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Wenn er kann, soll er auch herkommen.“

      Dass er die beiden Ermittler kommen lässt, bedeutet hoffentlich, dass er mir glaubt. Die Sekretärin ruft den Staatsanwalt an und ich lasse den Polizeichef eine Minute allein, gehe hinaus auf den Flur und checke per Handy, wie sich die Bilder bisher verbreitet haben. Dann höre ich am Ende des Ganges jemanden fluchen. Als ich hochschaue, marschiert Jim Pace auf mich zu. Seine Augen sind gerötet, seine Schritte energisch. „Dylan, sag mir, dass du das nicht warst!“

      Dass er das überhaupt in Erwägung ziehen kann, lässt meine Augen brennen. Ich gehe ihm entgegen. „Jim, warum sollte ich wohl wollen, dass diese Bilder in Großformat über die Bildschirme flimmern? Warum sollte ich wollen, dass Leute sie weiterverschicken und dass Elise sie zu sehen bekommt? Ich kann mir nichts Schlimmeres vorstellen.“

      Jims Lippen zittern und er hat sich nicht mehr in der Gewalt. Er schlägt die Hände vors Gesicht und kehrt mir den Rücken zu. „Ich kann es einfach nicht glauben“, stammelt er. „Seine Mutter …“

      „Ich glaube es auch kaum“, flüstere ich.

      Er dreht sich zu mir um. „Wer hatte Zugang zu diesen Fotos?“

      „Die Leute von der Spurensicherung, die sie gemacht haben“, sage ich. „Und natürlich die Ermittler, die den Fall bearbeiten. Aber mir wollte man keinen Zugriff auf diese Fotos geben und das hat seinen Grund. Für diese Bilder gibt es sehr strenge Beweismittelsicherungsbestimmungen. Alles zu dem Zweck, es der Familie zu ersparen, noch einmal mit allen Einzelheiten konfrontiert zu werden.“

      Am Ende des Ganges entsteht Bewegung und ich höre Keegans Stimme, der, Rollins im Schlepptau, auf uns zumarschiert. Keegan ist wütend, hat das Kinn vorgestreckt und schaut mich von oben herab an, als wolle er sich gleich auf mich stürzen. Ich straffe die Schultern und gehe ihm entgegen.

      Dann sieht Keegan Jim und seine Miene verändert sich. Er streckt ihm die Hand entgegen. „Jim, das tut mir schrecklich leid. Wir gehen der Sache auf den Grund, und wenn wir herausfinden, wer das war …“ Er lässt Jims Hand los und zeigt mit dem Finger auf mich. Mit jedem Wort schnellt sein Finger vor: „Wenn. Wir. Herausfinden. Wer …“

      Gates hat uns gehört und ruft uns zu sich in sein Büro. Keegan geht sofort in die Offensive, kaum dass er über die Schwelle ist. „Chef, sehen Sie, was passiert, wenn man sich Hilfe von außen holt. Er ist ein Anfänger – ein Amateur! – und so einer hat in einem Mordfall nichts verloren.“

      „Wissen Sie, ich habe diese Fotos nicht an die Presse lanciert“, knurre ich.

      „Ach nein? Und wer sagt mir, dass das stimmt?“

      „Ich. Denn ich hatte darum gebeten, diese Fotos zu bekommen, und Sie selbst haben sie mir verweigert.“ Ich wende mich an Rollins. „Sie waren dabei. Sie haben es gehört.“ Rollins sieht aus, als sei er eben erst aus dem Bett gekrochen, und er riecht nach Alkohol. Er sagt keinen Ton.

      „Sie haben die Bilder abfotografiert“, wirft Keegan mir vor.

      „Aber nicht die mit der Leiche. Sie haben genau beobachtet, welche ich fotografiert habe. Sie haben neben mir gesessen und genau verfolgt, was ich tat. Wir haben besprochen, welche ich abfotografieren kann.“

      „Und Sie haben anscheinend nicht zugehört!“

      „Setzen Sie sich!“, brüllt der Polizeichef und tritt gegen den Stuhl, den er Keegan rüberschiebt. Keegan und Rollins nehmen Platz, aber ich stehe noch immer mit Brents Dad in der Tür. Ich muss Jim sagen, dass er sich entscheiden muss, wem er mehr vertraut – mir oder ihnen. Aber ich muss vorsichtig sein.

      Jetzt reden alle durcheinander, jeder will den anderen übertönen. Ich schweige und lehne mich gegen die Wand.

      Schließlich lässt sich Gates in seinen Stuhl fallen. Sofort herrscht Schweigen. „Jim, ich hoffe, Sie glauben mir, wenn ich sage: Ich wusste nichts von dieser Sache und ich werde noch heute Ermittlungen anordnen, um herauszufinden, wer die Fotos weitergegeben hat.“ Bei diesen Worten sieht er nacheinander mich, Keegan und Rollins an. „Und Sie können mir glauben: Wenn wir Ergebnisse haben, werden hier Köpfe rollen.“

      Er reibt sich die Schläfen und faltet die Hände vor dem Gesicht. „Jim, ich rufe den Sender an und verlange, dass die Bilder aus dem Netz genommen werden. Aber damit ist die Sache noch nicht vorbei. Vermutlich haben weitere Medien das Thema bereits aufgegriffen. Wir leben eben im Zeitalter von Sharing und Tweets. Wir können diese Bilder nicht restlos wieder einfangen.“

      Er lehnt sich in seinem Stuhl zurück und fährt sich mit den Fingern durchs Haar. „Aber zumindest einen Lichtblick gibt es in dem Ganzen. Es wird die Leute daran erinnern, dass Casey Cox kein weiblicher Ritter in schimmernder Rüstung ist, sondern eine kaltblütige Mörderin. Vielleicht führt das ja dazu, dass jemand sie anzeigt. Wo immer sie steckt.“

      Jim richtet seinen gequälten Blick auf den Polizeichef. „Das reicht nicht, damit meine Frau dieses Bild vergisst.“

      „Ich weiß“, nickt Gates.

      „Was wissen Sie!“, schießt Jim zurück. „Er war nicht Ihr Sohn. Sie kannten ihn nicht einmal. Was wissen Sie also?“

      Gates bleibt ruhig, er sackt in seinem Stuhl zusammen, erscheint jetzt fast kleinlaut. Keegan und Rollins starren auf den Fußboden; sie vermeiden jeglichen Blickkontakt. Ich sehe Jim an und wünschte, ich könnte ihm seinen Schmerz abnehmen. Sein Blick trifft den meinen und ich lese darin, dass er mir vertraut. Mehr muss ich nicht wissen.

      Die Männer, die jetzt hier in einem Raum mit ihm sitzen, sind die Mörder seines einzigen Sohnes. Und wenn es das Letzte ist, das ich in meinem Leben tue, aber ich werde dafür sorgen, dass sie dafür zur Verantwortung gezogen werden. Nichts täte ich lieber, als Jim jetzt schon wissen zu lassen, dass Casey Cox nicht diejenige ist, die für diese Verbrechen bezahlen sollte. Aber ich weiß, dass er das im Moment noch nicht annehmen könnte.

      Schließlich ergreift Jim das Wort. „Dylan war es jedenfalls nicht. Ich will, dass er in diesem Fall weiterermittelt.“

      „Okay“, sagt der Polizeichef. „Aber ich schwöre, wenn wir herauskriegen, wo das Leck war, dann verliert hier jemand seinen Job. Und vielleicht folgt noch eine Anklage wegen Behinderung der Justiz und Manipulation von Beweismitteln.“

      Keegan nickt und schießt einen bösen Blick auf mich ab. Rollins hält den Kopf gesenkt.

      „Okay, und jetzt raus hier, alle drei“, sagt Gates.

      Ich verlasse als Erster den Raum, Keegan und Rollins kommen hinterher. Sobald wir auf dem Flur sind, packt Keegan mich am Arm. Ich drücke ihn unwillkürlich an die Wand. Ich schwitze, halte ihn aber dort fest, mein Gesicht ist nur Zentimeter von seinem entfernt. „Sie rühren mich nicht noch einmal an“, sage ich zwischen den Zähnen hindurch.

      Meine Reaktion irritiert ihn – ebenso wie mich selbst –, und als ich ihn loslasse, macht er ein paar Schritte, dreht sich dann aber noch einmal zu mir um. „Sie verlieren die Neven, Mann! Sie sind zu hundert Prozent unzurechnungsfähig!“

      Rollins steht zwischen uns und versucht, Keegan zum Schweigen zu bringen. Ich kann sehen, dass er Angst davor hat, was ich als Nächstes tun könnte.

      Aber Keegan ist noch nicht fertig. „Und nur, damit das klar ist: Fassen Sie mich noch einmal an, dann werden Sie sehen, aus welchem Holz ich geschnitzt bin.“

      Ich würde ihm am liebsten sagen, dass ich weiß, aus welchem Holz er geschnitzt ist, und zurückfragen, ob er mich dann erstechen will wie meinen Freund. Es ist schon ironisch, dass er gerade außerhalb meiner Reichweite ist, als er mir droht. Ich muss hier verschwinden, bevor ich eine Dummheit begehe. Ich schüttele den Kopf, gehe an Rollins vorbei und rempele Keegan mit der Schulter an, um zu sehen, wie er reagiert. Er weicht einen Schritt zurück. Feiger Hund.

      Ich marschiere durch den Flur zum Ausgang.

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