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zu gelten hat und es keine 100%ige Sicherheit geben kann. Wird der Entlassene doch wieder straffällig, kann sich auch der Gutachter auf die herausgestellten 5 % berufen. Natürlich ist das nicht befriedigend, doch wenn man dem Verhältnismäßigkeitsgebot nicht folgt und sich auf ein einziges vages Verunglimpfungsgutachten beziehen kann, kommt es nicht nur zu Fällen wie meinem, sondern werden noch skandalösere Fehlentscheidungen wie im Fall des Gustl Mollath möglich, der entrechtet und völlig ungerechtfertigt für 7 ½ Jahre in der geschlossenen Psychiatrie verschwand.

      Gerade bei psychologischen Gutachten ist der persönliche Ermessensspielraum so grenzenlos wie unüberprüfbar. Das zeigt sich auch daran, dass in den Fällen in denen zwei Gutachten von zwei voneinander unabhängigen Sachverständigen eingeholt wurden, jene manchmal zu völlig entgegengesetzten Ergebnissen kamen, sodass ein drittes Gutachten eingefordert werden musste, welches wiederum zu einem nochmals anderen Ergebnis kam („Drei Gutachter, vier Meinungen“). Häufig also ein Lotteriespiel, wie auch ein erfahrener deutscher Gefängnisdirektor feststellte, der formulierte, dass „die wissenschaftliche Forschung zur Aussagekraft der Gefährlichkeitsprognosen (…) darauf hindeuten, dass oft eine höhere Trefferquote erzielt werden könnte, wenn einfach eine Münze geworfen würde.“ (Thomas Galli, Die Schwere der Schuld) Der bekannte Kriminalprognostiker, Professor Rudolf Egg, erklärt dazu, dass die Wettervorhersage mehr Wahrscheinlichkeit aufweist als eine Kriminalprognose.

      Warum wird dieses ganze im ehrwürdigen Mantel der Wissenschaftlichkeit daherkommende absurde Theater des Gutachterwesens der Gesellschaft als seriös verkauft? Zum einen hat der Staat ein Interesse an der Gutachterindustrie, da die Justiz sich in schwierigen Entscheidungen auf die Sachverständigenbewertung berufen und ihre Hände in Unschuld waschen kann, wenn sich eine Prognose letztlich als falsch erweist. Andererseits – wir leben in einer kapitalistischen Verwertungsgesellschaft und der Rubel muss rollen − hat sich mit der Gutachterindustrie ein lukrativer Geschäftszweig entwickelt, der dem Sachverständigenheer goldene Pfründe garantiert (Ein einziges Gutachten bringt dem „Sachverständigen“ Tausende von Euro ein. Das Schalmersche Gutachten in meinem Verfahren kostete 20.000 DM, die man mir, obwohl wir es als unwissenschaftliche Scharlatanerie entlarvt hatten, nach Abschluss des Prozesses in Rechnung stellte). Der Öffentlichkeit wiederum wird mit der Flut an fragwürdigen Therapievorgaben im Knast und den abschließenden Gutachterbewertungen eine Scheinsicherheit vorgegaukelt, die regelmäßig entlarvt wird, wenn ein angeblich erfolgreich therapierter vormaliger Straftäter im gleichen Segment wieder straffällig wird.

      Gerade in der Kriminalitätssparte, die Experten und Öffentlichkeit besonders beschäftigt, bin ich äußerst skeptisch. Zum einen glaube ich (Wie auch so mancher Gutachter, dem natürlich genauso viele andere Gutachter wiedersprechen werden), dass im Bereich der menschenzerstörerischen Schwerkriminalität eine mörderisch sadistische Sexualität oder eine Pädosexualität (ausgelebte Pädophilie) ebenso wenig therapierbar und auflösbar sind wie eine Heterosexualität oder eine Homosexualität. Zum anderen, wie soll ein allgemeiner Gewalttäter, ein Pädosexueller oder ein chronischer Vergewaltiger mittels unfreiwilliger Therapie zu einem befriedeten Selbstverständnis und einer einvernehmlichen Erwachsenensexualität gerade im repressiven Lebensraum Knast hingeführt werden, in dem er einer höchst ungesunden Mischung aus Sexualitätsunterdrückung, Homophobie, Knastschwulsein und sexueller und täglicher allgemeiner Gewalt ausgesetzt ist?!

      Ich hatte einen Psychologen gefunden. Der Psychologe Besser schien wach, intelligent und aufgeschlossen zu sein und war mir vom ersten Moment an sympathisch gewesen. Er bereitete mich auf eine Wartezeit von mindestens einem Jahr vor, bevor die Gespräche beginnen konnten.

      Zur Erläuterung: Man unterscheidet im Strafvollzug zwischen Therapiegesprächen und Explorationsgesprächen, zu denen sich Strafgefangene und Psychologen jeweils zu Vieraugengesprächen treffen. Bei den Therapiegesprächen soll die verurteilte Straftat aufgearbeitet werden, wobei eine Schweigepflicht des Therapeuten vorherrscht (solange ihm keine geplanten Straftaten anvertraut werden), sodass der Gefangene sich unbelastet öffnen kann. Bei den Explorationsgesprächen (mit einem anderen Psychologen) hingegen wird festgestellt ob der Gefangene seine Tat(en) aufgearbeitet hat und wie groß die Gefahr ist, dass er wieder straffällig wird. Hier gibt es keine Schweigepflicht des Psychologen – im Gegenteil, alle Äußerungen des Gefangenen werden für die zu erstellende Kriminalprognose verwertet.

      Ich wartete auf das Ergebnis meiner Beschwerde und hatte zudem eine Beschwerde an den Kontrollausschuss für die nordrhein-westfälischen Gefängnisse im Düsseldorfer Landtag geschrieben, die an den Petitionsausschuss weitergeleitet wurde.

      Die Monate vergingen. Ich arbeitete in meinem Gefängnisjob als Kammerarbeiter, machte Sport, schrieb − immer in erstickender Spannung unterdrückter unbändiger Wut.

      Der Gefangene, der in eine Beschwerde gegen die Anstalt geht, muss sich damit zunächst an das Vollzugsamt wenden. Erst nach dem Erhalt des gewöhnlich negativen Bescheids kann er in den rechtlichen Beschwerdegang gehen. Da das Vollzugsamt, obwohl als Kontrollinstanz gedacht, in Absprache mit den Anstalten, fast immer gegen den Gefangenen entscheidet und die Entscheidung der Anstalt bestätigt, ist diese langmonatige Wartezeit auf die Negativentscheidung des Vollzugsamtes praktisch ein Zustand der Rechtlosigkeit, in dem dem Gefangenen die Hände gebunden sind und er noch mehr Zeit verliert.

      Da ich nach einem halben Jahr, bis zum Jahresbeginn 2002, immer noch keine Entscheidung vom Vollzugsamt erhalten hatte und mittlerweile ein Jahr seit der Lockerungsverweigerung vergangen war, beantragte ich eine erneute Lockerungsprüfung, über die in einer wenige Minuten währenden Konferenz – in meiner Abwesenheit − entschieden wurde („Dauer der Konferenz: 10 Minuten“ laut Protokoll).

      Die stellvertretende Anstaltsleiterin Preter hatte sich, wie mir der Sozialarbeiter vertraulich mitteilte, vor der Konferenz telefonisch von der Vorsitzenden des Vollzugsamtes, die niemand anderes war als die vormalige, für mich zuständige stellvertretende Anstaltsleiterin der JVA Köln, mit der ich in Köln einen mehrjährigen Kampf als Gefangenensprecher geführt hatte, die Bestätigung eines negativen Beschwerdebescheids eingeholt. Darauf lehnte sie eine Vollzugslockerung, ein Jahr nach der ersten Ablehnung, mit der folgenden Begründung wieder ab:

      „Der Gefangene hat sich gegen die negative Vollzugsentscheidung wiederholt beschwert … Gründe, die es rechtfertigen könnten den psychologischen Dienst erneut zu beteiligen, sind nicht erkennbar. An den äußeren Bedingungen hat sich nichts geändert. Hiesige (therapeutische) Behandlungsangebote nimmt der Gefangene nicht wahr. Erneute Wiedervorlage in einem Jahr.“

      Dass die Wahrnehmung des Rechts auf Beschwerde gegen negative Vollzugsentscheidungen unverblümt als Begründung einer erneuten negativen Vollzugsentscheidung herangezogen wird, spricht für den Geist und den Charakter dieser Anstalt und seiner Protagonisten. Was den anderen Ablehnungsgrund anbetraf – ich würde die hiesigen Behandlungsangebote nicht wahrnehmen – hatte ich mich bereits acht Monate zuvor, sofort nach der von der Anstalt bewirkten Ablehnung der 2/3-Entlassung, wohlweislich um die Führung psychologischer Gespräche bemüht und auf die Warteliste setzen lassen. Dass ein Gefangener mindestens ein Jahr warten muss, bevor ein Psychologe frei wird, ist nicht zynischerweise dem Gefangenen zur Last zu legen, sondern der unzulänglichen Organisation der Anstalt.

      Mein Anwalt hatte bei der Vollzugsamtsvorsitzenden Lüdenscheid die längst bekannte schriftliche Negativentscheidung über meine Beschwerde bis zum 17. 1. 2002 angemahnt. Am 17. 1. 2002 rief die Juristin Lüdenscheid bei meinem Anwalt an, mit der Zusicherung, noch am gleichen Tag den negativen Bescheid zu übersenden, auf den ich dringend wartete, um endlich in den rechtlichen Beschwerdegang gehen zu können. Um in diesen Beschwerdegang zu gehen, reichte es nicht von der Entscheidung zu wissen, sondern er muss dem Gefangenen schriftlich vorliegen. Andererseits reichte der Anstalt das Wissen um eine Negativentscheidung, um selbst einmauernde Negativentscheidungen zu treffen, zumal wenn die Kontrollinstanz eine ehemalige stellvertretende Anstaltsleiterin und damit eine vormalige Kollegin ist, mit der man sich unter der Hand austauscht, wie hier geschehen. – Die Wochen und Monate vergingen, ohne dass uns ein Bescheid erreichte.

      Im Februar 2002 kam der Petitionsausschuss des Landtages in die Anstalt. Man ließ mich unverblümt widerrechtlich und gegen alle meine Proteste nicht vor, sondern schloss mich in meiner Zelle ein. Ich

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