das Privileg, während seines Militärdienstes als Gasthörer an der Berliner Universität Vorlesungen zu besuchen. Er schließt sich bald dem Kreis der Junghegelianer an, deren führender Kopf neben Bruno Bauer einst Karl Marx gewesen war. Den »schwarzen Kerl aus Trier« – so bezeichnet ihn Engels in einem kleinen humorvollen Gedicht auf die Junghegelianer – lernt er dort nicht mehr persönlich kennen, wohl aber bekommt er mit, welchen Ruf Marx in diesem Kreis immer noch genießt.

      Ein wesentlicher Aspekt von Friedrich Engels’ Emanzipation von seiner Herkunft ist sein mühevoller Ablösungsprozess von der in der Familie praktizierten Religion. Er hat es sich damit keineswegs leicht gemacht, wie seine eigenen überlieferten Selbstzeugnisse belegen:

       Ich bete täglich, ja fast den ganzen Tag um Wahrheit, habe es getan, sobald ich anfing zu zweifeln, und komme doch nicht zu eurem Glauben zurück […]. Die Tränen kommen mir in die Augen […]. Du liegst freilich behaglich in deinem Glauben wie im warmen Bett und kennst den Kampf nicht, den wir durchzumachen haben, wenn wir Menschen es entscheiden sollen, ob Gott ist oder nicht; du kennst den Druck solcher Last nicht, die man mit dem ersten Zweifel fühlt, der Last des alten Glaubens, wo man sich entscheiden soll, für oder wider, forttragen oder abschütteln. (MEW 41, 407–408)

      Vom Pietismus führt sein Weg zunächst über die aufgeklärte Form des Protestantismus, dessen herausragender Vertreter Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher ist. Einen entscheidenden Einfluss übt dann David Friedrich Strauß aus, der in seinem Buch Das Leben Jesu, kritisch betrachtet im Anschluss an Hegel ein radikales Entmythologisierungsprogramm des Christentums vorlegt und letztlich den Weg vom positiven Christentum zum Humanismus weist. Den letzten Schritt der Überwindung der Religion vollzieht Engels schließlich mit Ludwig Feuerbach, dem Hegel-Schüler, der in seinem bahnbrechenden Werk Das Wesen des Christentums Gott mitsamt all seinen Attributen als Projektion des Gattungswesens Mensch erklärt. Engels beschreibt dessen Wirkung auf ihn:

       Mit einem Schlag zerstäubte es den Widerspruch, indem es den Materialismus ohne Umschweife wieder auf den Thron erhob […] außer der Natur und den Menschen existiert nichts, und die höhern Wesen, die unsere religiöse Fantasie erschuf, sind nur die fantastische Rückspiegelung unsers eignen Wesens. Der Bann war gebrochen; das »System« war gesprengt und beiseite geworfen […]. Man muss die befreiende Wirkung dieses Buchs selbst erlebt haben, um sich eine Vorstellung davon zu machen. Die Begeisterung war allgemein. Wir waren alle momentan Feuerbachianer. (MEW 21, 272)

      Auch nach dieser endgültigen religionskritischen Wende und nach der ausdrücklichen Kritik an Feuerbachs abstraktem, sensualistischem Materialismus, die Engels später zusammen mit Marx entwickeln sollte, bleibt die Religion noch in der Gestalt ihrer Negation ein bestimmendes Lebensthema bis in seine späten Jahre (s. S. 108 ff; 138 ff).

      In Manchester, dem Ort der Textilfabrik, an der auch sein Vater beteiligt war, fand Engels reiches Anschauungsmaterial für den englischen Frühkapitalismus. Der Fabrikantensohn nahm hier einen erstaunlichen gesellschaftlichen Standortwechsel vor, pflegte engen Kontakt zu den Arbeitern und ging eine Liaison zu zwei irischen Arbeiterinnen, den Schwestern Mary und Lizzy Burns, ein. Jenny Marx, die Ehefrau von Karl Marx, rümpfte über diese unkonventionelle Ménage a trois deutlich die Nase, und nachdem Karl Marx auf die Nachricht von Marys Tod sehr unsensibel reagiert hatte, wäre es fast zum Bruch zwischen den Freunden gekommen. Engels lebte danach mit Lizzy zusammen und schloss mit der gläubigen irischen Katholikin noch an deren Totenbett den Ehebund nach katholischem Ritus.

      Ein literarisches Dokument ersten Ranges sollte diesem Nahverhältnis zum Industrieproletariat entspringen, das vielen als Engels’ Hauptwerk gilt: Die Lage der arbeitenden Klasse in England (s. S. 41 ff). Manchester war auch der Ort, an dem der utopische Sozialist Robert Owen eine zahlreiche Anhängerschaft besaß. Seine im religiösen Stil propagierten Ideen standen in scharfem Kontrast zum Bestreben von Marx und

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