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gewesen, daß die Herzogin ihre Gefühle erraten hatte, und nun wünschte sie schon beinahe, daß sie sich ihrer Großtante anvertraut hätte, denn da es ihr schon gestern so schwergefallen war, nichts zu erzählen, würde es heute noch viel schwieriger sein.

      Sie hatte das Gefühl, vor Glück zu zerspringen, und als sie sich im Spiegel betrachtete, war es ihr, als leuchte ihr Gesicht so, daß es ihr Geheimnis jedem, der sie ansah, verraten müßte.

      Sie begann sich anzukleiden; sie wählte ihr hübschestes Kleid aus und kämmte sich mit größter Sorgfalt. Dabei summte sie dieselbe trällernde, beschwingte Melodie, die ihr an jenem Abend, der jetzt schon so lange zurückzuliegen schien, durch den Kopf gegangen war, als sie aus dem Tempel trat und Armand sah.

      Sie war fast fertig mit Ankleiden, als es laut an die Tür klopfte. Ehe sie jedoch »Herein« rufen konnte, kam eines der Mädchen aus dem Dorf, ein großes, plumpes Geschöpf mit einer Hasenscharte, hereingestürzt.

      »Mam’selle? Oh, Mam’selle!« rief die Bedienstete aufgeregt, wobei sie noch mehr Silben verschluckte als sonst.

      Rêve sah erstaunt auf.

      »Was ist los, Lili?« fragte sie, während das Mädchen nach Atem rang. »Hat dich irgendetwas erschreckt? Du siehst so bestürzt aus!«

      Lili schien die Angst im Gesicht geschrieben. Ihr Haar quoll in dunklen, fettigen Locken unter ihrer weißen Haube hervor, sie rang die großen roten Hände und schien jeden Moment in Tränen ausbrechen zu wollen.

      »Kommen Sie gleich mit, Mam’selle, bitte. Die alte Dame, die alte Dame.«

      Den Mädchen war unzählige Male aufgetragen worden, die Herzogin nicht »die alte Dame« zu nennen, doch in diesem Augenblick merkte Rêve die Entgleisung nicht einmal. Sie sprang auf, und ehe Lili noch ein einziges Wort sagen konnte, war sie bereits aus dem Zimmer geeilt und die breite Treppe zum Zimmer der Herzogin hinabgelaufen.

      Die Tür stand offen, die Vorhänge waren zugezogen, und ein wenig erleichtert stellte Rêve fest, daß Antoinette neben dem Bett saß. Vermutlich hatte diese Lili auch zu ihr geschickt.

      Als sie durch das Zimmer auf das große, vierpfostige Bett mit dem Baldachin aus gefärbtem Satin zuging und das Gesicht der Herzogin auf den Kissen liegen sah, wußte sie, daß Lili Angst gehabt hatte, ihr die Wahrheit zu sagen.

      Wie angewurzelt blieb sie stehen und vermochte sich nicht zu rühren.

      Die Herzogin war sehr alt, trotzdem hatte die Flamme des Lebens so kräftig, so jugendlich in ihrem alten Körper gebrannt, daß es fast unmöglich gewesen war, sich vorzustellen, daß auch sie sich einmal von der Welt, die sie so amüsant gefunden hatte, trennen müßte.

      Rêve stand vor Schmerz erstarrt da. Antoinette drehte sich nach ihr um, kam zu ihr und legte ihr die Arme tröstend um die Schultern, wie sie es seit Rêves Geburt so oft getan hatte.

      »Es war ein schöner Tod, meine Kleine. Du darfst dich nicht grämen! Sie ist so gestorben, wie sie es sich gewünscht hat.«

      »Aber was sollen wir ohne sie anfangen, Antoinette?« fragte Rêve mit gebrochener Stimme.

      Antoinette zog sie mit sich ans Fenster. »Ja, ja, ich weiß; aber wir weinen nur um unser selbst willen. Das Leben geht weiter! Wir müssen immer daran denken, wieviel reicher wir dadurch sind, daß wir sie gekannt haben.«

      »Ja, das stimmt«, sagte Rêve. »Sie hat uns so viel gegeben.« Einen Moment legte sie ihren Kopf auf Antoinettes Schulter. »Wie weise du doch bist, Antoinette! Du weißt immer das Richtige zu sagen, das Richtige zu tun. Manchmal wünsche ich mir, so tapfer wie Madame und so weise wie du zu sein.«

      Während sie sprach, traten ihr Tränen in die Augen und flossen ihre Wangen hinab. Antoinette zog sie enger an sich und tröstete sie wie ein ängstliches Kind.

      »Ich weiß, meine Kleine«, murmelte sie. »Wir alle fühlen uns manchmal so. Aber für dich fängt das Leben gerade erst an, und du darfst es nicht mit nutzloser Trauer vergeuden. Madame la Duchesse hätte das nicht gewollt. Sie hat ein ausgefülltes Leben gehabt. Wie oft sagte sie zu mir: »Antoinette, die einzigen Dinge, die ich in meinem Leben bereue, sind die Male, da ich Nein sagte - und davon gab es nicht allzu viele!««

      Rêve lächelte trotz ihrer Tränen.

      »Ich kann mir genau vorstellen, wie sie das sagte.«

      »Madame hat das Leben mit beiden Händen ergriffen. Sie hat es umschlossen, hat jeden Moment genossen, bejaht, sie hat Mut gezeigt. Das ist es, was zählt, meine Kleine, hab Mut!«

      Rêve hob den Kopf und sah ihrer Kinderfrau ins Gesicht. Antoinette war trotz ihrer fast weißen Haare eine jung aussehende Frau mit einem gütigen, sanften Gesicht, das den gleichen Ausdruck zeigte, den Rêve oft bei Nonnen gesehen hatte, die ihr Leben der Pflege von Kranken und Leidenden weihen. Es war ein Ausdruck der Hingabe, der einer inneren Stärke und Entschlossenheit entsprang.

      Und genauso war Antoinette auch: Rêve wußte, daß sie ihr Leben ihr gewidmet hatte, vom Augenblick ihrer Geburt an.

      Spontan umschlang sie mit beiden Armen ihren Hals und zog ihren Kopf zu sich herab. »Ich werde versuchen, so tapfer wie Madame und so verständnisvoll wie du zu sein, Antoinette.«

      Antoinette küßte sie. In ihren Augen schimmerte es feucht, als habe die Schlichtheit von Rêves Worten sie tief bewegt, doch ihre Stimme klang ruhig und gefaßt.

      »Wir haben noch viel zu tun, mein Kind. Du schickst jetzt Jacques mit der Nachricht ins Dorf! Er wird wissen, wen er holen muß. Dann gehst du in den Garten und pflückst so viele Blumen, wie du kannst. Die werden wir Madame zu Füßen legen, wenn sie in der großen Halle feierlich aufgebahrt wird.«

      Rêve war dankbar dafür, daß Antoinette ihr Aufgaben zuteilte, und führte sie ohne Widerrede aus. Sie teilte dem alten Jacques den Tod der Herzogin mit und gab ihm Antoinettes Anweisungen weiter.

      Sie ging nicht in die Küche, um dort vom Tod der Herzogin zu berichten, da sie wußte, daß Lili das bereits getan hatte. Sie hörte auch schon das hysterische Schluchzen der anderen Hausangestellten. Als sie durch eine Seitentür in den Garten entschlüpfte, hatte sie einen Moment lang das Gefühl, in die Freiheit des Sonnenscheins zu entkommen. Gleichzeitig wußte sie aber, daß sie nicht wirklich entkommen konnte. Sie mußte der Zukunft ins Auge sehen.

      Sie pflückte einen Arm voll Blumen. Es waren Rosen, die früher einmal gezüchtet und zurückgeschnitten worden waren, jetzt aber in einem exotischen, wilden Muster wucherten. Sie pflückte Rittersporn, so blau wie der Himmel, und flammend rote Gladiolen, die ihre Großtante ganz besonders gern gemocht hatte.

      Sie würde noch viele Blumen holen, doch im Augenblick konnte sie nicht mehr tragen. Als sie mit ihrem Strauß zum Haus zurückkehrte, hörte sie das Klappern von Hufen, das sich hinter der Kurve der Auffahrt dem Haus näherte.

      Verwundert, wer das sein könnte, ging sie von der Terrasse zur Eingangstür, wo sie zu ihrem Erstaunen einen Mann in einem hellblauen Rock und einer hellblauen Weste mit Silbertresse am Kragen von einem vornehm geschirrten Pferd steigen sah. Er warf einen Blick auf die Haustür, als ob er die Klingelschnur suchte.

      Rêve ging mit den Blumen im Arm auf ihn zu.

      »Haben Sie eine Botschaft für jemanden hier?« fragte sie.

      Der Mann drehte sich zu ihr um, grüßte höflich, und jetzt erst sah sie, daß er die Livree der persönlichen Diener des Kaisers trug.

      »Ich habe eine Nachricht für die Comtesse Rêve de Valmont, Mademoiselle«, sagte er.

      »Ich bin die Comtesse«, erwiderte Rêve. »Sie können sie mir geben.«

      Er zog einen Brief mit einem roten Siegel aus der Tasche und reichte ihn ihr mit einer Verbeugung. »Vom Kaiser, Madame!«

      Rêve legte ihre Blumen auf das Geländer. Es dauerte einen Moment, bis sie sie so ausbalanciert hatte, daß sie nicht herunterfallen konnten.

      Schließlich öffnete sie den Brief.

      Zuerst

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