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Beschwerden von Gefangenen angehört, die einen zusätzlichen Blumentopf auf ihrer Zelle wünschten, oder eine besondere Kondommarke, die es im offiziellen Gefängniseinkauf nicht zu erstehen gab.

      Ich hatte seit Monaten auf diesen Ausschuss gewartet, in der Hoffnung, die Situation im Angesicht und in der offenen Auseinandersetzung mit dem mich hier einmauernden Dreigestirn – Anstaltsleiter, Psychologin, stellv. Anstaltsleiterin – erläutern zu können, das zu feige war, sich mir einzeln oder gemeinsam zu stellen, und von dem die Dame Kachel mittlerweile weggebrochen war, da sie sich sicherheitshalber in die JVA Rheinbach hatte versetzen lassen.

      Die stellv. Anstaltsleiterin Preter, die im März 2002 die Anstalt verließ, um an anderer Stelle ihre Karriere fortzusetzen, empfing mich am letzten Tag vor ihrem Weggang zu dem Gespräch, um das ich sie seit Monaten ersucht hatte.

      Das Gespräch wurde ein Monolog meinerseits. Ich erklärte der Dame Preter, wie ich den Geist und Charakter dieser Anstalt und sie sehen würde:

      „Sie unterstützen und belohnen Heuchelei, Unterwürfigkeit und Denunziation, sind jedoch nicht in der Lage, sich offen mit einem kritischen Gefangenen auseinanderzusetzen, der sich diesem Geist widersetzt, und den Sie darob, aus niederen Revanche- und Disziplinierungsgelüsten, über unsachgemäße und vernichtend negative Vollzugsentscheidungen, über alle Zeit und gegen jede Wahrheit und Gerechtigkeit, einmauern. Andererseits entlassen Sie Gefangene vorzeitig in die Freiheit, deren Lockerungsqualifizierung einzig darin besteht, den Unterwerfungserwartungen der Schließerschaft und Anstaltsleitung hinterherzukriechen und sich für Spitzeldienste anzudienen. Damit verstoßen Sie gegen Ihre Sorgfaltspflicht sowie gegen die elementarsten Prognoseprinzipien, was sich auch darin äußert, dass viele dieser vorzeitig entlassenen Gefangenen, besonders bei Sexualstraftätern, Betrügern und Junkies auffällig, bald wieder rückfällig werden und in Ihre empfänglichen Arme zurückkehren.“

      Das Gesicht der Dame Prater verfinsterte sich während meiner Ausführungen kontinuierlich. Sie presste zwischenzeitlich immer mal wieder ein lahmes „Das sehen Sie so“/ „Das ist Ihre Sicht“ heraus, sodass ich enttäuscht war, nicht einmal einen Gegner vor mir zu haben, der sich einer offenen Auseinandersetzung stellte. Am Ende kam nur noch das von allen kontrollierenden Mächten so gern verwandte wie lächerlich bedrohliche „Wir werden ein Auge auf Sie werfen“, worauf ich lächelte:

      „Endlich sind wir einmal in der gleichen Lage. Ich habe ein Auge auf den Arsch von Emmanuelle Béart geworfen und werde ihn auch nicht bekommen.“

      Weit über ein Jahr nachdem ich sie angefragt hatte, begann ich mit den Therapiegesprächen. Der Psychologe Besser, ein schlaksiger, freundlicher Mann von Anfang fünfzig, war souverän, friedlich, von einem lebensbejahenden Humor und selbstironischer, kritischer Offenheit, der sich bei all den menschlichen Abgründen, all dem Elend und Grauen, dem er sich täglich aussetzen musste, eine kindlich unschuldige Lebensfreude bewahrt hatte. Er war von fachlicher Kompetenz, die sich über einen scharfen Verstand, differenziertes Wissen und eine sensible Zurückgenommenheit ausdrückte.

      Nach meiner Entlassung trafen der Psychologe Besser und ich uns manchmal zufällig in der Kölner Stadtbibliothek. Wir setzten uns dann auf einen Cappuccino ins Bibliothekscafé und plauderten für eine Weile wie alte Bekannte, die sich lange nicht mehr gesehen hatten.

      Es lag nur in der Logik und Dynamik meiner ganzen Situation, dass die Vorsitzende des Vollzugsamtes, die ja bereits Anfang des Jahres 2002 der stellv. Anstaltsleiterin Preter den negativen Bescheid bestätigt hatte, die für den rechtlichen Vorgang notwendige schriftliche Aushändigung noch auf Monate verschleppte. Eine erneute Mahnung blieb ohne Antwort. Erst nachdem ich mit meinem Anwalt Beschwerde wegen Verschleppung beim Landgericht Köln eingereicht hatte, erhielt ich unter diesem Druck den schriftlichen Negativbescheid am 30. 7. 2002, weit über ein Jahr nach Beschwerdeeingabe und weit über ein halbes Jahr nachdem die negative Entscheidung bereits der Anstalt mitgeteilt worden war, zudem über ein halbes Jahr nachdem Fräulein Lüdenscheid meinem Anwalt versichert hatte, den Bescheid sofort zu übersenden. In dem Bescheid wurde in nichts auf meine Ausführungen eingegangen, sondern der Widerspruch nur formal, ohne jedwede Erläuterung, in einem Satz abgelehnt.

      Im Nachhinein weiß ich, dass meine Hoffnung auf eine faire, unabhängige Behandlung so blauäugig war, wie ich es bin. Was nichts daran ändert, dass das Verhalten der eigentlichen Kontrollinstanzen (Vollzugamt/Petitionsausschuss) skandalös und für mich vorher nicht vorstellbar war. Es war eine Situation, wie ich sie mir in einem totalitären System vorstellte, in dem eine staatliche Kontrollinstanz, die offiziell für Beschwerden gegen Mängel, Ungerechtigkeit und Machtmissbrauch einer anderen staatlichen Organisation zuständig ist, diese Beschwerden und Hilferufe mit der beanstandeten Behörde klüngelhaft verhandelt und von vorneherein abschlägig bescheidet, worauf der Druck auf den ausgelieferten Beschwerdeführer noch erhöht wird; eine Kontrollinstanz, die nicht nur grundsätzlich die beanstandete Behörde in ihrer Entscheidung, und damit in ihrem Handeln gegen den Gefangenen bestätigt, sondern sie auch noch durch vielmonatige Verschleppung der Entscheidung unterstützt, während der Zeit der Beschwerdeführer rechtlich gelähmt ist und nicht die gerichtlichen Beschwerdeinstanzen anrufen kann.

      Ich verstehe, dass ein Gefängnis ein demokratiefreier Raum ist und auch sein muss – und damit auch ein Tummelplatz defizitärer Entscheidungsträger, die im Gefängnis Macht gegenüber ihnen Ausgelieferten ungestört missbrauchen und ihre persönlichen Eitelkeiten pflegen können –, doch glaubte ich, dass, wenn dieser demokratiefreie Raum auch zu einem wahrheits- und rechtsfreien Raum wird, es, anders als in einem totalitären System, eine demokratische Kontrolle dieses Raumes gäbe.

      Diese Annahme war eine naive Fehleinschätzung. Sieht man allerdings, dass all diese Entscheidungsträger all dieser staatlichen Einrichtungen hochdotierte, bis zum letzten Atemzug abgesicherte und gedeckte Staatsbeamte sind, die zudem zwischen den verschiedenen Institutionen wie Schmetterlinge hin und her wechseln, um im Gesamtapparat Staat Karriere zu machen, wird augenscheinlich wie naiv und lächerlich meine Hoffnung auf eine faire Behandlung war. Zumal man sich vorstellen kann, dass all diese Herrschaften – Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte eingeschlossen – einmal als Studenten dieselben Kneipen und Betten frequentiert und sich alle gegenseitig begattet hatten.

      Sehe ich diesen ganzen Rechtsraum insgesamt, so komme ich zu dem Ergebnis: Nirgends habe ich weniger Recht und Gerechtigkeit gesehen als dort, wo sie eigentlich zu Hause sein sollten.

      Ich befand mich in einem schwelenden Zustand ohnmächtiger, tief unterdrückter Wut darüber, wie die zynische Machtarroganz dieser Anstalt mich hier über alle Zeit fesselte, während ich in Freiheit meine Liebste in Lissabon und mein eigentliches Leben verlor.

      Zu sehen, wie vielfach Vorbestrafte noch vor dem Halbstrafenzeitpunkt in den Urlaub und offenen Vollzug, und bald vollständig in die Freiheit gingen (und ich sie als Kammergefangener auch noch abzufertigen hatte), während man mich aus jämmerlichen Macht- und Revanchegelüsten Jahre über den eigentlichen 2/3-Entlassungszeitpunkt vermauerte, verstärkte noch meine düstere hilflose Wut, ebenso wie meinen rebellischen Stolz.

      „Sie haben sie herausgefordert und ihr ganzes System in Frage gestellt“, sagte mir ein hochrangiger Anstaltsbeamter, „und das auch noch in spöttischer Herablassung. Jetzt lassen sie Sie dafür bluten und am langen Arm verhungern. Mit solchen Entscheidungen werden normalerweise Abdreher geschaffen, aber bei Ihnen wissen die natürlich, dass Sie sich keine Blöße geben werden, so sehr sie eigentlich darauf lauern. Geben Sie sich wider Erwarten doch eine, haben sie es dann schon immer gewusst.“

      In dem Wissen, dass man mir als Gefangenem alles nehmen konnte, nur nicht meine Würde, hatte ich all die Jahre der Gefangenschaft zu leben und handeln versucht. Hier in der Remscheider Strafhaftanstalt, in diesem miefigen Sumpf aus klebriger Heuchelei, gegenseitiger Bespitzelung und Einforderung von Konformismus tat ich es umso bewusster und mit einem Ausdruck grenzenloser Verachtung im Gesicht. Wie sagte der sowjetische Dissident Kusnezow: „Das Gefängnis ist die Schule der Freiheitsliebe, sofern sie dich darin nicht zerbrechen oder dir den Geist des Konformismus einimpfen.“ (Kusnezow, „Archipel des Grauens“)

      Faktisch wurden in der Remscheider Anstalt die gerichtlichen Urteile aufgehoben und neu geschrieben. Mein urteilender Richter Prinz verkündete

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