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»Weil sie tot sind? Warum haben Sie sie nicht einfach begraben?«

       »Als ich hier eintraf, stank es erbärmlich nach Verwesung, und ich brachte es nicht übers Herz, später noch einmal herzukommen …«

       Tess starrte ihn an. Dass er nicht imstande war, etwas zu tun, das ihr ganz leicht vorkam, überraschte sie.

       »Was denn? Weshalb glotzen Sie mich so an?«, fragte Devin.

       »Sie haben sie in gewisser Weise als Verwandte betrachtet, es aber nicht fertiggebracht, sie zu begraben? Sie konnten ihnen nicht den Respekt entgegenbringen, der ihnen als Angehörigen Ihrer Familie gebührt?«

       »Ich … ach …«

       »Alles klar«, sagte sie und stand vom Tisch auf.

       »Werfen Sie mir das nicht vor.«

       Sie drehte sich um. »Doch, das tue ich. Sie mögen zwar so lange überlebt haben, sollten aber wissen, dass Sie dabei nur Glück hatten. So viele Menschen sind gestorben, die Welt ist praktisch tot. Die wenigen von uns, die übrig bleiben, führen sich auf wie verdammte Tiere. Sie hatten die Chance, ein wenig Menschlichkeit zu beweisen, wären Sie bereit gewesen, Ihre Familie zu bestatten, ließen sich aber von Ihrem Egoismus leiten. Nur ein einziges Mal möchte ich einen Immunen finden, der noch ein humanes Verhalten an den Tag legt.«

       Nachdem sie ihre Tirade beendet hatte, wandte sie sich wieder von ihm ab. Während sie weitere Dosen in ihren Rucksack stopfte, überdachte er die zahlreichen Antworten, die ihm unterdessen in den Sinn kamen.

       Mehrere Augenblicke vergingen in unbeholfener Stille, ehe er aufmerkte: »Sie nicht begraben zu haben, bereitet mir wirklich Gewissensbisse. Kein Tag verging, an dem ich nicht daran dachte, bloß wollte ich nicht krank werden. Ich weiß nicht genau, warum Tom seine Familie und sich selbst umgebracht hat. Keine Ahnung, ob sie sich mit dem Virus infiziert hatten, sodass er schlicht beschloss, ihnen allen ein schnelles Ende zu bereiten; klar, diese Rechtfertigung lässt zu wünschen übrig, aber ich wollte es mir eben nicht selbst einhandeln.«

       »Das können Sie gar nicht, niemals.«

       »Warum sind Sie sich da so sicher?«

       Sie drehte sich wieder zu ihm um und erklärte: »Weil wir alle infiziert sind. Falls Sie eine Woche nach dem Ausbruch mit irgendjemandem Kontakt hatten, steht so gut wie hundertprozentig fest, dass Sie dabei an einen Kranken gerieten.«

       »Ich verstehe nicht.«

       »Sie sind immun, genauso wie ich und Brando dort drüben.«

       »Immun?«

       »Der Tod verbreitet sich schnell; Sie werden angehaucht oder lediglich berührt, schon sind Sie infiziert. Fasst ein Träger des Virus einen Türgriff an, bleibt es daran haften, bis jemand ihn sterilisiert. Der Tod ist das wirksamste Virus, das je entwickelt wurde.«

       »Sie sagen entwickelt?«

       »Ja, also gut, ich weiß nicht genau, ob das stimmt, doch einige Überlebende dort draußen glauben, die Regierung habe es sich ausgedacht, um das Bevölkerungswachstum zu regulieren, und als es unters Volk gebracht wurde, seien unbeabsichtigte Folgen daraus erwachsen – die Auslöschung allen Lebens.«

       »Das kann ich nicht glauben. Eine derart abstruse Verschwörungstheorie zu glauben, ist mir einfach zuwider.«

       »Dann sagen Sie mir, woher es stammt«, forderte Tess trotzig.

       »Ich vermute, es kommt von dem Einschlag des Asteroiden; es stammt aus dem Weltall.«

       »Außerirdische oder Weltraumkeime, das ist eine weitere Theorie, aber spielt das wirklich eine Rolle? Es ist passiert, wir haben es überstanden und wollen weiterleben.«

       »Ich schätze, Sie haben recht.«

       Nachdem sie den leichtgewichtigen Armeerucksack gefüllt hatte, stellte sie ihn mit ihrem Gewehr neben die Hintertür und ging rasch nach draußen.

       Devin wusste nicht, wohin sie wollte, aber es war ihm eigentlich auch egal. Er blieb auf dem Stuhl sitzen und ließ sich durch den Kopf gehen, was passiert war, nicht zu vergessen die seltsamen Offenbarungen, die Tess ihm gemacht hatte.

       Die Schatten wurden länger, als die Sonne im Westen unterging. Er sah nicht vor, im Haus zu übernachten, und konnte sich nicht vorstellen, wo sie dies zu tun gedachte.

       Die Antwort auf diese Frage erhielt er, als sie zurückkehrte – mit einer Schaufel.

       »Ich schlafe hier drinnen«, sagte sie, »aber erst begraben Sie Ihre Verwandten.«

       Er sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an.

       »Hier.« Sie hielt ihm die Schaufel hin.

       »Denken Sie daran, mein Arm ist verletzt.«

       »Aber nicht gebrochen, es ist nur eine Fleischwunde. Los jetzt.«

       Er hielt ihrem Blick stand. »Meinen Sie das ernst?«

       »Es ist an der Zeit, dass Sie aufhören, sich wie eine Memme zu benehmen, und tun, was sich gehört.«

       Er hatte ihr einen der Hauptgründe dafür vorenthalten, warum er seine Angehörigen nicht begraben wollte: Wenn er sich mit den Leichen befasste, erkannte er die Realität all der Tode an – insbesondere Cassidys.

       »Warum legen Sie solchen Wert darauf? Ich dachte, Sie wollten sowieso morgen verschwinden.«

       Sie zog den Reißverschluss ihrer Lederjacke hinunter und hielt die rechte Seite auf.

       Devin machte große Augen, als er den Blutfleck auf dem weißen T-Shirt sah, das unter Tess’ Panzerweste herausragte.

       »Oh mein Gott, geht es Ihnen gut?«

       »Ja, ich werd’s überleben.«

       »Wurden Sie angeschossen?«

       »Ja, doch ich habe die Wunde sauber verbunden, nachdem sie versorgt war. In erster Linie brennt es heftig. Ich möchte einfach nur einen Tag irgendwo zur Ruhe kommen.«

       Er blickte auf die Schaufel und erhob sich. Dann packte er sie am Griff und sagte: »Suchen wir eine Stelle und bringen es hinter uns.«

       Tess klopfte die frisch aufgeschüttete Erde der Gräber von Tom und dessen Familie fest. Nachdem sie dies sorgfältig erledigt hatte, legte Devin einige Spielsachen der Kinder an die Kopfenden; einen großen Plüschhasen für das Mädchen und einen langen, gelben Tonka-Laster für den Jungen.

       Als sie endgültig fertig waren, betrachteten die beiden die Erdhaufen. Schließlich sahen sie einander an.

       »Möchten Sie etwas sagen?«, fragte Tess.

       Devin fand es nur angemessen, ein Gebet zu sprechen. »Sicher.« Er faltete die Hände und senkte den Kopf.

       Sie tat es ihm gleich.

       »Tom, ich verlor dich nach unserer Kindheit aus den Augen, konnte aber sagen, dass du ein guter Mensch, Vater und Ehemann warst. Ich bedaure, dass dies geschehen ist und du glaubtest, keine andere Wahl zu haben. Wäre ich bloß früher hergekommen, vielleicht hätten wir dann eine bessere Lösung finden können. Egal, ich werde stets an dich und deine liebe Familie denken. Amen.«

       Tess hob den Kopf und schaute Devin an. Was er gesagt hatte, beeindruckte sie und kam ihr aufrichtig vor.

       »Hoffentlich war das gut«, bemerkte er verlegen.

       »Es war wunderbar.«

      Lager 13 der Katastrophenschutzbehörde, Region VIII, 50 Meilen östlich des internationalen Flughafens von Denver

      Das Verwaltungsgebäude zählte zu einer Reihe teilweise feststehender Einrichtungen. Man erreichte sie nur, nachdem man einen Wust aus Stacheldraht, Sandsäcken und Absperrelementen hinter sich gebracht hatte.

       Hielt sich Lori vor Augen, wie gut geschützt und bewacht der Verwaltungsbereich und die anderen Gebäude des Lagerpersonals waren, wurde sie das Gefühl nicht los, dass etwas im Argen lag, doch sie verdrängte den Gedanken rasch wieder.

       Vasquez führte sie an den üppigen Sicherheitsvorrichtungen vorbei zu ihrem Bestimmungsort, dem Büro der Direktorin für Lagerneueinteilung.

      

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