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Kakanien oder ka Kakanien?. Группа авторов
Читать онлайн.Название Kakanien oder ka Kakanien?
Год выпуска 0
isbn 9783706560795
Автор произведения Группа авторов
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
Wachhabende und griff nach Liedchens Hand. Sie ließ sie sofort wieder fahren. Fragend sah sie mich an:
„Was ist hier passiert?“
Ich zuckte nur die Schultern.
Die Wachhabende rannte aus der Baracke. Jetzt beugten auch wir uns zu Liedchen hinunter. Ihre Hände waren kalt. Als eine der Frauen den Mantel beiseiteschob sah ich, dass sie den Kopf unnatürlich zur Seite gebogen hatte. Ich dachte an Kaisa. Um Liedchen herum war nicht ein Tropfen Blut.
„Warst du in der Armee?“, fragte mich Leutnant Irina.
„Nein“, antwortete ich.
Wir standen vor dem angetretenen Lagpunkt. Wenige Meter neben uns lag der leblose Körper Liedchens. Irina verfuhr wie ein paar Monate zuvor. Anstelle des Frühstücks sollte die Mörderin aufspürt werden, nur dass dieses Mal ich verdächtigt wurde. Irina fragte mich, ob ich nicht gestehen wolle. Ich schüttelte den Kopf. Irina begann vor den angetretenen Brigaden auf und ab zu gehen. Sie schlenderte von der ersten Reihe zur vierten und wieder zurück. Der lange Pferdeschwanz hüpfte grimmig über ihren Rücken, während sie erklärte, dass wohl alle wüssten, wie oft Liedchen mit dem Tod meines Kindes gedroht hatte. Nun sei ich ihr also zuvorgekommen und hätte ihr das Genick gebrochen. Da hob Anna die Hand. Irina bemerkte es nicht, doch eine Wache machte sie darauf aufmerksam. Irina rief Anna nach vorn und forderte sie auf, zu sprechen. Anna erklärte, dass sie die Pritsche neben mir habe und in der Nacht aufgewacht sei, als Liedchen auf dem Boden aufschlug. Als sie die Augen öffnete habe sie eine Frau zwischen den Pritschen davongehen sehen.
„Sie?“ Irina zeigte auf mich.
„Nein, ich bin mir sicher“, entgegnete Anna. „Die Person verschwand irgendwo in der Mitte der Baracke in der Dunkelheit.“
„Wer war es dann?“, fragte Irina.
„Ich weiß es nicht, ich konnte es nicht sehen“, sagte Anna.
„Wenn du es nicht gesehen hast schweig und scher dich zurück ins Glied!“, fertigte die Leiterin sie ab.
Dann wandte sie sich unserer Brigade zu:
„Wir müssen jetzt und hier die Mörderin entlarven. Ich für meinen Teil habe sie schon gefunden, doch zur Sicherheit frage ich noch einmal: bekennt sich jemand zu dieser Missetat?“ Langes Schweigen folgte. Dann zerschnitt Alexejs schrilles Weinen die Stille, als gleite ein heißes Messer durch ein Stück Butter. Ohne zu überlegen und ohne Erlaubnis stürzte ich los in Richtung Baracke. Eine Wache trat mir in den Weg. Mir wurde klar, dass mein Sohn und ich verloren waren: sie würden mich noch heute von ihm trennen, vielleicht würde ich schon morgen hingerichtet und der Junge würde allein bleiben, verhungern.
„Was willst du?“, hörte ich Irinas schroffe Stimme.
Ich dachte, sie wollte mir die Möglichkeit anbieten, meinen Sohn ein letztes Mal zu stillen und mich von ihm zu verabschieden, doch sie redete überhaupt nicht mit mir. Die verrückte Lora war nach vorn marschiert.
„Was willst du?“, wiederholte Irina.
„Ich habe sie umgebracht.“ Lora lächelte.
„Du?“
Lora winkte unbekümmert ab:
„Eine Getötete mehr, was macht das schon …“
Als der Arzt aus Zóny kam, ließ Irina uns erneut antreten, damit wir bei der Untersuchung der Toten zusahen. Sie sagte, dass man der Gefangenen Charlamowowa das Genick gebrochen habe und dass das nur jemand gewesen sein konnte, der eine spezielle militärische Ausbildung besaß. Wie Lora Berger. Der Arzt murmelte etwas vor sich hin, der Auftritt der Leiterin schien ihn nicht zu beeindrucken. Als er sich neben der Toten wiederaufgerichtet hatte, verlangte er, mich und das Kind zu sehen. Wir gingen in die Baracke.
Nach einer flüchtigen Untersuchung Alexejs entschied er, dass ich zufüttern müsse, jede Woche eine Dose Kondensmilch. Irina nickte. Der Arzt musterte sie. Ich kannte ihn bereits und erwartete, dass er gleich wieder eine Bemerkung machen würde, die Irina demütigte oder in Rage brachte. Er begann, indem er ihr ausführlich erläuterte, warum Mütter mit Neugeborenen in Lagerkrankenhäuser oder gesonderte Baracken verlegt würden.
Der Hauptgrund sei, dass sie andere Gefangene nicht störten. Irina sah ihn ungläubig an, auch sie erwartete, dass er jeden Moment zum Angriff überging. Und es geschah prompt, indem der Arzt sie anwies, in unserer Baracke eine Trennwand aus Holz zu ziehen, die Mutter und Kind wenigstens etwas von den anderen abschirmte. Zu meiner Überraschung protestierte Irina nicht. Sie gab sich auch später ruhig, als sie mir Anweisungen erteilte, wo und wie ich die neue Wand zu errichten hätte. Am Abend sprachen Anna und ich lange über das Vorgefallene. Uns beiden war klar, dass die Leiterin in der Baracke eine Zuträgerin hatte. Sie hatte ja selbst gesagt, sie wisse, dass Liedchen immer wieder gedroht hätte, meinen Sohn umzubringen. Dass Irina nichts dagegen unternahm bestätigte uns ein weiteres Mal, dass sie es auf den Tod Alexejs anlegte. Anna meinte, wir müssten alles daransetzen, dass ich mit meinem Sohn so schnell wie möglich aus Artek fortkam. Der Arzt war dabei unsere einzige Hoffnung, nur er konnte Alexej und mich wo anders hin verlegen. Gleichzeitig war mir aber auch klar, dass wir seine einzige Waffe gegen Irina waren. Würde er uns fortschicken, müsste er sich jemand anderes suchen.
„Du denkst also auch, dass der Arzt Irinas Unvermögen am besten dadurch beweisen könnte, wenn …“, begann Anna nach einer kurzen Pause.
„Ja, wenn Alexej sterben würde“, ergänzte ich.
Anna seufzte und senkte den Kopf. Es gab keine Rettung.
Ein paar Tage später brachten sie die erste Dose Kondensmilch für Alexej. Sie stammte von der amerikanischen Kriegshilfe und war riesig, ich schätze, sie fasste fünf Liter. Dank der Milch konnte ich meine alten Schulden aus jenen Wochen begleichen, als die Gefangenen mir Beeren aus dem Wald mitbrachten. Ein halber Napf süßer fetter Milch hatte einen ungeheuren Wert. Anna tauschte sie gegen Zucker, Brot und Seife, wir nahmen auch Tabak an, den wir uns für spätere Handelsgeschäfte beiseitelegten.
Als die Frauen mit ihren Bechern anstanden, drängelten sich Tanja und Jelena nach vorn. Die Hündinnen wollten auch Milch.
„Mach voll“, kommandierte Jelena und hielt Anna ihren Becher hin.
„Und was gibst du dafür?“, fragte Anna ruhig.
„Waaas?“ Jelena sah sie mit großen Augen an. Dann drehte sie sich zu Tanja um.
„Hast du sie gehört?“
„Mamachen“, Tanjas Augen funkelten vergnügt, „soll ich ihr die Hand brechen?“
„Wenn du mir die Hand brechen willst, werde ich dich nicht daran hindern“, sagte Anna und zuckte die Schultern. „Ich möchte euch beiden vorher aber eine Frage stellen. Glaubt ihr wirklich, dass Lora Liedchen umgebracht hat? Ich nicht! Wenn nun aber eine andere Liedchen getötet hat, dann ist sie noch immer unter uns. Und wir wissen ja alle“, Anna ließ ihren Blick über die Frauen schweifen, „warum Liedchen sterben musste. Sie wollte dieses Kind beiseitebringen. Jene, die sie umgebracht hat, tat es, um Alexej zu schützen. Wer von uns versucht, dem Jungen etwas anzutun, kann wie Liedchen enden.“
„Wer hat Liedchen aber dann umgebracht? Du doch nicht etwa?“, lachte Tanja.
„Ich bestimmt nicht, aber mit Sicherheit eine andere von uns“, schloss Anna.
„Ich kapier nicht, warum du jetzt davon anfängst“, sagte Jelena.
„Wir sind gekommen, um uns Milch von euch zu kaufen, genau wie die anderen Frauen. Sag, was du dafür willst und wir werden’s dir geben.“
„Wir tauschen gegen Tabak“, ging Anna zum Geschäftlichen über.
Tanja schnaubte mürrisch, doch Jelena legte ihr die Hand auf die Schulter. Dieses Mal hatte Anna die Hündinnen bezwungen, doch mir war klar, dass wir uns weiter vor ihnen in Acht nehmen mussten. Sie waren noch genauso gefährlich