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in Frage stellen, von denen wir auch nicht wüßten, wie man sie stützen sollte, ohne dabei in einen Zirkel zu geraten, und an denen wir selbst dann noch festhalten, wenn sie solcherart in Zweifel gezogen werden.

      Was wir indessen, ohne Gründe mitzubringen und auch ohne Gründe nötig zu haben, tun oder wollen (all jene Dinge, die allererst festlegen, was für uns ein Grund sein kann und was nicht), markiert stets einen Angriffspunkt für den Skeptizismus. Wir betrachten uns aus der Außenperspektive, und mit einem Mal wird uns die ganze Kontingenz und Eingeschränktheit unseres Sinnens und Trachtens klar. Nehmen wir diese Perspektive ein und erkennen unser Tun als kontingent, entbindet uns das nicht vom Leben, und hierin liegt unsere Absurdität: Nicht in der Tatsache, daß wir aus dieser Außenperspektive heraus beobachtet werden können, sondern darin, daß wir sie selbst einnehmen können, ohne damit schon aufzuhören, diejenigen zu sein, deren letzte Belange so von oben herab taxiert werden.

      III

      Man kann alledem zu entgehen versuchen, indem man nach übergeordneten letzten Belangen sucht, denen gegenüber man dann keinen Schritt mehr beiseite treten kann – dieser Strategie liegt die Überlegung zugrunde, daß es zum Absurden kommt, weil es die in Wirklichkeit unerheblichen, unbedeutenden und auf den einzelnen beschränkten Dinge sind, die wir ernst nehmen. Wer seinem Leben auf diesem Wege Sinn verleihen will, wird gewöhnlich eine Rolle oder Funktion im Gefüge eines größeren Ganzen vor Augen haben. Er sucht seine Erfüllung im Dienst an Gesellschaft oder Staat, an der Revolution oder dem Gang der Geschichte, am Fortschritt in den Wissenschaften – oder an der Religion und der Herrlichkeit Gottes.

      Aber eine Funktion im Gefüge eines größeren Ganzen kann Sinn nur dann stiften, wenn dieses Ganze bereits seinerseits Sinn hat. Und dieser Sinn muß uns einsichtig sein, er muß von uns verstanden werden können, andernfalls kann ja noch nicht einmal der Anschein aufkommen, wir hätten gefunden, was wir suchten. Nehmen wir einmal an, wir fänden heraus, daß wir nur deshalb auf die Welt gekommen und in ihr aufgewachsen sind, weil es irgendwelche fremdartigen Wesen mit einer besonderen Vorliebe für Menschenfleisch gibt, deren Grundnahrungsmittel wir bilden und nach deren Plänen wir, noch bevor wir alt und zäh sind, in Koteletts verwandelt werden sollen. Selbst wenn wir entdeckten, daß die Spezies Mensch obendrein von solchen menschenfressenden Viehzüchtern einzig zu diesem kulinarischen Zweck erschaffen wurde, würde dergleichen unserem Leben aus zwei Gründen noch immer keinen Sinn verleihen: Erstens bliebe uns nach wie vor im Dunkel, wie wichtig denn nun das Leben dieser fremden Wesen ist; und zweitens wäre nicht klar, wie der zugegebenermaßen schmackhafte Sinn, den unser Leben für sie hat, diese Wesen für uns überhaupt wichtig machen könnte.

      Ich gestehe gern zu, daß das nicht die übliche Art und Weise ist, einem höheren Wesen zu dienen. So erwartet man etwa, Gottes Herrlichkeit in einer Weise zu erschauen und ihrer teilhaftig zu werden, die dem Hühnchen in Ansehung der Herrlichkeit eines Coq au vin gewiß auf immer versagt bleiben wird. Dasselbe gilt für den Dienst am Staat, einer politischen Bewegung oder der Revolution. Menschen, die ein Teil eines erheblicheren Ganzen sind, können im Laufe der Zeit das Gefühl bekommen als sei dieses größere Ganze auch ein Teil ihrer selbst. Diese Menschen kümmern sich nicht mehr vorrangig um ihre persönlichen Eigenarten und Belange, sondern identifizieren sich in so hohem Maße mit dem umfassenderen Unternehmen, daß sie sich durch ihre Funktion darin befriedigt fühlen.

      Dennoch läßt sich auch jedes dieser globaleren Anliegen in der gleichen Weise und aus denselben Gründen in Zweifel ziehen wie die persönlichen Ziele des einzelnen. Es ist genauso legitim, in diesen höheren Zwecken die letzte Rechtfertigung zu sehen, wie sie schon eher, irgendwo im Leben des einzelnen anzusiedeln. Aber das alles ändert nichts an der Tatsache, daß die Rechtfertigungen dort enden, wo wir bereit sind, sie enden zu lassen – dort, wo wir die Suche nach weiteren Rechtfertigungen für überflüssig halten. Können wir gegenüber unseren persönlichen, individuellen Belangen einen Schritt beiseite tun und sie in Zweifel ziehen, warum sollten wir uns nicht ebenso von der Geschichte der Menschheit distanzieren können oder von den Wissenschaften oder den sozialen Errungenschaften oder dem Reich, der Macht und der Herrlichkeit Gottes? Was hindert uns daran, auch all dies in Zweifel zu ziehen? Erweckt etwas den Anschein, als könne es uns Sinn, Rechtfertigung und Wichtigkeit bieten, so nur aufgrund des Faktums, daß wir von einem gewissen Punkt an einfach keiner Gründe mehr bedürfen.

      Was dazu führt, daß der Zweifel an unseren beschränkten persönlichen Belangen niemals ganz auszuräumen ist, läßt auch den Zweifel an den höheren, umfassenderen Zwecken nicht verstummen, die uns doch gerade darin bestärken, das Leben für sinnvoll zu halten. Hat der fundamentale Zweifel erst einmal sein Werk begonnen, läßt er sich nicht mehr zur Ruhe bringen.

      Camus behauptet im Mythos von Sisyphos, das Absurde komme auf, weil diese Welt es nicht schaffe, unser Verlangen nach Sinn zu befriedigen. Das legt den Gedanken nahe, die Welt könnte dieses Verlangen prinzipiell befriedigen, wäre sie nur anders beschaffen. Aber wir haben gerade gesehen, daß das keineswegs der Fall ist: Es hat nicht den Anschein, als sei eine Welt vorstellbar, eine Welt, zu der auch wir gehörten, in der es keine unausräumbaren Zweifel gäbe. Folglich entsteht die Absurdität unserer Situation auch nicht durch die Kollision unserer Ansprüche mit der Welt, sondern durch eine Kollision in uns selbst.

      IV

      Man könnte einwenden, daß es den Standpunkt gar nicht gibt, auf dem einem angeblich solche Zweifel kommen – daß wir bei dem Schritt beiseite, der uns so ans Herz gelegt wird, schlicht den Boden unter den Füßen verlieren, und uns überhaupt keine Grundlage mehr bleibt, von der aus wir noch die unbefangenen ›vorkritischen‹ Antworten und Reaktionen werten können, um deren Prüfung es uns hier geht. Bleiben wir bei unseren gewöhnlichen Standards für Wichtigkeit und Unwichtigkeit, dann lassen sich die Fragen nach dem Sinn dessen, was wir mit unserem Leben anfangen, auch in der gewöhnlichen Weise beantworten. Geben wir diese Standards indessen auf, werden auch diese Überlegungen für uns sinnlos sein müssen, weil wir dann die Vorstellung davon, daß etwas Sinn hat, jeglichen Inhalts beraubt haben – und mithin auch die Vorstellung davon, daß etwas egal ist.

      Aber diesem Einwand liegt ein falsches Verständnis dessen zugrunde, was den Schritt beiseite eigentlich ausmacht. Er soll uns ja nicht darüber aufklären, was wirklich wichtig ist, so daß wir uns dann genötigt sehen, in Antithese hierzu die Unwichtigkeit unseres irdischen Daseins anzuerkennen. Wir geben im Verlaufe dieser Überlegungen nirgends die gewöhnlichen Standards auf, nach denen wir alle unser Leben führen. Wir schauen uns vielmehr an, wie diese Standards funktionieren, um festzustellen, daß uns dann, wenn sie in Zweifel gezogen werden, nichts anderes übrig bleibt, als sie nur durch Rückgriff auf ebendiese Standards selbst zu rechtfertigen – und das bringt natürlich nichts ein. Wir bleiben diesen Standards treu, weil wir nun einmal so beschaffen sind, wie wir es sind; was uns wichtig oder bedeutend oder wertvoll erscheint, würde uns nicht so erscheinen, wenn wir anders beschaffen wären.

      Es ist klar, daß wir im alltäglichen Leben eine Situation nur dann für absurd halten, wenn wir bestimmte Standards dafür vor Augen haben, wann etwas ernst zu nehmen, wichtig oder harmonisch ist, vor deren Hintergrund das Absurde gestellt werden kann. Die philosophische Behauptung der Absurdität dagegen setzt diese Art eines kontrastierenden Hintergrunds nicht voraus, und das könnte einen dann zu der Vorstellung verleiten, als sei der Begriff ›Absurdität‹ gar nicht geeignet, diesem Urteil Ausdruck zu verleihen. Das stimmt aber nicht, weil ja das philosophische Urteil auf einem anderen Kontrast beruht, durch den es dann zur natürlichen Weiterentwicklung des alltäglichen Urteilens wird. Der Unterschied liegt nur darin, daß im philosophischen Urteil die Ansprüche und Anmaßungen unseres Daseins mit einem umfassenderen Kontext konfrontiert werden, in dem überhaupt keine Standards mehr zu entdecken sind, und nicht wie im Alltagsurteil, mit einem Kontext alternativer Standards, welche die anderen ausstechen.

      V

      In dieser Hinsicht wie auch in anderen gleicht die philosophische Sicht des Absurden dem erkenntnistheoretischen Skeptizismus. Hier wie dort wird der letzte philosophische Zweifel nicht irgendeiner unanfechtbaren Gewißheit gegenübergestellt – obgleich dieser

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