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kommen, einen Zaun um sein Häuschen zu ziehen, anstatt neue geistige Räume zu schaffen! Aber das Zusammenspiel zwischen dem Kopf und dem Herzen ist schon wichtig. Um mal ganz ehrlich zu sein: Ich hab es nicht ganz einfach mit dir und deiner Überpräsenz! Du bist mitunter ziemlich unbedarft, um es mal vorsichtig auszudrücken. Wenn ich ganz und gar auf dich hören würde, hätten wir beide sehr eingeschränkte Überlebenschancen!

      Hallo? Sag mal, willste mich brechen? Hast du irgendein Beweis für deine steile These?

      Ja! Dean Reed zum Beispiel. Das war so’n Typ, der hatte zwar auch ’n bisschen was im Kopf, aber der hatte vor allem ein Herz – und das war so groß wie ein ausgewachsenes Schnitzel! Da kam dieser blutjunge, unglaublich schöne Mann aus den USA auf diese Insel namens DDR und brachte den müden Insulanern einen guten Schwung an neuer guter Hoffnung mit und verkündete alles mit hellem kindlichem Blick. Er machte aus Parolen Sehnsuchtsbilder, und vor allem die Frauen und Kinder fielen in Liebe zu ihm. Die Männer beäugten ihn mit Eifersucht. Und die mit den zugeknöpften Gesichtern und verkümmerten Herzen haben ihn am Ende missbraucht. Und er musste irgendwann erkennen, dass sein Panzerkreuzer Potemkin nur ein verkleidetes Traumschiff war, mit einer Besatzung aus verkleideten Gartenzwergen. Und er sprang bei Berlin über die Reling und versank im Zeuthener See.

      Alter, ick schwelle! Scheiß uff dit Schnitzel, ick bin gleich so groß wie’n Köpenicker Eisbein! Mach jetz bloß keene Mördergrube aus mir! Ick kann dir helfen und leg mich janz lasziv uff deine Zunge. Los, raus mit dem Scheiß!

      Vom Sockel

      Es gibt Figuren des öffentlichen Lebens, die so eng mit der eigenen Biografie verbunden sind, dass ich sie als vollwertige Familienmitglieder empfinde. Obwohl die mich gar nicht kennen, oder vielleicht nur am Rande Notiz von mir nehmen. Dazu gehört, wie bereits erwähnt: Dean Reed. Aber auch Gojko Mitić, Udo Lindenberg, Chris Doerk und Frank Schöbel, Gregor Gysi, die Digedags und Ritter Runkel, Boris Becker, Angela Merkel … um nur einige von ihnen zu nennen. Diese Lichtgestalten stehen für mich über den Dingen. Ich freue mich, wenn es ihnen gut geht, und ich leide, wenn es mal nicht so läuft. Die Puhdys gehören auch dazu. Alle, die jemals dabei waren: Gunther Wosylus, Harry Jeske, Peter Meyer, Klaus Scharfschwerdt, Peter Rasym und vor allen die beiden Dieters – »Quaster« Hertrampf und »Maschine Birr«. Im schönsten DEFA-Film der Welt, der »Legende von Paul und Paula«, spielen die Puhdys – neben Angelika Domröse und Winfried Glatzeder – die Hauptrolle und haben sich mit ihrer Darbietung von »Geh zu ihr« und »Wenn ein Mensch lebt« für immer in mein Herz gebrannt.

      Nun führen sie einen Rosenkrieg, der von Bild & Co genüsslich ausgeschlachtet wird. Alle, die diese Band im Herzen tragen, winden sich vor Pein.

      In einem Interview mit der Berliner Zeitung vom Anfang des Jahres 2020 offenbarte Maschine nun den Ursprung der Familienfehde: eine Verletzung, die ihm 2013 von seinen Kollegen und dem Management zugefügt wurde. Ein Alleingang, ohne den Frontmann. Er kann diese Illoyalität nicht verwinden, es gärt immer weiter, und der Kapitän verlässt den immer noch flotten Kahn.

      Die Puhdys befinden sich mittlerweile fast alle im achten Lebensjahrzehnt, aber ein echter Musiker kann natürlich nicht in Rente gehen. Jeden Einzelnen zieht es weiterhin auf die Bühnen, die sind nun allerdings kleiner als gewohnt. Selbst Maschine kann allein nicht mehr die ganz großen Arenen bespielen, und das lässt ihn nicht kalt. Da ich selbst an der Front einer Musikerbande stehe und berufsbedingt mit einem großen Ego ausgestattet bin, ist das für mich nachvollziehbar. Je größer der Erfolg, desto größer wahrscheinlich auch das Ego der Gallionsfigur.

      Auch wenn Maschine sich heute mit den besten Musikartisten umgibt, die er auf dem Markt kriegen kann – der strahlende Gitarrenheld Uwe Hassbecker steht ihm wohlgestalt zur Seite – der knorrige Quaster und die anderen markanten Superhelden passen ihm einfach besser. Sie sind der lange geschnitzte Rahmen, der das Kunstwerk zur Geltung bringt. Maschine weiß das, kann aber nicht mehr zurück. Die Verletzung muss in Verzweiflung umgeschlagen sein, nur so ist die Selbstdemontage der Legende erklärbar.

      Die gerichtliche Anfechtung gemeinschaftlicher Urheberrechte kann nur im Affekt passiert sein. Alle wissen doch, dass Du die Hauptfigur bist, großer Mann! Jetzt hast auch Du verletzt, jetzt könntest Du verzeihen. Macht es bitte noch mal zusammen, wir wollen ein Happy End! In den ganz großen Stadien. Vielleicht auch hier bei mir, in Köpenick, in der Alten Försterei.

      Großet Ego? Is dit ’ne Krankheit?

      Nicht wirklich, mein Herz! Das ist eher so ’ne Verhärtung. Oder Verirrung. Da glaubt der Kopf, das Herz zu sein, ist beeindruckt von den eigenen Gedanken und erschüttert darüber, von der Welt verkannt zu werden. Und das Herz ist devot, macht sich ganz klein und kann dadurch nicht mehr so viel Liebe nach außen abgeben. Es leidet sozusagen unter seiner eigenen Mickrigkeit. Es tut sich leid.

      Doch ich habe es selbst in der Hand und kann dafür sorgen, dass es uns besser geht. Einfach den Kopf ein wenig entlasten. Ihn nur dann auf Betriebstemperatur bringen, wenn es um elementare Dinge geht. Die Dinge, die tiefer gehen als irgendwelche Zahlen, kann man nicht in den groben Rastern von Formeln oder Gleichungen erkennen, sondern einzig und allein mit dem Herzen.

      Is ja jut – so’n bisschen Sado-Maso-Theater is doch dit Salz in der Suppe! Und wenn du mal jenau hinkiekst, ham wa doch eigentlich alle ’n Ding an der Waffel, oder? Außer du natürlich!

      Ja, natürlich! Alles wird aus individueller Perspektive betrachtet. Die größeren Macken haben natürlich immer die andern. Wir müssen uns auch selbst am meisten lieben, sonst ist es schwer mit dem Überleben. Die eigenen Kinder bilden natürlich die Ausnahme von der Regel – die Mutterliebe ist tatsächlich selbstlos! Und wir beide – also mein Herz und ich – wissen, dass man auch als Vater diese Urgewalt fühlen kann. Aber grundsätzlich muss noch ein bisschen was für die anderen komischen Vögel übrigbleiben. Wir müssen uns austauschen, in liebevollem Streit, sonst sind wir echt im Arsch! Wir sägen uns den Ast unter selbigem ab, wenn wir uns jetzt nicht langsam weiterentwickeln. Der Kapitalismus in dieser Form hat ausgedient. Die Wachstumsgesellschaft ist ausgewachsen. Mehr Profit bringt uns keinen echten Gewinn. Jetzt kann nur noch das Herz wachsen!

      Und zwar tritt dit nach meiner Kenntnis ... is dit sofort. Unverzüglich!

      Alles Irre

      Das erfolgreiche Erlernen eines Instruments erfordert gewisse autistische Züge. Ich würde sogar behaupten, dass die als Autismus bezeichnete Persönlichkeitsstörung unter Musikern überdurchschnittlich stark verbreitet ist. Ich – als offener und allseitig gebildeter Mensch – kann mich mit einigen Kollegen nur sehr eingeschränkt über Gott und die Welt unterhalten, das Universum der Liebe können diese verrückten Traumtänzer meist nur über ihr Instrument berühren. Gelegentlich so eindrücklich, dass ich ganz hin und weg bin. Viele dieser ganz besonderen Menschen heißen André. In meinem unmittelbaren Umfeld gibt es gleich drei davon.

      Die langen gemeinsamen Anfahrten zu den Konzerten können sehr lustig sein. Zum tausendsten Mal werden die alten Tourgeschichten ausgegraben, bei denen keiner mehr so genau weiß, was davon Wahrheit und was Fiktion ist. Im Falle des großen, melancholischen André Herzberg wird immer wieder die DDR ausgegraben, aufgearbeitet und mit ihr abgerechnet. Von lustig bis wütend. Alle hängen an seinen Lippen.

      André ist eigentlich der Frontmann der legendären DDR-Band Pankow, aber seit 1993 – neben dem charmant verrückten Dirk Michaelis und mir – auch der Frontmann der 3HIGHligen. Ja, hier sind drei Egozentriker an der Front, aber von diesen wiederum ist der große, melancholische André unbestritten der Wortführer. Er sitzt im Tourbus vorne rechts neben dem Fahrer, also auf der Position des Reiseleiters. In dieser besonderen Konstellation fühle ich mich bisweilen ein wenig an den Rand gedrängt – was ich aushalte, weil es den beiden anderen Diven mit absoluter Sicherheit genau so geht –, aber die Rolle des dauerhaften Zuhörers ist für mich wirklich die klassische Fehlbesetzung.

      Um vorprogrammierten Streit vor den Konzerten zu vermeiden, platziere ich mich im Bus vorausschauend diagonal, also ganz hinten links am Fenster. Der melancholische André ist des großen Wortes mächtig – mir bleibt nichts weiter übrig, als der Klügere zu sein! Was in diesem Falle heißt nachzugeben. Also am besten

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