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dem Fenster graute bereits der Morgen. In Kürze würde der Arzt vorbeischauen, der sie in der Notaufnahme mit grimmigem Blick in Empfang genommen hatte. Viel zu oft und zu fest hatte er auf ihrem Körper herumgedrückt.

      Ja verdammt, es tat weh!

      Nein, sie hatte nichts getrunken!

      Ja, sie kannte das heutige Datum und ihren Namen!

      Julies Gedanken wurden von einer Tasche unterbrochen, die quer durchs Zimmer segelte, vom anvisierten Besucherstuhl abprallte und auf den Boden knallte. Der Inhalt verteilte sich überall – Lippenstift, Make-up, ein Deospray und die aus Österreich importierten Mozartkugeln, die ihre Freundin seit einer Urlaubsreise nach Wien abgöttisch liebte.

      »Mist«, kommentierte Melissa. »Von Weitem sah der Stuhl größer aus.«

      »Mel.« Julie wollte sich aufrecht hinsetzen, aber die Schmerzen ließen es nicht zu.

      »Als ich zu spät kam und du Oberstreberin nicht in der Vorlesung warst, dachte ich mir schon, dass da was nicht stimmt.« Sie eilte herbei und betrachtete Julie von oben bis unten. »Keine Umarmung?«

      »Eher nicht.«

      »Schon klar.« Sie klaubte die Gegenstände vom Boden auf, stopfte alles zurück in die Tasche und stellte diese sorgfältig neben den Besucherstuhl, nur um dann selbst darauf Platz zu nehmen. »Ich will jedes Details wissen.«

      »Habe ich viel Stoff verpasst?«

      Melissa verdrehte die Augen und kringelte eine ihrer dunklen Locken um den Finger. Ihr Schmollmund verzog sich ärgerlich und selbst mit dieser Grimasse sah sie umwerfend aus. Es hätte Julie nicht gewundert, wenn hinter ihrer Freundin etliche Krankenpfleger gegen die nächstbeste Tür gedonnert wären, weil sie ihr nachstarrten. Die Erinnerung an den armen Hilfsdozenten, der wegen Melissa die Treppe heruntergestürzt war und seitdem mit Krücken durch das College irrte, verdrängte sie schnell. Lachen schmerzte.

      »Du wurdest gerade von einem Truck überrollt …«, kam es dozierend.

      »Von einem Auto angefahren«, korrigierte Julie, doch Melissa ließ sich nicht beirren.

      »… es ist ein Wunder, dass du überlebt hast. Und deine erste Frage betrifft die Vorlesungen?! Jules, entspann dich wenigstens hier im Krankenhaus. Sonst bekommst du noch einen Herzinfarkt. Haha.« Ein panischer Blick auf das Nachbarbett folgte. »Sie hat doch keinen?«

      »Nicht, dass ich wüsste.« Genau genommen hatte Julie nicht den Hauch einer Ahnung.

      »Puh, das wäre ja mal ein Fettnapf gewesen, was? Aber zurück zu dir.« Arme wurden verschränkt, ein ›böser‹ Blick abgefeuert. »Sobald du hier raus bist, schleife ich dich auf eine Party. Du. Musst. Entspannen.«

      Womit sie vermutlich recht hatte. Doch noch immer kam Julie New York vor wie ein wahr gewordener Traum. Ein Jahr lang hatte sie mit drei Jobs parallel jongliert, um genug Geld für das erste Semester zusammenzusparen. Ihre Hoffnung war, dass die Noten in den Klausuren ausreichten, damit sie eines der begehrten Wentworth-Stipendien erhielt. Andernfalls würde es kein zweites Semester für sie geben. Mit dem Job in Beckys Coffeeshop kam sie gerade so über die Runden, schließlich musste sie auch die Miete irgendwie aufbringen. Außerhalb des Campus zu wohnen war ungewöhnlich, doch in ihrem Fall galten besondere Umstände. Einer dieser Umstände saß anklagend vor ihr.

      Zusammen mit Melissa und Cullen teilte sie sich eine kleine WG, die sie sich nur leisten konnten, weil die Vermieterin ein Herz für Studenten hatte und entsprechend wenig Miete verlangte.

      »Jetzt hast du wieder diesen Blick drauf«, meldete sich ihre Freundin prompt zu Wort. »Als wärst du Bambi und jemand hätte dich getreten. Du willst nur, dass ich ein schlechtes Gewissen bekomme.« Sie seufzte. »Ich habe brav jede Vorlesung besucht, was nicht einmal ansatzweise meiner Natur entspricht, und alles mitgeschrieben. Die Unterlagen kannst du dir kopieren.«

      Julie atmete auf. »Du bist die Beste.«

      »Ich weiß.«

      Ein hochgewachsener Student betrat den Raum. Missbilligend betrachtete er Julie. Obwohl er breit war wie ein Schrank auf zwei Beinen und mit dem markanten Gesicht und dem dichten blonden Haar wie einem Modelkatalog entsprungen wirkte, konnte sie nur kichern.

      »Nicht witzig, Jules«, stellte Cullen klar.

      Er trug einen gewaltigen Eisbecher und zwei Löffel in ihre Richtung. Ohne lange zu diskutieren, schob er sie sanft beiseite und legte sich neben sie auf das Bett.

      »Strawberry-Cheesecake?« Sie konnte die Beschriftung der Eispackung nicht richtig erkennen.

      »Was sonst?«

      Cullen drückte ihr einen Löffel in die Hand und öffnete den Becher für sie. Der Knoten in Julies Brust schien nur auf diesen Augenblick gewartet zu haben und löste sich. Heiße Tränen rannen über ihre Wangen, ein Schluchzen schüttelte ihren Körper.

      »Hey, alles gut.« Cullen legte Löffel und Eisbecher beiseite und zog ihren Kopf sanft auf seine Brust. »Du hast uns einen verdammten Schrecken eingejagt.«

      Melissa quetschte sich sitzend auf das Bett und streichelte Julies Haar. Prompt musste sie noch mehr weinen.

      »Lass es raus«, flüsterte Cullen.

      »Wie machst du es nur, dass du immer so gut riechst?«, fragte Julie leise.

      »Das sind die Gene.«

      Melissa prustete los. »Könnte auch daran liegen, dass du morgens eine Stunde im Bad verbringst.«

      »Irgendein Klischee muss halt sein.«

      Cullen war der einzige Footballspieler am College, der nicht nur schwul war, sondern auch völlig offen damit umging. Es war seiner Muskelkraft zu verdanken, dass er keine Probleme bekam und obendrein war er ein genialer Quarterback. Niemand wollte sich mit ihm anlegen, im Gegenteil.

      Sehr zu Melissas Missfallen, mochte Cullen weder romantische Komödien noch ging er gerne shoppen oder interessierte sich für Mode. Stattdessen machte er ständig Kraftsport, hing mit seinen Footballkumpel ab und stopfte bei jeder Gelegenheit Pizza in sich hinein.

      Nur langsam bekam Julie ihren Heulkrampf wieder in den Griff. Sie benutzte das Taschentuch, das Melissa ihr reichte, schnappte sich den Löffel und schob sich eine große Portion Eis in den Mund. »Fehlt nur noch der richtige Film.«

      »Ich dachte, du hast genug Romantik abbekommen.« In Cullens Augen trat ein belustigtes Funkeln. »Immerhin hat sich ein heißer Typ um dich gekümmert.«

      »Was?« Melissa fuhr kerzengerade in die Höhe. »Wieso weiß ich das nicht? Moment, woher weißt du davon?«

      »Würde ich auch gerne wissen«, bekräftigte Julie.

      Cullen grinste breit und verschlang eine große Portion Eis. »Mit vollem Mund spricht man nicht«, nuschelte er.

      Kurzerhand riss Melissa den Eisbecher an sich und stellte ihn außerhalb seiner Reichweite ab.

      »Hey!«, protestierte er.

      »Antworten, Mister. Sofort.«

      »Ist ja gut«, seufzte Cullen. »Du bist am College ein YouTube-Star. Jemand hat den Crash aufgenommen und das Video hochgeladen. Deshalb wusste ich ja, dass du im Krankenhaus liegst und konnte Melissa schreiben, dass du einen Unfall hattest. Hast du wirklich gesagt: ›Die Fliege war schuld‹?«

      Julie erbleichte.

      Melissa brach in schallendes Gelächter aus. »Das kannst du nur mit ›Ich habe eine Melone getragen‹ toppen.«

      Julie warf das Taschentuch nach ihrer besten Freundin.

      »Igitt.« Mit spitzen Fingern nahm diese es auf, um es zu entsorgen.

      »Aber unserem Neuling hast du einen ganz schönen Schrecken eingejagt. Dachte echt, der kippt gleich neben dir um«, sprach Cullen weiter. »Der hat den Fahrer des Krankenwagens angebrüllt, er solle gefälligst endlich losfahren, da warst du noch gar nicht richtig

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