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in gewisser Weise politischen Flüchtlingen. Man spricht im Fluchtkontext von Push- und Pull-Faktoren. Push-Faktoren sind die Umstände in der Heimat, die einen Menschen zur Flucht treiben, Pull-Faktoren diejenigen, die ihn in ein anderes Land locken. Ich kann vor mir selbst fliehen, weil ich es aus irgendeinem Grund (der mir manchmal mehr, manchmal weniger bewusst ist) mit mir selbst nicht mehr aushalte. Das können zum Beispiel Schamgefühle und Verletzungen unterschiedlicher Art sein. Zu diesem inneren Chaos gesellen sich die ständigen Verlockungen der Umgebung, die mich zu Spannenderem oder Wichtigerem als der Beschäftigung mit mir selbst ziehen wollen.

      So überlasse ich mein eigenes Haus dem Verfall. Vielleicht sogar im Namen Gottes: Ich wende mich von meinen eigenen Problemen ab, um stattdessen »Gott zu suchen«. Als ob ich ihn irgendwo anders finden könnte als dort, wo ich selbst bin. Augustinus sagte nach bitterer Erfahrung im Gebet: »Du warst im Inneren, und ich war draußen und suchte dich dort.«

      Die Flucht vor unserem Inneren ist die Ursache für eine Reihe verschiedener Führungsprobleme. Natürlich spielen immer mehrere Gründe zusammen, aber ich wage dennoch zu behaupten: Eine tief greifende Erfahrung von Gottes Liebe würde einen großen Unterschied machen. Wenn sich ein Mensch nicht länger vor den eigenen inneren Abgründen in die Führungsetage flüchtet, dann findet eine tief greifende Heilung der ganzen Art und Weise statt, wie er andere führt. In der ältesten Biografie über Benedikt heißt es, er habe bei sich selbst wohnen können, da er »nur unter Gottes Augen lebte«.4

      Vielleicht hilft es, ein paar der Probleme aufzulisten, denen wir gegenüberstehen, wenn wir vor uns selbst flüchten. Hinter vielen Problemen, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben, versteckt sich ein Mangel, dem in der Tiefe nur mit Quellen jenseits unserer menschlichen Ressourcen begegnet werden kann. Es kann hier um eine Führungsperson gehen, die:

      • dominant ist – weil sie auf Grund ihrer Unsicherheit vorsichtshalber zu groß macht und damit alle anderen unterdrückt;

      • kontrollierend ist – weil ihr die sichere Erfahrung fehlt, dass jemand anderes die Kontrolle hat, und deshalb alle Fäden selbst in der Hand hält;

      • schwach und konfliktscheu ist und abweisend wird, sobald sie auf Widerstand stößt;

      • ständig auf der Jagd nach Bestätigung ist, indem sie sich »interessant« macht;

      • ergebnisfixiert ist und die ganze Zeit Belege darüber sammelt, dass »ich ein guter Leiter bin«;

      • einsam und isoliert ist, gefangen in der Lüge, dass »ich nicht wert bin, in Gemeinschaft zu sein«;

      • anhänglich und aufdringlich ist – weil sie Angst hat, mit ihrem schwarzen Loch aus Selbstverachtung allein zu sein;

      • wie ein Fähnchen im Wind ist – weil sie ihren Mangel an Selbstwertgefühl mit den »richtigen« Ansichten und politisch korrekten Referenzen kompensiert;

      • rigide ist – weil bei ihr das schwache Selbstwertgefühl ins Gegenteil umschlägt und in einem festen System aus Ansichten und Verhaltensmustern Schutz sucht;

      • eifersüchtig ist und sich von der Stärke und dem Erfolg anderer bedroht fühlt (»Er hat alles, was mir fehlt«);

      • arbeitssüchtig ist – weil sie durch ihre Arbeit ihr Selbstwertgefühl hochzuhalten versucht und es sich »nicht leisten kann«, Nein zu sagen;

      • im Team und in der Führung cholerisch ist und Widerstand und Hinterfragen sofort als Angriff auf die eigene Person wertet (und damit die Sachfrage verdeckt);

      • abhängig von einem Fanklub ist, Bewunderer und Ja-Sager sammelt, die sie bestätigen, während sie sich gleichzeitig von anderen distanziert;

      • Kompetenzen hinterherjagt – weil sie das mangelnde Selbstwertgefühl und Vertrauen in die eigenen Erfahrungen mit der ständigen Teilnahme an neuen Kursen und Zeugnissen kompensiert;

      • zu religiös ist – weil ihr brüchiger Selbstwert sich ständig nach einem Gott ausstreckt, vor dem man nie religiös genug ist;

      • nicht religiös genug ist, denn jeder Schritt zu einem deutlicheren Bekenntnis würde zu viel Bestätigungsverlust von der Umwelt bedeuten;

      • fordernd ist – weil das geringe Selbstwertgefühl von Gottesbildern und Theologien angezogen wird, die immer mehr fordern und damit die eigene Armseligkeit bestätigen.

      Und so weiter. Der gleiche grundlegende Mangel an Liebe kann sich also in ganz gegensätzlichem Verhalten ausdrücken und in allen Biotopen der christlichen Landschaft auftauchen. Hier erweisen sich Stempel wie »konservativ« und »liberal« einmal mehr als unzureichend und irreführend. Wenn das Ich friert, zeigt sich, wie dünn das Feigenblatt ist, hinter dem wir uns als Führungspersonen so gern verstecken: die prestigevolle Ausbildung. Die Position, um die sich so viele beworben haben. Das Netzwerk mit all den »wichtigen« Führungskräften. Die neuste geistliche Bewegung. Die Statistik, die man lässig und diskret vor den Kollegen in einem Nebensatz erwähnen kann. Die richtigen Bücher, aus denen man bei passenden Situationen zitiert.

      Der Hunger des inneren Menschen

      Nichts davon kann den inneren Hunger stillen. Wie können Sie als Führungsperson also mit Ihrem Ich umgehen? Folgende drei häufige Irrwege sollten Sie vermeiden:

      Der erste und vielleicht üblichste ist, den Schrei des inneren Menschen ganz einfach zu ignorieren und so weiterzumachen wie bisher. Das erlaubt dem Ich, sich ungehemmt und unreflektiert in Arbeit und Führungsposition auszubreiten. Es gibt viele und deutliche Beispiele für diese Art von Führung, sowohl in der Politik als auch in der Kirche. Das unstillbare Bedürfnis des Ichs nach Trost und Bestätigung ist Antrieb und Agenda bei dieser Art von Führung, die sich selten oder nie mit den Bedürfnissen anderer Menschen deckt.

      Der zweite Irrweg stellt sich deutlich geistlicher dar. Hier ist der Mensch so erschrocken über die eigenen Neigungen zu Macht, Ehrgeiz und Bestätigung, dass er ganz einfach die Flucht ergreift. Er wagt es nicht, sich oder andere diesen gefährlichen Tendenzen auszusetzen, und sucht sich deshalb eine andere Arbeit als die in der Kirche. Er entscheidet sich für eine Umgebung, in der er hofft, andere weniger zu gefährden.

      Ignatius von Loyola greift dieses heimtückische Gedankenmuster am Schluss seiner Geistlichen Übungen auf. Er rät dem, der sich in solchen Gedanken wiederfindet, »den Verstand zu seinem Schöpfer und Herrn zu erheben.« Von diesem beständigen Ausgangspunkt her solle die Person »im diametralen Gegensatz zu dieser Versuchung handeln«.5

      Des Weiteren zitiert Ignatius den Mönch Bernhard von Clairvaux aus dem 12. Jahrhundert. Dieser begnadete Prediger, der die Massen wirklich entflammen konnte, hörte während einer seiner Predigten, wie der Teufel ihm zuflüsterte: »Du bist wirklich ein großer Prediger«, um ihn dadurch mit seinem eigenen Ehrgeiz zu erschrecken. Bernhard durchschaute den Trick, unterbrach seine Predigt und sagte zum Teufel: »Ich habe nicht deinetwegen angefangen zu predigen und ich werde auch nicht deinetwegen aufhören.«

      Eine dritte falsche Methode, den Anforderungen des hungrigen und unzufriedenen Ichs zu begegnen, ist, ihm den Krieg zu erklären. Durch die Kirchengeschichte hinweg sind zu diesem Thema Unmengen an sogenannter »asketischer Literatur« verfasst worden. Natürlich findet man dort viele gute Ratschläge und Erfahrungen, die helfen können. Gleichzeitig birgt dieser Ansatz jedoch das Risiko, dass sich der Fokus verschiebt: weg von Christus und der eigenen Reaktion auf ihn hin zur Bekämpfung des eigenen Ichs als Feind. Das Ich behindert dann eher in der Nachfolge, als dass man aus seinem tiefsten Wesen heraus Ja zu Christus sagt.

      Das, was nicht sein darf, neigt dazu, alles auszufüllen. Das gilt für fast alles, dem wir in unserem Leben den Krieg erklären. Eine Person, die nie ihre Sexualität akzeptiert hat, wird vermutlich umso mehr davon geplagt werden. Wer die Wut nicht als natürlichen Teil des Lebens angenommen hat, der wird (ebenso wie seine Umgebung) von unkontrollierten Wutausbrüchen überrascht werden oder mit der Zeit von Depressionen (als Folge von unterdrückter Wut) betroffen sein. Wer keine Art gefunden hat, den Tod zuzulassen und als Teil des Lebens zu akzeptieren,

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