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ein wenig auf die anderen Jungs schauen, wenn sie aus der Umkleide kommen. Gönn mir doch auch mal was.«

      Julie kicherte. »Von mir aus.«

      Zu dritt würden sie schon herausfinden, was es mit Luca auf sich hatte. Und danach konnte sie ihn zur Rede stellen, diesen unverschämten, arroganten Snob, der sie liebevoll gerettet hatte. Bestimmt hatte es etwas mit seinem traurigen Blick zu tun, das musste es einfach sein.

      »Wir schaffen das«, flüsterte Julie.

      Mit einem Mal spürte sie die Energie zurückkehren. Das Studium ging weiter, sie hatte den Unfall überstanden und sie würde Luca helfen, wie er ihr geholfen hatte.

      Julie lächelte.

      Die Übelkeit kam abrupt, der Schwindel direkt hinterher. Blitze tanzten vor ihren Augen, sie taumelte gegen die Wand. Etwas stimmte nicht. Etwas in ihr.

      »Jules?« Melissa riss besorgt die Augen auf. »Was ist los?«

      Sie sank gegen die Wand.

      Die Vorlesung hatte sich erledigt.

      Melissa fasste Julie am Arm und führte sie aus dem Gebäude. Frische Luft umwehte ihre Nase, der Geruch des nahen Laubs erinnerte sie an daheim. Einige Studenten waren unterwegs, warfen ihr einen interessierten Blick zu, gingen aber weiter. Vermutlich hatten sie das YouTube-Video gesehen, als es noch online gewesen war.

      »Dein Puls rast«, stellte Melissa fest, die Finger an Julies Handgelenk gelegt.

      Ihr Körper schien unter Strom zu stehen, ihr Hals pochte. Dazu kam die Übelkeit und diese verdammten Blitze zuckten vor ihren Augen. Es wurde nur langsam besser.

      »Was ist los?«

      »Ich bin wohl noch geschwächt. Doktor Zimmerman hat mich davor gewarnt.« Sie konnte ihr einfach nicht die ganze Wahrheit sagen.

      »Wir beide. Freundschaftstalk.« Damit hakte Melissa sich sanft unter und zog Julie mit sich.

      Sie verließen den belebteren Teil des Campus` und begaben sich in den Sportbereich. Die Footballer trainierten auf dem Feld, die Bänke waren größtenteils leer. Nur vereinzelt saßen Studenten dort und beobachteten die Spieler. Hier war man ungestört, konnte seinen Gedanken nachhängen und bekam obendrein einen schönen Anblick geboten.

      »Gibt es etwas, das du mir sagen willst?«, fragte Melissa, nachdem sie in der obersten Reihe Platz genommen hatten.

      »Was meinst du?«

      »Ich weiß nicht, nenne es ein Gefühl, aber du bist komisch. Und vorhin hast du total schuldbewusst dreingeschaut.«

      Julie winkte ab. »Ich bin nur müde.« Und vermutlich ziemlich krank.

      Sie wusste selbst nicht genau, weshalb sie es Melissa nicht sagen konnte. Es war wie eine Blockade. Sobald sie versuchte, die Worte auszusprechen, spürte sie diese Enge in der Brust, die nicht weichen wollte. Sich überhaupt damit zu beschäftigen, verschlang Kraft. Tausend Gedanken schossen ihr durch den Kopf, sobald sie an Doktor Zimmerman und die Blutwerte dachte. Natürlich konnte sie im Internet recherchieren, was solche Werte bedeuteten, aber damit hatte sie keine guten Erfahrungen gemacht.

      Vor einigen Jahren hatte ihre Mum ein dunkles Mal auf Joshs Hals entdeckt. Eine kurze Internetsuche später und die Hysterie war groß, handelte es sich doch ganz eindeutig um eine seltene Form von Hautkrebs. Da Wochenende war, hatte ihre Mum sie alle ins Auto verfrachtet und auf direktem Weg die Notaufnahme aufgesucht. Ihre ›beruhigenden‹ Worte hatten dafür gesorgt, dass absolut jedes Familienmitglied mit Joshs nahendem Tod rechnete, sogar ihr sonst stets gelassener Dad. Nach einer mehrstündigen Wartezeit kam die Erlösung: Es handelte sich um eine simple Pigmentstörung, die durch zu viel Sonnenbaden verursacht worden war. Josh hatte aufgeatmet, ihre Mum war in Tränen ausgebrochen und Dad den Rest des Tages grummelig durchs Haus geschlichen, seiner Frau böse Blicke zuwerfend.

      »Ich bin nur geschwächt«, wiederholte Julie.

      »Das wäre dann ein guter Grund, in den nächsten Wochen daheim zu bleiben.«

      »Ich kann …«

      »Doch«, unterbrach Melissa sie, »du kannst! Jules, das geht so nicht. Ich verspreche dir, jede Vorlesung mitzuschreiben, und Cullen geht für dich einkaufen. Bestimmt. Und das macht er gerne.«

      Julie musste kichern, wenn sie an Cullens mürrisches Gesicht dachte. »Okay, ich bleibe diese Woche daheim. Aber ab nächster sitze ich wieder in jeder Vorlesung.«

      Das Wintersemester war sowieso viel zu kurz. Die Kurse hatten noch nicht mal richtig angefangen, da zeichneten sich bereits die Weihnachtsferien ab. Und dann der Jahreswechsel, gefolgt von den Klausuren. Ihr wurde ganz übel, wenn sie sich die kratzenden Bleistifte auf Papier vorstellte oder das Klacken von Tastaturen in einem stillen Klausursaal.

      »Du bist der einzige Mensch, den ich kenne, der bei dem Gedanken an ein paar freie Tage so mürrisch dreinschaut.«

      »Ich möchte einfach nicht, dass das mein letztes Semester ist«, erklärte sie leise.

      »Wenn es jemanden gibt, der mit der vollen Punktzahl abschließen wird, dann du.« Melissa zuckte leichthin mit der Schulter. »Ich nehme mir das gar nicht erst vor. Gutes Mittelmaß reicht.«

      Manchmal beneidete Julie ihre Freundin um deren Leichtigkeit. Nichts schien sie aus der Ruhe zu bringen, alles wurde mit einem Lächeln und ein paar direkten Worten auf den richtigen Weg gebracht. Kein Wunder, dass jeder ihre beste Freundin mochte und mit ihr befreundet sein wollte.

      »Dann wäre das geklärt.« Zufrieden blickte Melissa auf das Spielfeld und winkte Cullen zu, der gerade vorbeirannte.

      »Hör auf, die Jungs abzulenken«, forderte Julie. »Der Trainer schaut schon wieder ganz grimmig.«

      »Ach, der soll sich nicht so anstellen.«

      »Ich sage nur Patryk.«

      »Bisher ist noch keiner der Spieler wegen mir gegen den nächsten Baum gerannt«, kommentierte Melissa.

      »Hier stehen ja auch keine«, konterte Julie. »Aber vielleicht knallen sie gegeneinander. Sowas soll vorkommen.«

      »Wenn wir schon mal hier sind, widmen wir uns dem wichtigsten Ziel des Semesters«, wechselte Melissa das Thema.

      »Die Klausuren?«

      »Ich ignoriere das jetzt einfach Mal. Natürlich spreche ich von Luca Jackson. Der geheimnisvolle Unbekannte, der dir den Kopf verdreht hat.«

      »Melissa!«

      »Ist ja gut. Der geheimnisvolle Unbekannte, der dir den Kopf verdreht hat, aber ein total gemeiner Snob ist. Besser?«

      »Ich hasse dich.«

      »Das weiß ich doch.« Melissa zog Julie in eine Umarmung. »Ich dich auch.«

      Sie prusteten beide los. Es tat so gut, mit ihrer Freundin hier auf der Tribüne zu sitzen, die warmen Strahlen der Herbstsonne auf der Haut zu spüren und die frische Luft ringsum. Für ein Mädchen aus einer Kleinstadt war New York eine beängstigende Erfahrung. Alles war laut, dicht und voll. Andererseits besaß man eine unglaubliche Freiheit, denn man konnte in der Menge untertauchen und keine Verkäuferin im Supermarkt erzählte der eigenen Mutter, was man gekauft hatte, bevor man überhaupt wieder daheim angekommen war. Diese ruhigen Momente waren Balsam für Julies Seele.

      »Wenn du morgen daheimbleibst, kannst du dich voll und ganz dem Thema Luca widmen«, erklärte Melissa.

      »Weil mein Leben sich auch nur um ihn dreht.«

      Julie beschloss, morgen den Arzt aufzusuchen. Sie benötigte sowieso eine Bescheinigung für das Sekretariat, immerhin würde sie auch Pflichtveranstaltungen verpassen. Glücklicherweise konnte sie den Unfall jederzeit nachweisen, sie musste lediglich ihre Rippen präsentieren, oder ihre Hüfte. Ihr Körper hatte sich in ein von blauen Flecken übersätes Kunstwerk verwandelt.

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