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keine Bedeutung für die Länge des Strafmaßes hatte. Da ich immer eine ungeladene Schreckschusspistole verwandt hatte, würde das Strafmaß neu verhandelt werden müssen.

      Die Hauptrevision meines Gießener Anwalts hatte jener sechs Tage zu spät eingereicht, sodass sie nicht berücksichtigt worden war. „Die in der Revisionsbegründungsschrift vom 6. Juli 1998 erhobenen Verfahrensrügen sind nicht in der Frist des § 345, Abs. 1 (Strafprozessordnung), angebracht worden und daher unerheblich“, so der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof.

      Im Revisionsprozess bezüglich des Strafmaßes wurde ich zu achteinhalb Jahren Gefängnis verurteilt.

      Nun, jeder scheitert so gut er kann, doch wie man auch aus dem totalen Scheitern etwas Gutes entstehen lassen kann, ist vielleicht der Hoffnungsschimmer in diesem oft schwarzhumorig düsteren Buch (Die selbstkritische Auseinandersetzung mit meiner Bankräuber-Vergangenheit vollziehe ich ausführlich im Kapitel „Schuld und Sühne“).

      Heute führe ich meinen Kampf gegen die Banken auf legale Weise fort und arbeite ehrenamtlich beim Dachverband der Kritischen Aktionäre mit. Das ist ein Zusammenschluss von 29 Einzelorganisationen, die sich gegen Rüstungsproduktion, Umweltzerstörung und für die Einhaltung von Arbeits- und Menschenrechten insbesondere bei großen börsennotierten Unternehmen einsetzen. Sie tun dies mit Kampagnen, die sich gegen menschenverachtende und kriminelle Machenschaften nicht zuletzt der Banken richten: Durch Konzernstudien, Öffentlichkeitsarbeit und Präsenz bei den KonzernHauptversammlungen, bei denen sie Gegenanträge, z. B. zur Nichtentlastung von Vorstand und Aufsichtsrat, einbringen und die Kritik an den Konzernen bündeln. Mit der Stimmrechtsübertragung vieler Einzelaktionäre kann der Dachverband nicht nur die Redezeiten für kritisch aufklärerische Beiträge nutzen, sondern auch Konzerngeschädigte (wie z. B. Näherinnen aus El Salvador) unter seiner Obhut auf dieser öffentlichen Bühne zu Wort kommen lassen. − Ich sitze dann auch schon mal in zerschlissener Jeansjacke als kritischer Aktionär bei der Hauptversammlung der Deutschen Bank zwischen all den nadelstreifengewandeten Großaktionärsvertretern in der Frankfurter Festhalle und unterstütze aufklärende Redebeiträge (und gebe vor der Halle ebensolche TV-Interviews). Und verfolge voller Freude, als ehemaliger Outlaw und Bankräuber, von Angesicht zu Angesicht mit den in meinen Augen legalen Großbankräubern (Bankern) oben auf der Bühne die moralische Demontage der Banker-Vorstandsriege.

      Was meinen heutigen Bezug zum Gefängnis betrifft, gehe ich regelmäßig mit Günter Wallraff und einer kleinen Gruppe in den Kölner Knast, um dort mit Gefangenen Tischtennis zu spielen, − als Beitrag, die immer dünner werdenden Kontakte der Gefangenen nach draußen aufrechtzuerhalten.

       1.Freiheitsdrang − Flucht(versuche) und Aufstand

      Nach der ersten Nacht im Lissabonner Polizeigefängnis wurde ich von drei Kriminalbeamten in einem alten 70er-Jahre-Benz zum Auslieferungsgericht, dem Lissabonner Tribunal de Relacao, kutschiert.

      Während der Fahrt schaute ich aus dem Wagenfenster und sog begierig die Freiheitsbilder meiner geliebten Stadt auf. Verliebte Pärchen hielten sich an der Hand, Kinder lärmten und die alten Männer saßen auf den Bänken unter Palmen und spielten Karten. Tragisch schöne Portugiesinnen schwangen in wippenden Kleidern über die Avenida oder warteten voll stillen Ernstes an den Bushaltestellen. Vertraute Straßenmusiker, Kunsthandwerker und Tierdompteure zogen vorüber. Am Kino Sao Jorge standen die fliegenden Händler und am Restauradores flanierten die Huren auf ihrem reservierten Streifen unter Palmen, während, wie immer, die möglichen Freier und tatsächlichen Voyeure zwischen ihnen herumschlichen. Genau wie am Tag zuvor hingen würzige Rauchschwaden über den glühenden Eisenwägelchen, hinter denen rußhändige Händler heiße Maronen feilboten. Wie schon gestern und tausend Tage zuvor priesen die Losverkäufer das Glück an, ihre Losfahnen in den Himmel reckend wie Gebetsmühlen, und wie seit Urzeiten diskutierten die Schuhputzer mit ihren Kunden in leidenschaftlicher Routine Fußball und Tagespolitik.

      Die Menschen pulsierten durch die Straßen wie immer. Doch wo ich gestern noch mit geflossen war im Strom des Lebens, stand ich heute ausgeschlossen, starr, gefangen, am Ufer. Mein Herz pochte heiß und mein Verstand war wach, doch innerlich fühlte ich mich wie gepfählt, und so schaute ich wie ein Gelähmter aus dem Gefängnis meines Körpers in das unerreichbare Leben. Gleichwohl wusste ich, dass es ein seltenes Geschenk war, am Ufer stehend, überhaupt noch auf das Leben schauen zu dürfen. Bald würde ich vollständig im Dunkel verschwinden.

      Wir fuhren durch das Einkaufsviertel der Baixa und bogen vor dem Praca do Comercio auf die Seitenstraße, die zum Lissabonner Rathaus führte. Vor dem Rathaus befand sich ein mit Autos vollgestellter Platz, auf dem auch meine Begleiter einen Parkplatz suchten. Im Rücken des Platzes wuchsen die verschachtelten Altstadtviertel des Bairro Alto mit ihren engen Gässchen, Treppchen und kleinen Plätzen die Hügel hinauf: das für eine Flucht vollkommene Labyrinth, das mir zudem völlig vertraut war. Den Rathausvorplatz auf der anderen Seite streifte die geschäftige Rua da Arcantal, die parallel zum Tejo-Fluss verlief, und die wir nur zu überqueren brauchten, um vor dem offenen Tor des Auslieferungsgerichtes zu stehen. Ich prägte mir die Örtlichkeiten ein und berechnete Distanzen und Zeiten. Passenderweise trug ich mit Jeans und Wildlederjacke meine Zivilkleidung.

      Wir traten durch das offene Tor in das Gebäude. Direkt neben dem Eingang erhob sich eine breite, sanft geschwungene Treppe hoch hinauf zu den Gerichtssälen. Wir gingen die Treppe hinauf, durch eine doppelflügelige, dunkle Holztür, deren einer Flügel zur Treppe hin geöffnet war, und traten in einen prächtigen, langgezogenen Saal.

      Die Beamten nahmen mir die Handschellen ab. In der Mitte des Raumes stand ein riesiger, ovaler Tisch, an dem einst Vasco da Gama seine visionären Ideen ausgebreitet haben mochte. Ich blieb vor der offenen Flügeltür stehen und war zunächst geblendet. Der Raum war erhellt von einem goldenen Sonnenfächer, der schräg durch die Fensterfront in den Saal fiel, ohne dass ich die Engel der Gerechtigkeit ausfindig machen konnte. Als sich meine Augen an das Licht gewöhnt hatten, sah ich durch die breite Fensterfront den Tejo in leuchtendem Sonnenblau vor mir liegen. Ich sah die geliebten orangefarbenen Fähren, mit ihren kreischenden Möwenschwärmen darüber, mit denen ich so oft den Fluss überquert hatte, wie immer ihre gewohnten Bahnen ziehen. Die bunten Fischkutter schaukelten friedlich auf den Wellen. Dazwischen schoben sich die überdimensionalen Containerschiffe durchs Bild. Über allem schwebte ein blauer lusitanischer Himmel, durchzogen von weißen Lämmerwölkchen und silbernen Möwenschwärmen.

      Der offene Ausblick durch die Fensterwand des Gerichtssaales war wie ein Blick aus tiefem Dunkel auf eine bewegte leuchtende Kinoleinwand. Er legte sich lindernd auf meine erschöpften Augen und Seele, während mir diese unerreichbaren Bilder der Freiheit im gleichen Moment umso schmerzhafter meine völlige Ausgeliefertheit an ein undurchdringliches Dunkel abhängiger Gefangenschaft bewusst machten.

      Auf einer anderen Bilderbahn in meinem Kopf arbeitete es zu gleicher Zeit angestrengt, als ein geschäftig-freundlicher Gerichtsbeamter aus einer Seitentür trat und uns um ein wenig Geduld bat, die Richter seien auf dem Weg. Der ältere der drei Beamten, der mich an einen Cowboy erinnerte, nahm mir die Handschellen ab. Um meine Begleiter in die hintere Ecke zu dem Sofa zu ziehen, wandte ich mich dem großen, dunklen Tisch zu und sprach bewundernd über dessen feinnervige Einlegearbeiten. Wir kamen über Antiquitäten ins Gespräch, wovon sie alle drei wenig Ahnung hatten, und ich begann von der edel stilvollen Einrichtung zu schwärmen. Sie fühlten sich geschmeichelt. Ich sah wie sich ihre unverbindlich distanzierte Freundlichkeit in gelöste, interessierte Offenheit verwandelte, als ich das aufrichtige Hohelied auf die portugiesische Kultur und Mentalität sang, während ich sie langsam, immer wieder verhaltend und auf eine neue antiquarische Entdeckung im Raum deutend, in die der Eingangstür gegenüberliegende Ecke führte, in der das Sofa stand. Hier vor dem Sofa schien die Begutachtung des Raumes abgeschlossen, und so war es nicht verwunderlich, dass sich der Cowboy mit einem genussvollen Seufzer darauf fallen ließ und sich eine Zigarette anzündete. Der Beamte, der gefahren war, folgte ihm. Beide Polizisten saßen nun entspannt rauchend auf dem Sofa, während ich mit dem dritten davorstand.

      Ich veränderte die Thematik des Gesprächs und führte es von der portugiesischen Liebes- und Leidenskultur hinüber zur nackten portugiesischen

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