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meine Sonnenbrille dabei. Autos fahren an mir vorbei, aber niemand sieht mich.

      Ich muss mit jemandem reden. Also laufe ich zurück in mein Hotel. Mit meinem neuen Handy gehe ich ins Internet und rufe die Seite mit meinem geheimen E-Mail-Konto auf – das unter dem Namen Kein-Untergang. Ich will wissen, ob Dylan mir geschrieben hat. Hat er.

      Lassen Sie mich wissen, wann und wo wir reden können. Ich habe Ihnen eine Menge zu erzählen.

      Ich würde ihm gern antworten, besinne mich dann aber eines Besseren. Ich bin so weit gekommen, habe mich so lange versteckt. Wenn ich ihn anrufe – woher weiß ich, dass er nicht direkt neben Keegan sitzt und der den Anruf mithört?

      Dann versuche ich, mich an den besorgten Blick in seinen Augen zu erinnern, als er mich aus Dotsons Haus befreit hat, als er mich aus diesem schrecklichen Keller in die Freiheit zog, als er mich gehen ließ.

      Vielleicht kann ich ihm wirklich trauen. Zumindest in gewissem Maß. Wenn ich vorsichtig bin …

      Ich tippe:

      Ja, wir können reden. Geben Sie mir eine sichere Nummer.

      Ich warte ungefähr eine halbe Stunde, gucke immer wieder in meine Mails, um zu sehen, ob er geantwortet hat. Ich zwinge mich selbst, mich aufs Fernsehen zu konzentrieren, weiß aber gar nicht, was ich da schaue. Endlich, nach zwei Stunden, sehe ich seine Antwort. Es ist eine Telefonnummer, dann die Worte:

      Bitte rufen Sie an. Die Nummer ist sicher.

      Etwas schnürt mir die Kehle zu und ich muss schlucken. Setze ich mein Leben aufs Spiel, wenn ich den Anruf mache? Aber dann empfinde ich Frieden – zum ersten Mal seit Wochen tiefen inneren Frieden. Ich greife zum Handy und gebe die Nummer ein. Mein Herz rast, während ich auf die Verbindung warte. Es klingelt einmal, zweimal …

      „Hallo?“

      Ich schweige ein paar Sekunden, dann frage ich: „Warum haben Sie mich laufen lassen?“

      „Weil Sie unschuldig sind.“

      Jetzt laufen die Tränen wieder und ich kann nicht sagen, ob es Erleichterungstränen oder Tränen noch tieferer Trauer sind. „Woher wollen Sie das wissen?“

      „Ich habe Nachforschungen angestellt. Ich glaube den Unterlagen, die Sie mir geschickt haben – den Dingen, die in Brents Dateien stehen. Das ist die Wahrheit. Und ich werde Keegan und Rollins und alle, die sonst noch in diese Geschichte verwickelt sind, auffliegen lassen. Aber das kann ich erst, wenn ich unwiderlegbare Beweise habe. Ich will eine Anklage erhärten können. Sie werden nicht damit davonkommen.“

      Ich schniefe und wische mir mit dem Ärmel die Tränen ab. „Und Sie suchen weiter nach mir?“

      „Ja“, sagt er. „Ich möchte Sie finden, bevor die anderen es tun. Vor denen sind Sie nicht sicher. Sagen Sie mir, wo Sie sind.“

      „Nein“, sage ich rasch. „Dazu vertraue ich Ihnen nicht genug.“

      Es ist ein paar Sekunden lang still. „Casey, alles Ordnung mit Ihnen? Dotson hat Sie übel zugerichtet. Waren Sie beim Arzt?“

      „Nein“, sage ich. „Es geht schon.“

      „Ihr Mut ist bewundernswert.“

      Ich unterbreche ihn gereizt. „Überhaupt nicht. Ich bin abgehauen.“ Ich schließe die Augen und ziehe die Knie an die Brust. „Ich bin auf der Flucht.“

      „Aber man hat Ihnen eine Falle gestellt.“

      „Und? Was soll ich also tun? Zurückkommen? Ist das Ihre Lösung?“

      „Nein. Ich möchte, dass Sie bleiben, wo Sie sind. Oder irgendwohin gehen, wo Sie sicher sind. Auch wenn ich nicht sagen kann, wo das ist.“

      Ich öffne die Augen wieder und wische mir übers Gesicht.

      „Wenn ich Sie nicht finden kann, dann kann Keegan es wahrscheinlich auch nicht. Offen gesagt, bin ich ziemlich gut.“

      Ich lache und bin selbst überrascht. „Ja, sind Sie.“

      „Sie aber auch. Ein normaler Mensch könnte nicht so lange untertauchen, wie Sie es jetzt bereits geschafft haben.“

      „Es ist eben besonders wichtig für mich.“

      „Ja, das ist es.“ Für einen Moment ist da zwischen uns etwas Menschliches, Zartes. „Casey, ich habe Ihnen gesagt, dass ich an PTBS leide. Und da hilft es immer, mit jemandem zu sprechen. Wenn Sie einen Therapeuten finden, müsste er alles, was Sie sagen, vertraulich behandeln.“

      „Nicht, wenn er glaubt, dass ich einen Mord begangen habe.“

      „Dann wenden Sie sich an eine Kirchengemeinde. Sie brauchen Hilfe. Sie können das, was Sie durchgemacht haben und noch durchmachen, nicht allein bewältigen. Ich weiß das.“

      Ich starre auf den Fernseher, aber ich sehe nur Dylans Gesicht vor mir, dieses Gesicht, das ich nur einmal gesehen habe. „Warum haben Sie das?“

      „PTBS? Ich war Kriminalermittler bei der Armee. Ich war in drei Auslandseinsätzen, einmal im Irak und zweimal in Afghanistan. Ich war nicht bei der kämpfenden Truppe, aber ein paarmal geriet ich in Granatenangriffe. Das Schlimmste passierte bei meinem zweiten Konvoi-Einsatz … wir fuhren in eine Sprengfalle. Wir haben … Leute verloren.“

      Ich höre den Schmerz in seiner Stimme, so abgehackt kommen seine Worte.

      „Ich weiß, ich sollte mich glücklich schätzen, dass ich überlebt habe. Aber ich kann meine Gedanken nicht immer kontrollieren.“

      Seine Stimme verliert sich und ich weiß, er wird nicht mehr zu diesem Thema sagen. Ich bin ratlos, was ich antworten soll. Alles, was mir einfällt, klingt banal und abgenutzt.

      „Sie haben auch traumatische Erfahrungen gemacht, und nicht nur einmal“, fährt er fort. „Sie waren zwölf, als Sie Ihren Vater tot aufgefunden haben. Haben Sie darüber schon jemals mit irgendjemandem geredet?“

      „Ja, mit den Polizisten. Sie klangen, als ob sie Anteil nehmen würden, aber dann sind sie verschwunden und ich hab nie wieder von ihnen gehört. Und ich habe mit Brent geredet.“ Ich schlage wieder die Hände vors Gesicht, als könnte er mich sehen. „Dylan, wenn Sie mir helfen wollen, dann schützen Sie meine Familie. Schützen Sie Hannah und ihren Mann und das Baby. Schützen Sie meine Mom … Es geht ihr nicht gut.“

      „Da bin ich dran“, sagt er nicht sehr überzeugend. Ich weiß, er kann sie letztlich nicht vor Keegan in Schutz nehmen. „Hannah spielt gut mit; sie vertritt die Selbstmordversion über Ihren Vater, genau wie die Polizei. Sie stellt keine Bedrohung für sie dar. Ich weiß, dass sie nicht daran glaubt, aber solange Keegan überzeugt ist, dass sie es tut, ist sie in Sicherheit. Er kann sich nicht noch einen Mord leisten, den er vertuschen muss, wenn es sich vermeiden lässt.“

      „Das kümmert ihn wohl kaum. Er ist ein Bluthund. Wer kann ihn aufhalten?“

      „Ich werde ihn aufhalten.“

      „Nachdem er vollendete Tatsachen geschaffen hat. Nachdem es zu spät ist für die Menschen, die ich liebe.“

      „Casey, Sie müssen sich jetzt um sich selbst kümmern. Auf Hannah richten sich gerade viele Augen. Die Presse belagert ihr Haus und das Ihrer Mutter; sie versuchen immer wieder, jemanden vor die Kamera zu kriegen. Ich glaube nicht, dass ihr im Moment etwas passieren kann.“

      Ich springe auf. „Was? Sie belagern sie? Warum?“

      „Na, wegen dem, was Sie in Shady Grove getan haben. Das ist ein gefundenes Fressen für die Medien. Stellen Sie sich die Schlagzeilen vor: Ist sie ein Killer oder eine Heilige?“

      „Weder noch.“

      Er schweigt einen Moment. „Heiligkeit ist nicht das, was die Leute dafür halten. Sie sollten mal die Bibel dazu befragen.“

      „Ich weiß nicht viel von der Bibel“, sage ich.

      „Das lässt sich ändern. Vielleicht

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